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Bernini-Ausstellung in Leipzig
Der Erfinder des barocken Rom

Er hat den Vatikan und manch andere Plätze des alten Roms zur barocken Schaubühne gemacht: der Bildhauer, Architekt, Maler und Theaterregisseur Gian Lorenzo Bernini. Das Museum der Bildenden Künste in Leipzig widmet ihm nun eine Schau, in der vor allem seine Zeichnungen im Mittelpunkt stehen.

Von Carsten Probst |
    Besucher in der Bernini-Schau in Leipzig (im Rahmen einer Vorbegehung).
    Besucher in der Bernini-Schau in Leipzig (im Rahmen einer Vorbegehung). (Foto: picture alliance / dpa - Hendrik Schmidt)
    Als die Leipziger Ratsbibliothek im Jahr 1714 von dem Kunsthändler Prior Francesco Antonio Renzi einige Kisten mit Zeichnungen des italienischen Barock aus dem 17. Jahrhundert kaufte, schien man sich des historischen Wertes noch nicht voll bewusst gewesen zu sein. Denn für zwei Jahrhunderte geriet der Schatz zunächst einmal in Vergessenheit – erst 1913 enthüllte sich nach und nach, dass man plötzlich und unverhofft über ein gutes Drittel des gesamten zeichnerischen Nachlasses von Gian Lorenzo Bernini verfügte.
    Der wie aus dem Nichts erlangte Rang eines internationalen Bernini-Mekkas katapultierte Leipzig in der Folge auf eine Stufe mit Rom und London. So berühmt Bernini als Schöpfer der Cathedra Petri und des Tabernakels im Petersdom, der Kolonnaden des Petersplatzes oder des Vier-Ströme-Brunnens auf der Piazza Navona auch ist, so umstritten war seine Rolle beim Bau des "Modernen Rom" unter seinen Zeitgenossen. Manche beschreiben ihn als "Diktator", verspotten ihn als billigen Effektkünstler, der das revolutionäre Erbe Michelangelos in einen Marketingfeldzug für den Heiligen Stuhl verwandelt habe. Berninis fast symbiotische Beziehung zum Vatikan, insbesondere zu Papst Urban VIII., verschaffte ihm dabei fast ein Monopol auf repräsentative Großprojekte und sicherte ihm den Einfluss auf die Ausbildung des gesamten künstlerischen Nachwuchses. Andere freilich sahen in ihm immer gerade das Genie, dem Rom seine ganze heutige Gestalt überhaupt erst verdankt. Der Zwiespalt ist in der kunsthistorischen Forschung zu spüren. Gerade seine Zeichnungen dienen als Belege für Lesarten in die eine wie die andere Richtung.
    Berninis Zeichnungen stürzen den Betrachter in Widersprüche
    Das lässt sich an dieser breit angelegten, um schöne Leihgaben unter anderen aus Rom und London bereicherten Ausstellung des gesamten Leipziger Bernini-Schatzes genau nachvollziehen: Sie stürzt den Betrachter in Widersprüche. Schon vor Berninis frühen Rötel-Kopien nach antiken Skulpturen muss man seine makellose handwerkliche Meisterschaft anerkennen, ebenso bei seinen Porträtzeichnungen, die ein feines Sensorium für Physiognomien und Psychologie verraten. Dennoch sind die Vorbilder der Renaissance bis in den zeichnerischen Gestus hinein lange erkennbar, auch später, als der Strich deutlich fließender und freier und geradezu expressiv wird.
    Die Vorstudien für den Daniel in der Chigi-Kapelle von Santa Maria del Populo um 1655 verweisen zum Beispiel noch immer auf das Vorbild der "Sklaven" Michelangelos, da ist Bernini bereits 57 Jahre alt und nähert sich dem Höhepunkt seiner Karriere. Wo aber bleibt da das Originalgenie, unabdingbar für kunsthistorischen Rang in jener Zeit, wo bleibt die Erfindung einer völlig neuen Sprache? Die Antwort liefert ein aus den Vatikanischen Museen entliehener Bozzetto, eine in Terrakotta ausgeführte Modellskizze für die Skulptur. In ihr zeigt sich der ganze mitreißende Schwung, durch den Bernini alle Bestandteile einer Figurenkomposition in eine einzige, fließende Bewegung verwandelt und dem Material eine unfassbare Leichtigkeit gibt.
    Die Skulpturen wirken in Berninis Werk vermutlich direkt auf die Zeichnungen zurück, die immer leichter, freier, zugleich ausdrucksstärker werden. In ihnen entwirft Bernini dynamische Kompositionen, die weit über das eigentliche Kunstwerk hinausgreifen und unsichtbare Räume entstehen lassen. In den Skizzen zur Cathedra Petri umkreisen Gruppen kleiner Engel ein großes Nichts in der Bildmitte. In der Studie für das Gesicht der verzückten Heiligen Teresa spiegelt sich eine Hingabe an etwas Außerweltliches, Unsichtbares. In den Skulpturen versucht Bernini, diesem Unsichtbaren eine erfahrbare Gestalt zu geben. Hatte dieses Problem Michelangelo noch zur Zerstörung seiner Figuren getrieben, erweist sich Bernini als Mann der pragmatischen Lösungen, als grandioser Inszenator mit frühem Hang zum Gesamtkunstwerk. Wer will, kann darin eine Vorahnung der Moderne erkennen.
    Das Museum der Bildenden Künste in Leipzig verzichtet indes mit seiner Ausstellung auf Thesen für weitere Interpretationen, und es tut gut daran. Man feiert sich einfach ein wenig selbst zum 300-jährigen Jubiläum der glücklichen Erlangung dieses Bilderschatzes, ist stolz auf das, was man hat, und das ist in diesem Fall nicht wenig.