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Berufsbild Mathe
Wie Mathematiker in Unternehmen arbeiten

Nur was für weltfremde Eigenbrötler - Mathematik gilt als abstrakte Wissenschaft und viele halten sie für eine brotlose Kunst. Doch das sind Klischees aus der Vergangenheit, denn viele Unternehmen brauchen Mathematiker. Zum Beispiel in der Computerindustrie.

Von Tobias Krone | 11.03.2019
Lehrer hält einen Tablet-Computer vor einer Tafel, auf dem eine Tafel abgebildet ist.
Das alte Klischee vom Mathe-Nerd ohne Job gilt nicht mehr (dpa / picture-alliance)
Mathematiker gelten als die Denker schlechthin – und manchmal auch als etwas weltfremd. Wohl auch deshalb, weil Mathematik ein eher abstraktes Fach ist, gibt es das Bild vom arbeitslosen Mathematiker. Doch das ist ein Klischee aus der Vergangenheit. Denn Mathematik hat heutzutage viele Anwendungen.
"Das ist in den Versicherungen, es sind die ganzen neuen Fintech-Sachen, Machine Learning – überall steckt Mathematik dahinter."
Der Mann, der das sagt, ist promovierter Mathematiker, verdient mit Rechnen sein Geld und heißt noch dazu Georg Denk. Dass der sportliche Mittfünfziger im Norwegerpulli heute seinen Grips für die Computerindustrie einsetzt, hätte er sich vor 35 Jahren noch nicht vorstellen können. Aber gerade in diesem Bereich sind Mathematiker gefragt. Und auch der Sprecher der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, Prof. Günter Ziegler beobachtet, dass es seinen Studierenden nicht schwer fällt, in der Berufswelt zu landen.
"Das führt dazu, dass wir vor vielen Jahren schon gesagt haben, die arbeitslosen Mathematiker in Deutschland passen in einen Bus. Und ich habe den Eindruck, dass inzwischen eigentlich ein VW-Bus reicht."
Berufsfeld Computerindustrie
Auch Georg Denk hatte sich bei Studienbeginn wenig Gedanken über einen zukünftigen Job gemacht.
"Mathematik passt. Hat mir in der Schule gut gefallen. Die Berufsaussichten sind gut, die Arbeitslosenquote ist gering. Ich mach mal. Ohne jetzt so einen wirklich konkreten Plan gehabt zu haben: Ich möchte das und das später beruflich machen."
Während seines Studiums begann er nach Anwendungen für seine abstrakte Rechenkunst zu suchen – und fand sein Berufsfeld in der Computerindustrie. Seine Diplomarbeit schrieb er beim Münchner Elektronik-Riesen Siemens, wo er nach der Promotion in die Entwicklung von Computerchips wechselte. Inzwischen tüftelt er in einer Arbeitsgruppe beim Halbleiterkonzern Infineon an einem Computerprogramm, das die Funktion neuer Computerchips simuliert.
"Es ist eben kein Versuchsaufbau, weil das gerade so teuer ist. Sondern man macht ein Modell, das heißt, man überlegt sich in der Schaltung, ich habe Transistoren drin, ich habe Widerstände drin. So ein Widerstand – das kennt jeder aus der Schule, das Ohmsche Gesetz, so verhält sich Stromspannung. Transistor ist ein bisschen komplizierter. Und die ganzen Sachen werden dann zusammengeworfen in ein großes Modell und im Endeffekt löst man eine Differenzialgleichung."
Job mit Kreativphasen
Das Grundprinzip eines Computerchips ist immer das gleiche, nur die Anforderungen an neue Chips ändern sich. Und so gibt es für Georg Denk und seine Kollegen immer mal wieder Kreativphasen.
"Wenn jetzt die Designer sagen, wir hätten gern eine neue Analyse, wir wollen was sehen aus der Simulation, was wir bis jetzt noch nicht gesehen haben, dann muss man sich überlegen: Was heißt das mathematisch? Das heißt, man hockt wirklich ein paar Tage am Schreibtisch mit Zettel und Stift, schreibt Gleichungen auf, verschiedene Integrale, versucht partiell zu integrieren und hin her – und entwickelt sozusagen die mathematische Fragestellung, die der Designer haben möchte. Und wenn das dann passiert ist, dann geht’s ans Implementieren."
Das bedeutet: Die Mathematiker schreiben den Programm-Algorithmus um. Zur Chipentwicklung kam Georg Denk über seine Diplomarbeit in Numerik, die er bei Siemens schrieb, und er blieb auch nach seiner Doktorarbeit in der Chipsparte.
Praxisnahe Anwendungen
Lena Hupp promovierte ebenfalls in Mathe, aber sie beschäftigte sich mit einer sehr praxisnahen Problemstellung.
"Es geht darum, Flugzeuge auf Fluglandebahnen zu planen. Und zwar so, dass wenn eine Unsicherheit eintritt, beispielsweise schlechtes Wetter, ich möglichst schnell und möglichst geschickt umplanen kann. Auch das kann man als mathematisches Problem formulieren. Also es steckt – man möchte es gar nicht meinen – auch sehr viel Theorie dahinter."
Lena Hupp arbeitet seit einem Jahr bei Siemens in der Abteilung Künstliche Intelligenz und Datenanalyse, ihr Fachgebiet: mathematische Optimierung. Sie sorgt mit ihren Formeln dafür, dass künstliche Intelligenz die Probleme in der Industrie auch "wirklich intelligent" angeht. Etwa, wie verschiedene Werkzeuge optimal in einer Maschine angeordnet werden. Bis zu 20 Prozent weniger Zeit braucht die Maschine dann, hat ein Kunde herausgefunden, weil Lena Hupp und ihre Kolleginnen eine mathematische Formel dafür gefunden haben.
Teamarbeit gefragt
Dem Klischee vom weltfremden Eigenbrötler entspricht die 32-Jährige mit ihrem herzlichen Lachen nicht – auch im Team arbeiteten alle sehr gut zusammen. Fragen zu stellen sei unter Mathematikern kein Problem, im Gegenteil: Da beginne die Lösungssuche doch erst. Und dem Vorurteil, dass Frauen schlechter im Rechnen seien, ist Lena Hupp in der Realität nie begegnet.
"Ich denke, dass wir als Frauen uns nicht verstecken müssen. Und ich habe nie irgendwo eine schlechte Erfahrung gemacht. Daher kann ich es nur empfehlen."