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Berührend-spannungsgeladene Beziehung im Jahr 2048

Mit einer zartbitteren Science-Fiction-Romanze kopiert der italienische Autor Manuele Fior nicht etwa die Erfolgsrezepte seiner bisherigen Werke: Ganz in Schwarz-Weiß und im Genre sucht er eine neue Ausdrucksform.

Von Christian Gasser | 13.05.2013
    Eine Woche lang leuchten sie am Himmel, die rätselhaften, dreieckigen Lichter außerirdischer Herkunft: Die Menschen starren sie an, ohne sie zu verstehen – und dann verschwinden sie ebenso unvermittelt, wie sie erschienen sind. Und das Leben geht weiter wie bisher, zumindest scheinbar.

    "Die Übertragung" von Manuele Fior spielt sich im Jahr 2048 ab. Sternenkrieger und Aliens sucht man in seiner Zukunftsvision indes vergebens: Fior sieht sich in der Tradition jener Science-Fiction-Autoren, die die Zukunft imaginieren, um die Gegenwart besser zu reflektieren:

    2048 herrscht in Italien Aufbruchstimmung: Die Jugend besetzt und renoviert die verlassenen Innenstädte und feiert die freie Liebe. Teil dieser Jugendbewegung ist Dora, Anfang 20, die von sich behauptet, sie habe telepathische Fähigkeiten.

    Ganz anders sieht das Leben des etwa 50-jährigen Psychiaters Raniero aus: Er steckt in einer Lebenskrise. Als das kosmische Licht aufflammt, sitzt er im Auto. Geblendet kommt er von der Straße ab, und dieser Unfall vertieft seine existenzielle Verunsicherung. Wenig später verlässt ihn seine Frau.

    Zur selben Zeit taucht die enigmatische Dora in seiner Praxis auf. Raniero kann ihr nicht widerstehen. Trotz der intergalaktischen Kontaktaufnahme, betont Fior, liege sein Fokus auch in "Die Übertragung" auf dem Kleinen, Intimen, Alltäglichen.

    Genau da ist der 1975 geborene Italiener am stärksten: In seinem letzten Comicroman "5000 Kilometer in der Sekunde" etwa erzählte er in subtilen Aquarellfarben eine Dreiecksgeschichte, die 20 Jahre und drei Länder umspannt. Damit etablierte er sich als einer der interessantesten Comicerzähler seiner Generation.

    Statt Erfolgsrezepte zu wiederholen, erfindet sich Fior lieber mit jedem Comic neu, thematisch erzählerisch und vor allem zeichnerisch.

    Er versuche, das Vergnügen mit jedem Buch zu erneuern. Sobald er eine Technik mehr oder weniger beherrsche, sei er nicht daran interessiert, endlos damit weiter zu arbeiten.

    Der Bruch zu seinen früheren Büchern ist in "Die Übertragung" besonders deutlich: Zum einen tummelt sich Fior zum ersten Mal in einem klassischen Genre, der Science-Fiction. Zum anderen sind die Zeichnungen Schwarz-Weiß. Es ist ein sattes, geradezu hypnotisches Schwarz-Weiß mit vielen verwaschenen Grautönen, dass die rätselhafte Grundstimmung der Ereignisse vertieft und die Verunsicherung der Figuren sichtbar macht.

    Diese Figuren, Raniero und Dora, sind weder besonders schön noch besonders intelligent, erfolgreich oder sympathisch. Aber: Sie sind komplex und lebensnah.

    Er habe realistische Figuren schaffen wollen, über die der Leser kein abschließendes Urteil abgeben könne. Auch über ihre Beziehung ist ein abschließendes Urteil nicht einfach: Sie ist intensiv, berührend, voller Spannungen und ohne echte Zukunft. Zu tief ist in dieser sich rasant verändernden Gesellschaft der Graben zwischen den Generationen.

    Geschickt und auf immer wieder unerwartete Weise verknüpft Manuele Fior die verschiedenen Ebenen seiner Geschichte: die außerirdische Kontaktaufnahme, die kritische Gesellschaftsvision und die Liebesgeschichte. Vieles deutet er nur an, manches lässt er ungesagt, mehrmals führt er uns in die Irre. Und über die Wirkung der extraterrestrischen Erscheinungen klärt er uns erst ganz am Schluss auf.

    Das macht aus "Die Übertragung" einen auf viele Seiten hin offenen, phasenweise unbehaglichen, immer aber faszinierenden Comic-Roman.

    Buchinfos:
    Manuele Fior: "Die Übertragung", Avant Verlag, 2013, Berlin, Preis: 24,95 Euro