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Berührungsfreie Chipdiagnose

Technik. - Die Hersteller von Computerprozessoren tüfteln längst an Chips, die 250 Mal schneller schalten können, als die derzeit handelsüblichen Rechenknechte. Schaltfrequenzen von 1000 Gigahertz und mehr sind die Zielvorgabe. Doch die Entwicklung ist knifflig - nicht zuletzt, weil es bislang kein Messverfahren gab, mit dem man die elektrischen Signale auf solch einem Turbo-Prozessor in Echtzeit verfolgen konnte. Ein tiefgekühlter Sensor aus Braunschweig schafft jetzt aber Abhilfe.

Von Ralf Krauter | 05.07.2006
    Der neuartige Sensor geht auf Tuchfühlung. Bis auf wenige Tausendstel Millimeter nähert sich der Messkopf der Chipoberfläche und tastet sie dann berührungslos Punkt für Punkt ab. Das Ergebnis ist ein genaues Abbild der elektrischen Signale auf dem Prozessor - eine Art räumliches Elektrokardiogramm eines Computerchips.

    " Mit diesem Verfahren können wir sowohl die Topologie, also die Oberflächenrauigkeit, die Oberflächenbeschaffenheit, die Leiterbahnen des Chips sehen, analysieren, messen, sichtbar machen. Und dann aber auch das elektrische Signal, was auf diesen Leitungen transportiert wird, messen und nachweisen. Und dann eben als Bild visualisieren und auch zeitlich analysieren und damit herausbekommen, welche Leitung auf einem Chip welches Signal führt und was eigentlich diese Schaltung tut und ob sie das tut, was sie tun soll."

    Professor Meinhard Schilling arbeitet am Institut für elektrische Messtechnik der Technischen Universität Braunschweig und ist Experte für Sensortechnologie an der Grenze des technisch machbaren. Das neuartige Diagnosewerkzeug, das er entwickelt hat, kommt der Halbleiterindustrie gerade recht. In ihren Labors fertigen die Chiphersteller nämlich heute schon integrierte Schaltkreise, die Taktfrequenzen von 200 Gigahertz verkraften - also 50 Mal mehr, als ein Pentium-IV-Prozessor. Doch wenn die Entwickler die Funktion ihrer Turbo-Schaltungen testen wollen, haben sie ein Problem. Das konventionelle Verfahren, bei dem neuralgische Punkte auf dem Chip kontaktiert werden, um die elektrischen Signale aufzuzeichnen, funktioniert bei so hohen Frequenzen nämlich nur noch sehr eingeschränkt. Meinhard Schilling setzt deshalb auf berührungslose elektrische Ferndiagnose.

    " Dazu haben wir so genannte Josephson-Kontakte - das sind Sensoren für elektromagnetische Strahlung, die gekühlt werden müssen, weil sie aus Supraleitern bestehen - die haben wir integriert auf einem Cantilever, auf einem schmalen Streifen, der selber nur 100 Mikrometer breit sein kann zum Beispiel, und dann sehr nah an den Chip heran gebracht werden kann."

    Der haarfeine Mikrostreifen wird von einem Piezokristall in Schwingung versetzt und tastet punktweise die Oberfläche ab - ein von der Rastermikroskopie bekanntes Verfahren. Neu ist die Kombination mit den ultraempfindlichen Elektrosensoren an der Spitze des schwingenden Züngleins. Die supraleitenden Josephson-Kontakte registrieren feinste Veränderungen des elektromagnetischen Feldes in ihrer Umgebung - und zwar in Rekordzeit. Selbst Frequenzen von über 1000 Gigahertz können sie noch auflösen. Allerdings müssen sie dazu mit einem Helium-Gefrierschrank auf minus 230 Grad Celsius gekühlt werden. Dass der zu analysierende Prozessor Raumtemperatur hat und damit 250 Grad wärmer ist, als die Prüfspitze, ist dabei kein Problem. Weil die Messung in einer Vakuumkammer passiert, ist der Wärmeübertrag minimal. Die räumlichen elektrischen Aktivitätsmuster, die das neue Verfahren liefert, eröffnen Chipherstellern ganz neue Möglichkeiten. Krausz:

    " Wir können nämlich auch in der dritten Dimension weg von der Chipoberfläche sehen, wie viel abgestrahlt wird von dem Chip. Und das ist auch insbesondere bei den hohen Frequenzen im Bereich oberhalb von 100 Gigahertz ein großes Problem, dass eben doch Signale überkoppeln zwischen den Leitungen. Nanotechnologisch hergestellte Leitungen von sagen wir einmal 100 Nanometern Breite, die in 100 Nanometer Abstand sind, koppeln ziemlich viel Signal über. Und das muss man in den Griff bekommen. Und dazu braucht man Messgeräte, die einem ermöglichen, das auch wirklich zu messen. Heute wird sehr viel gerechnet. Und das ist auch sehr erfolgreich und jeder weiß, dass der Pentium ganz gut funktioniert. Aber wenn wir jetzt noch einen weiteren Faktor 100 in der Frequenz hochgehen wollen, dann gibt es auch Messprobleme und viele andere technologische Probleme. Und dazu soll das Verfahren dienen, die zu lösen."

    Der Halbleiterhersteller Infineon in München jedenfalls ist interessiert. Die Experten im dortigen Forschungslabor wollen ihre Neuentwicklungen künftig mit Hilfe des elektrischen Hochfrequenz-Rastermikroskops aus Braunschweig optimieren.