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Bernie Taft: Diesseits von Gut und Böse. Erinnerungen eines roten Weltbürgers

Bernie Taft wurde 1918 als Bernhard Tugendhaft in Hannover geboren. In der Zeit des heraufkommenden Nationalsozialismus war er mit gleich zwei "Nachteilen" behaftet: Er war 1932 der kommunistischen Jugendbewegung beigetreten und stammte überdies auch noch aus einer jüdischen Familie. Im Sommer 33 floh er mit den Eltern nach Palästina, später nach Australien, wo er in die KP eintrat, der er ganze 42 Jahre treu blieb, bevor er sie zu kritisieren begann. Über seine Erfahrungen in der Partei, über seine Zeit in beiden großen Parteischulen, nämlich in Moskau und in Peking, berichtet er in seinen "Erinnerungen eines roten Weltbürgers".

Kristine von Soden |
    Wüsste man nicht, dass das Buch 2002 erschienen ist, würde man es wohl dem Anfang der 80er Jahre zuordnen, als das Scheitern des "real existierenden Sozialismus" vor allem jene Kreise der bundesdeutschen Linken in ihren Grundfesten erschütterte, die die DDR als das große, leuchtende Vorbild für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit propagiert und im selben Atemzug den "kapitalistischen Westen" zu ihrem Todfeind erklärt hatte. Der Systemvergleich war spätestens seit dem Grundlagenvertrag 1972/73 politisches Tagesgespräch: an den Universitäten; in den Gewerkschaften, in der neuen Frauenbewegung und - affektgeladen geführt - natürlich in den drei Bundestagsparteien SPD, FDP und CDU/CSU. Inhalt und Ton hatten sich zwar mittlerweile weitgehend von der plumpen Rhetorik des Kalten Krieges entfernt; doch der Schlagabtausch zwischen jenen einerseits, die die DDR nach wie vor dümmlich-arrogant "Ostzone" nannten, und den alten KP-Genossen andererseits einschließlich ihrer jungen Anhängerschaft wurde dadurch kein bisschen geistreicher. Für Letztere galt der fatale Grundsatz, dass die Kritik am Arbeiter-und-Bauern-Staat aus den eigenen Reihen unbedingt eine "solidarische Kritik", wie es damals hieß, zu sein hatte. Mit anderen Worten: Was immer auch "drüben" im Zuge des sich anbahnenden Zusammenbruchs bemängelt wurde (etwa Repression und Mangelwirtschaft), konnte der sofortigen Relativierung sicher sein nach dem Motto: "Ja - aber das ist so, weil ..."

    Exakt diese Haltung nun aus gebremstem Zorn und Unterwürfigkeit, die zwangsläufig in jenen monotonen Schreibstil mündet, den man aus Parteipamphleten (egal welcher Couleur) kennt, findet sich auf weiten Strecken des hier zu rezensierenden Buches, das nicht ohne Zufall den Obertitel trägt "Diesseits von Gut und Böse" und 330 Seiten lang die "Erinnerungen eines roten Weltbürgers", so der Untertitel, enthält.

    Ein bisschen mehr Mut zum gelegentlichen "Jenseits" hätte die Lektüre nicht nur verdaulicher, sondern auch interessanter gemacht. Und die "Welt" im Bürger kann man ersatzlos streichen. Denn was in 24 Kapiteln dargeboten wird, ist einzig und allein die Parteikarriere des Bernie Taft (eigentlich Bernhard Tugendhaft), der sein ganzes Leben in den Dienst der "gemeinsamen Sache" gestellt hat - samt Ehefrau Donya.

    Donya war idealistisch und selbstlos und bereit, Opfer zu bringen. Sie nahm ohne zu Zögern die Belastung auf sich, mit einem Vollzeit-Funktionär der Partei verheiratet zu sein (...). Die meisten Parteimitglieder betrachteten es damals als eine ehrenvolle Auszeichnung, für die Arbeit als Parteifunktionär auserwählt zu werden, auch wenn das bedeutete, unter äußerst bescheidenen Bedingungen zu leben. Parteifunktionäre erhielten nur den Mindestlohn, oft noch weniger, und sie hatten keinen Acht-Stunden-Tag (...). Donya akzeptierte es still - schweigend und ohne Klagen.

    Kurz die biografischen Eckdaten zu Bernie Taft: Geboren 1918 in Hannover, dort aufgewachsen, zur Schule gegangen und ab 14 im Kommunistischen Jugendverband aktiv, emigrierte er 1933 mit den Eltern nach Palästina; 1939 siedelte er nach Australien über, wo er unmittelbar nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion in die KP eintrat. Dort übernahm er führende Funktionen. Zum Schluss war er stellvertretender Parteivorsitzender. 1984, nach insgesamt immerhin 52 Jahren Parteimitgliedschaft, trat Bernie Taft aus der australischen KP aus - enttäuscht über die verkrusteten Strukturen. Wie er es all die Jahre geschafft hat, diese Erkenntnis erst 1984 wirksam werden zu lassen , bleibt sein Geheimnis. Tausende kluger Köpfe hatten wegen allerlei Verbrechen der Parteien längst das Handtuch geworfen, in Frankreich, Italien, selbst Spanien, von der Tschechoslowakei einmal ganz abgesehen, hatten alte Genossen der alles beherrschenden Partei schon seit den 50er Jahren unter oft großen persönlichen Opfern den Fehdehandschuh hingeworfen. Tafts neues, 1984 recht verspätetes Ziel war nun, einen "demokratischen Sozialismus" aufzubauen. Doch dann ereilt ihn auch noch der Zusammenbruch der UdSSR, der wenig später das endgültige Aus auch der sozialistischen Bruderstaaten bedeutete. Bernie Taft kehrte 1991 nach Deutschland zurück, wollte, so wörtlich, "mit eigenen Augen sehen, wie sich die sozialen und politischen Veränderungen vollzogen". Und er wollte alte Genossen besuchen: Egon Krenz, Günter Schabowski, Hermann Axen, Stefan Heym. Das Resümee am Schluss seines Buches fällt erschreckend mager aus. Denn nichts als Floskeln füllen die Zeilen: dass die Kluft zwischen Arm und Reich gewachsen und die Arbeitslosigkeit das "Schicksal einer wachsenden Anzahl von Menschen" geworden sei; dass es einer "weltweiten gemeinsamen Aktion" bedürfe, um die "ökologische Zukunft unseres Planeten" zu retten.

    Oder werden diejenigen vorherrschen, die den Weg zu einem sozialen Wandel blockieren, um ihre eigenen Interessen zu schützen?

    Mit dem frustrierenden Gefühl, nichts Nennenswertes dazugelernt zu haben, klappt man das Buch zu. Und wundert sich nur noch eine Weile über das enthusiastische Vorwort, das Wolfgang Leonhard verfasste - selbst einst braver Parteisoldat, doch frühzeitig zu ihrem Kritiker mutiert. Es ist kaum zu erklären, warum Leonhard ausgerechnet Tafts Kapitel über seine Parteischulenbesuche in Moskau und Peking als fast schon historisch einzigartig hinstellt. Zwar scheint es zuzutreffen, wenn man Leonhard glauben darf, dass Taft der einzige Funktionär damals war, der jene beiden Kaderschmieden besuchte, die sich bekanntlich nicht sonderlich grün waren. Anstatt aber wenigstens einmal die Scheuklappen des Funktionärs zur Seite zu legen und einen weiten Blick auf die jeweiligen sozialen, politischen und kulturellen Zustände in der fremden Umgebung zu werfen, traktiert Taft die geneigte Leserschaft mit endlosen Details aus der damaligen (überdies auch noch durch und durch männlichen) Politriege. Das ist nicht nur langweilig, sondern auch ärgerlich, angesichts der verschenkten Erfahrungen eines solchen Lebens.

    "Bernie Taft: Diesseits von Gut und Böse; Erinnerungen eines roten Weltbürgers", erschienen in der edition ost im Verlag das Neue Berlin. Das Buch hat 332 Seiten und kostet 19.90 Euro.