Normalerweise inszeniert man Theaterstücke, um etwas über die Welt zu erfahren, um in einem Stück etwas Neues zu entdecken, eine Figur neu zu deuten, eine Konzeption auszuprobieren. Christoph Marthaler inszeniert Theaterstücke, um seine Weltsicht zu bestätigen. Er insze-niert dasselbe Stück immer wieder neu. So ist er zur Marke geworden, Marke Marthaler: Tran, Trübsinn, Traurigkeit, immer mit viel Gesang garniert, was manchmal auch komisch sein kann. Aber warum, in Got-tes Namen, leitet der Mann dann nicht einen Kinderchor? Oder einen Blockflötenkreis? Warum muss er Theater machen?
Die Revolution findet bei schlechtem Wetter im Saale statt, in Zürich sowieso, und bei Christoph Marthaler erst recht. Danton hat sich in ei-ne Kneipe verirrt, in ein Vereinslokal, in dem man Karten spielt und natürlich dem revolutionären Gesange frönt.
Lassen wir uns von der Holztäfelung und den vergilbten Tapeten des Bühnenbilds von Anna Viebrock nicht täuschen: es ist die Züricher Theaterkantine, in der lauter ergraute 68iger hocken und uns ihr Leid (oder ihr Lied) klagen, Menschen, die nicht rechtzeitig nach Hause gegangen sind und nun an den Bierbänken festkleben, mit Lederjacke und Rollkragenpullover, Lucille sieht aus wie Twiggy, und Robespi-erre hat noch eine stilechte 60iger-Jahre-Brille auf.
Der jammernde 68iger an sich ist kein schöner Anblick. Robert Hun-ger-Bühler, der den Danton in Zürich mit einem versoffenen Timbre ausstattet und der nur mit einem Pullover bekleideten Hure Marion wie ein läufiger Hund an den Hintern geht, toppt aber alle diesbezüg-lichen Möglichkeiten. Ein verschwitzter Obdachloser, der bei Bedarf die Hose runterlässt. "Julie, ich liebe dich wie das Grab", sagt der le-bensmüde Danton bei Büchner. Bei Marthaler wird vom Tod und vom Weltekel nur wortreich gefaselt, während man sich in der Kneipe doch recht traulich eingerichtet hat.
Warum geht es eigentlich? Bei Büchner prallen zwei Welten aufein-ander: Tugend gegen Laster, Disziplin versus Zweifel, oder auch, um es ins 68iger-Milieu zu übersetzen: Stalinisten gegen Spontis. Man ist immer geneigt, sich auf die Seite des existential-grüblerischen Danton zu schlagen, der das sinnlose Guillotinieren beenden will, der lieber zu den Weibern geht als in den Wohlfahrtsausschuß, der seine eigene Schwäche sieht. Aber das Stück lässt eben auch Robespierre zu sei-nem Recht kommen: der ist nicht nur ein asketischer Pedant im Furor; seine Position der Härte, die eine menschliche Gesellschaft erst er-möglichen will, mag moralisch verwerflich, strategisch aber sinnvoll sein. Das wäre erst noch zu diskutieren – auf diesem Konflikt basiert ja das Stück.
Christoph Marthaler aber ist daran gar nicht interessiert. Die Revolu-tion liegt schon zu Beginn in den letzten Zügen, die hedonistische Danton-Fraktion windet sich in Langeweile in ihren Sitzen, wie übri-gens auch das Publikum, und Robespierre ist in der Gestalt von Josef Ostendorf ein feister, schüchterner Revolutions-Buddha, der durch di-verse Entspannungs-Übungen offenbar sanftmütig gewordene Spießer als Studentenfunktionär.
Mit dieser skurrilen Gegenbesetzung bringt Marthaler das ganze Stück zum Einsturz. Während vorn das Gesangslokal langsam ausge-räumt, zum Gefängnis umgebaut wird, Stützpfeiler und Mobiliar weg-getragen werden, sitzen auf der Hinterbühne die Musiker in einem Rundfunkstudio, in dem auch Robespierre liebenswürdige Kopf-Ab-Blutreden ans Volk hält. Das heißt: da spricht einer ganz hinten ganz leise seine Monologe in sich hinein, vom Publikum weg. Das ist die Mediengesellschaft. Aber das ist auch die zähflüssige, depressive Marthaler-Welt, die in ihrem Schneckenhaus bleiben und sich nicht auseinandersetzen will.
Darüber kann auch der übliche Marthaler-Zirkus nicht hinwegtäu-schen: da rasiert einer den zur Hinrichtung vorgesehenen Dantonisten den Nacken und kaspert dann mit den Einmal-Rasierern musikalisch herum. Da führt Graham Valentine einen misslingenden Gottesbeweis und bläst dabei eine Luftmatratze auf. Die Frauen dürfen verdruckst gucken und Revolutionslieder hauchen.
Auch das Marthaler-Theater haucht so langsam seine Seele aus. Es ist steckengeblieben in grauer Langeweile, Selbstbeflissenheit, De-pression. Keine Idee nirgendwo. Der Mann braucht eine Pause. Viel-leicht sollte er einfach mal in die Südsee fliegen und schöne Fraun an-gucken. Das wenigstens hätte Robespierre von Danton lernen können: dass Revolution und Genuß einander nicht ausschließen. Aber auch zum Genuß ist der Zürcher Danton nicht fähig.
Die Revolution findet bei schlechtem Wetter im Saale statt, in Zürich sowieso, und bei Christoph Marthaler erst recht. Danton hat sich in ei-ne Kneipe verirrt, in ein Vereinslokal, in dem man Karten spielt und natürlich dem revolutionären Gesange frönt.
Lassen wir uns von der Holztäfelung und den vergilbten Tapeten des Bühnenbilds von Anna Viebrock nicht täuschen: es ist die Züricher Theaterkantine, in der lauter ergraute 68iger hocken und uns ihr Leid (oder ihr Lied) klagen, Menschen, die nicht rechtzeitig nach Hause gegangen sind und nun an den Bierbänken festkleben, mit Lederjacke und Rollkragenpullover, Lucille sieht aus wie Twiggy, und Robespi-erre hat noch eine stilechte 60iger-Jahre-Brille auf.
Der jammernde 68iger an sich ist kein schöner Anblick. Robert Hun-ger-Bühler, der den Danton in Zürich mit einem versoffenen Timbre ausstattet und der nur mit einem Pullover bekleideten Hure Marion wie ein läufiger Hund an den Hintern geht, toppt aber alle diesbezüg-lichen Möglichkeiten. Ein verschwitzter Obdachloser, der bei Bedarf die Hose runterlässt. "Julie, ich liebe dich wie das Grab", sagt der le-bensmüde Danton bei Büchner. Bei Marthaler wird vom Tod und vom Weltekel nur wortreich gefaselt, während man sich in der Kneipe doch recht traulich eingerichtet hat.
Warum geht es eigentlich? Bei Büchner prallen zwei Welten aufein-ander: Tugend gegen Laster, Disziplin versus Zweifel, oder auch, um es ins 68iger-Milieu zu übersetzen: Stalinisten gegen Spontis. Man ist immer geneigt, sich auf die Seite des existential-grüblerischen Danton zu schlagen, der das sinnlose Guillotinieren beenden will, der lieber zu den Weibern geht als in den Wohlfahrtsausschuß, der seine eigene Schwäche sieht. Aber das Stück lässt eben auch Robespierre zu sei-nem Recht kommen: der ist nicht nur ein asketischer Pedant im Furor; seine Position der Härte, die eine menschliche Gesellschaft erst er-möglichen will, mag moralisch verwerflich, strategisch aber sinnvoll sein. Das wäre erst noch zu diskutieren – auf diesem Konflikt basiert ja das Stück.
Christoph Marthaler aber ist daran gar nicht interessiert. Die Revolu-tion liegt schon zu Beginn in den letzten Zügen, die hedonistische Danton-Fraktion windet sich in Langeweile in ihren Sitzen, wie übri-gens auch das Publikum, und Robespierre ist in der Gestalt von Josef Ostendorf ein feister, schüchterner Revolutions-Buddha, der durch di-verse Entspannungs-Übungen offenbar sanftmütig gewordene Spießer als Studentenfunktionär.
Mit dieser skurrilen Gegenbesetzung bringt Marthaler das ganze Stück zum Einsturz. Während vorn das Gesangslokal langsam ausge-räumt, zum Gefängnis umgebaut wird, Stützpfeiler und Mobiliar weg-getragen werden, sitzen auf der Hinterbühne die Musiker in einem Rundfunkstudio, in dem auch Robespierre liebenswürdige Kopf-Ab-Blutreden ans Volk hält. Das heißt: da spricht einer ganz hinten ganz leise seine Monologe in sich hinein, vom Publikum weg. Das ist die Mediengesellschaft. Aber das ist auch die zähflüssige, depressive Marthaler-Welt, die in ihrem Schneckenhaus bleiben und sich nicht auseinandersetzen will.
Darüber kann auch der übliche Marthaler-Zirkus nicht hinwegtäu-schen: da rasiert einer den zur Hinrichtung vorgesehenen Dantonisten den Nacken und kaspert dann mit den Einmal-Rasierern musikalisch herum. Da führt Graham Valentine einen misslingenden Gottesbeweis und bläst dabei eine Luftmatratze auf. Die Frauen dürfen verdruckst gucken und Revolutionslieder hauchen.
Auch das Marthaler-Theater haucht so langsam seine Seele aus. Es ist steckengeblieben in grauer Langeweile, Selbstbeflissenheit, De-pression. Keine Idee nirgendwo. Der Mann braucht eine Pause. Viel-leicht sollte er einfach mal in die Südsee fliegen und schöne Fraun an-gucken. Das wenigstens hätte Robespierre von Danton lernen können: dass Revolution und Genuß einander nicht ausschließen. Aber auch zum Genuß ist der Zürcher Danton nicht fähig.