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Berühmtheit ist undemokratisch

Berühmt geworden ist die amerikanische Schriftstellerin Donna Leon mit ihren Venedig-Krimis um Commissario Brunetti. Nun hat sie einen Band mit kurzen literarischen und journalistischen Texten herausgebracht. Hier erweist sie sich als humorvolle, bisweilen amüsant-ironische Beobachterin ihrer Umgebung und Mitmenschen.

Von Johannes Kaiser | 30.01.2006
    " Ich gehe jeden Morgen mit meiner besten Freundin in ein Cafe. Wir treffen uns an der Brücke zwischen unseren Wohnungen, gehen zusammen einen Cafe trinken, essen eine Brioche. Von dort geht sie zur Arbeit und ich kehre nachhause zurück. "

    Noch kann Donna Leon hier vorbeischauen, ohne dass man hinter ihrem Rücken über sie tuschelt, sie anstarrt, um ein Autogramm bittet. Sie ist einfach eine nette Nachbarin, eine Zugereiste, mit der man einen kleinen Plausch halten kann und die niemand belästigt, wenn sie zu einem Cafe in der Konditorei um die Ecke einlädt.

    " Vor gut drei Wochen gab es ein italienisches Fernsehprogramm und die Leute, die mich kennen, werden mich darin erkannt haben, aber sonst weiß niemand, wer ich bin und was ich bin. Ganz bestimmt nicht die Menschen hier in der Bar. "

    So bekannt ihre Krimis um Commissario Brunetti in Deutschland und im europäischen Ausland auch sind, nicht zuletzt durch die Verfilmungen, in Venedig kennen die Bestsellerautorin nur die wenigsten, denn bis heute weigert sie sich, ihre Romane ins Italienische übersetzen zu lassen:

    " Berühmtheit hat nichts Gutes an sich. Es hat noch niemandem etwas Gutes eingebracht, berühmt zu sein, es kann jedoch viel Schaden anrichten. Am schlimmsten ist, dass es eine Art von Antidemokratie schafft, denn berühmte Leute können sich Dinge erlauben, die denen, die nicht berühmt sind, verboten bleiben. Dieser Mangel an Gleichheit ist für keine Seite gut. Nehmen wir an, meine Bücher werden ins Italienische übersetzt, dann werde ich in diesem Land zur Berühmtheit. Egal ob gut oder schlecht, man wird über mich reden. Und das wird mir auch bei den Menschen so ergehen, die mich kennen. Was könnte mir denn ein Verleger anbieten? Donna, du kannst 10 Jahre länger leben, wenn du den Vertrag unterzeichnest! Dafür verliere ich meine Gelassenheit und meine Annehmlichkeiten. Jetzt gehe ich raus und treffe jeden Tag die Leute aus meinem Viertel, Freunde, die ich seit 20 Jahren kenne. Das alles soll ich aufgeben? Vielleicht würde ich es für ein 10 Jahre längeres Leben machen. Aber sonst gibt es nichts, was man mir anbieten könnte. "

    Und weil sie sich in Italien wohlfühlt und das Land mag, seit sie in Perugia und Siena studiert hat, verzichtet sie gerne auf ein zusätzliche Einnahmen, Prominenz und Medienpräsenz.

    Dass sie überhaupt begann zu schreiben, ist eher einem Zufall, einer Laune zu verdanken, denn dem Vorsatz, Schriftstellerin zu werden. In ihrer Lebensplanung war das gar nicht vorgesehen:

    " Glücklicherweise bin ich ohne das Ehrgeiz-Gen auf die Welt gekommen. Ehrgeiz war mir immer unverständlich. Warum sollte man sich anstrengen, Abteilungsleiter zu werden oder Führer eines Landes, Kapitän eines Schlachtschiffes? Ich begreife das überhaupt nicht. Vielleicht liegt das daran, dass ich eine Frau bin, vielleicht aber auch daran, dass ich aus soliden, gesicherten Mittelklasseverhältnissen stamme. Ehrgeiz galt für meine Freunde und meine Altersgenossen als geschmacklos. Also wollte ich nie Schriftstellerin werden, einfach nur viel Spaß haben, ein schönes Leben führen und interessante Dinge unternehmen. Zufälligerweise unterhielt ich mich im Opernhaus La Fenice mit einem Dirigenten und mir schien interessant, eine Mordgeschichte über einen Dirigenten zu schreiben, der in La Fenice umgebracht wird. Ich habe das Buch geschrieben und es lag zwei Jahre lang herum. Dann empfahl mir jemand, es zu einem Wettbewerb zu schicken. Das klingt zwar wie eine erfundene Geschichte, ist aber keine. Ich gewann den Wettbewerb und dann bekam ich einen Vertrag für zwei Bücher, danach einen neuen für zwei weitere Bücher und jetzt bin ich reich und berühmt, aber das ist nichts, was ich jemals angestrebt habe. "

    Es ist keine gekünstelte Bescheidenheit. Donna Leon ist rundherum zufrieden. Ihre Wohnung ist geschmackvoll, aber nicht luxuriös eingerichtet. Sie besitzt ein kleines Landhaus, um im heißen Hochsommer aus dem touristenüberfluteten Venedig zu fliehen und hat entdeckt, wie befriedigend es sein kann, zu gärtnern. Sie liebt das Landleben seit ihrer Kindheit, die sie auf einem Bauernhof verbracht hat. Seitdem ist sie geradezu vernarrt in Tiere. Besonders Dachse haben es ihr angetan. Um so mehr regt sie sich über Italiens Jäger auf, die alles abknallen, was ihnen vor die Flinte kommt, wie man jetzt in einem Band mit Geschichten nachlesen kann, journalistischen Auftragsarbeiten aus den letzten sechs Jahren. In den kleinen Miniaturen 'Über Venedig, Musik, Menschen und Bücher’ erweist sie sich als humorvolle, bisweilen amüsant-ironische Beobachterin ihrer Umgebung und Mitmenschen. In diesen Geschichten verrät Donna Leon viel über sich und ihre Vorlieben, Abneigungen und Zuwendungen. Zum ersten Mal gibt sie Einblick in ihre Kindheit, ihre Familie, ihren Freundeskreis.

    Man erfährt zudem, wie ein guter Krimi gebaut sein muss und was sich zwei Ladies of Crime, nämlich Donna Leon und Ruth Rendell beim Dessert über die schönsten Morde zu erzählen haben.

    "’Na ja, diese Woche wollte ich einen Mann erstechen, doch dann fiel mir gerade noch ein, dass ich die Methode schon hatte, also bin ich umgestiegen auf Garotte.’
    ’Hmmm’, seufzte meine Begleiterin genießerisch. 'Die Pasta ist vorzüglich nicht?’ Und mit einem verträumten Blick ins Leere: 'Die Garotte hat mich immer schon gereizt’… Sie wiegte den Kopf. 'Ich habe einmal einen langen Seidenschal benutzt. Ist eigentlich fast das gleiche, oder?’
    Ich nickte. Bestimmt hatte sie recht. 'Und Schusswaffen?’
    Da hatte ich offenbar einen Nerv getroffen. Sie legte die Gabel hin und sah auf. 'Sind mir ein Greuel! Schon weil ich dauernd irgendwas durcheinanderbringe: Entweder ist es das falsche Kaliber oder die falsche Munition, und dann hagelt es Leserbriefe mit Richtigstellungen und Beschwerden.’
    Sie nippte an ihrem Wein. 'Und wie ist das bei Ihnen?’
    ’Genauso. Ich weiß nie, in welche Richtung das Blut spritzen oder wie groß das Einschussloch sein muss. Aber’, schränkte ich nach kurzer Überlegung ein, 'ich glaube, am meisten stört mich, dass die Dinger so einen Krach machen.’ "

    Augenzwinkernd schildert Donna Leon, wie sie das Krimischreiben verändert hat. Sie sieht die Welt mit anderen Augen, will heißen, überall seht sie Gelegenheiten:

    " Ich sehe die Welt als Gans, die gerupft werden kann. Es ist so einfach, zu betrügen, zu bescheißen, zu lügen, unehrlich zu sein. Ich bin eine kleine, weißhaarige Lady. Niemand würde mich jemals verdächtigen. Heute habe ich ein Haus besichtigt, das Haus eines Antiquars. Am Ende blieben der Besitzer, seine Frau und der Immobilienmakler in der Küche sitzen und forderten mich auf: Wenn Sie sich noch mal im Haus umsehen wollen, bitte sehr. Also ging ich noch mal durchs Haus. Da standen Fragmente venezianischer Töpferei herum und ich musste mir gut zureden: Donna, behalt deine Hände in den Hosentaschen, wende dein Gesicht ab von der Versuchung. Es wäre ein Kinderspiel gewesen. Außerdem erfuhr ich, dass sie bis zum September nicht wieder in das Haus zurückkehren und dann sagten sie auch noch zu mir: Signora, falls Sie das Haus kaufen wollen, dort in der Wand gibt es übrigens ein Geheimfach, in dem wir alle Gemälde aufbewahren. Daraufhin erwiderte ich als Scherz, um mich selbst zur Räson zu rufen: Signora, ich werde mit einer Leiter zurückkommen, um es auszuräumen. Es wäre puppenleicht gewesen und ich dachte bei mir: die Leute sind verrückt. Deformazione Professionale."

    Allerdings gehört Donna Leon nicht zu jener Schriftstellergattung, die nur für das Schreiben lebt. Sie lässt sich gerne und leicht ablenken und bemerkt lächelnd, dass es doch ausreicht, pro Tag eine Seite zu schreiben. Das ergäbe im Jahr 365 Seiten, mithin gute Krimilänge. Da sie oftmals erheblich mehr am Tag schafft, bleibt genug Zeit für ihre zweite große Leidenschaft, die Musik. Sie ist geradezu verrückt nach den Opern Georg Friedrich Händels. Hier setzt sie allerdings ihre Prominenz ohne Hemmungen ein, um zusammen mit dem Dirigenten Alan Curtis europaweit Händel-Opernaufführungen zu initiieren. Mit Erfolg.

    So leidenschaftlich sich Donna Leon für Händel engagiert, vor Musiker hat sie einen Riesenrespekt und vor Sängerinnen insbesondere. So fallen denn auch die beiden Porträts ihrer Lieblingssängerinnen Anne Sofie von Otter sowie Cecilia Bartoli geradezu ehrfurchtsvoll-andächtig aus – ganz entgegen ihrem sonstigem Stil. Sie hat auch eine Erklärung dafür:

    " In Leipzig gab es vor dem Konzert eine Cocktailparty. Da standen zwei Frauen in meinem Alter mir gegenüber mit Exemplaren meiner Bücher und Kugelschreibern in der Hand. Nach zehn Minuten ging ich zu ihnen rüber und fragte sie: Möchten Sie, dass ich Ihre Bücher signiere? 'Oh ja, bitte!’ Warum haben Sie mich nicht angesprochen? Wir hatten Angst davor. Warum? Weil Sie so berühmt sind. Das erschien mir wirklich lächerlich, aber dasselbe empfinde ich gegenüber einigen der Sänger und Sängerinnen. Ich traue mich einfach nicht mit ihnen zu reden, weil ich von dem, was sie tun, geradezu umgeworfen werde. Ich bin so beeindruckt von ihrem Talent, dass ich sie kaum anzusprechen wage. Ich bin vor ihnen plötzlich ganz schüchtern und werde wieder wie zu einem Teenager, kichernd, weil ich vor dem, was sie machen, so viel Respekt habe. "

    Abhanden gekommen ist Donna Leon der Respekt vor ihren Landsleuten – ironisch kommentiert die kleine schmale Schriftstellerin unter anderem deren zunehmende Fettleibigkeit.

    Dass die freundliche Lady of Crime auch ganz schön bissig werden kann, zeigt sie in ihren Erinnerungen an ihre Lehrtätigkeit in Saudi-Arabien. Gallig bitter-bösartig geißelt sie den hemmungslosen Machismo der Männer und beklagt die demütigende Behandlung der Frauen.

    Um so freundlicher und entspannter empfindet sie das Leben in Italien, wo es für jedes Problem eine Lösung gibt, selbst wenn die Situation anfangs ziemlich hoffnungslos scheint.

    " Es ging um ein Möbelstück, dass mir meine Mutter in ihrem Testament vermacht hatte, ein Geburtstagsgeschenk zu meinem 16. und ich habe es immer geliebt. Es ist ein einfacher kleiner Schreibtisch. Ich habe ihn mir schicken lassen. Beim Zoll nun erklärte mir der zuständige Beamte, ich müsse dafür eine Einfuhrgebühr zahlen, die den Wert des Schreibtisches weit überstieg. Ich fing also an, mit ihm darüber zu diskutieren und er bestand darauf: Signora, sie müssen das zahlen. Irgendwann sagte ich dann, das hat mir aber doch meine Mutter vererbt. Die ist erst vor kurzem gestorben ist und das ist das einzige, was sie mir hinterlassen hat. Als er das hörte, sagte er: 'In diesem Fall, Signora’, und stempelte alle Papiere ab. Das ist einer der Gründe, warum ich dieses Land so liebe und warum ich es blindlings liebe. Auch wenn es mich tagtäglich verrückt macht, immer wieder passieren solche Sachen und dann schmelze ich einfach dahin und weiß, dass ich nirgendwo sonst leben könnte. "
    Die in Italien lebende Schriftstellerin Donna Leon
    Die in Italien lebende Schriftstellerin Donna Leon (AP Archiv)