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Berufseinstieg mit Handicap

Das Deutsche Studentenwerk bietet ein Berufseinsteiger-Seminar für Behinderte an. Eines der Ziele: Die Behinderten sollten selbstbewusst mit ihrem Handicap umgehen und ihre Stärken herausstellen.

Von Britta Mersch | 27.07.2006
    Wenn man David Wenzel sieht, fragt man sich, warum er sich zum Thema Berufseinstieg mit Behinderung beraten lässt. Dem 22-Jährigen sieht man sein Handicap nicht an. Dabei ist sein Sehvermögen seit sechs Jahren stark eingeschränkt:

    "Mein räumliches Orientierungsfeld ist recht gut erhalten, deswegen kann ich mich auch räumlich sehr gut orientieren. Was fehlt, ist das zentrale Gesichtsfeld, womit man die Sachen zentriert und sie scharf schaut, liest. Also direkt jemandem in die Augen zu sehen, das kann ich nicht. Ich muss praktisch vorbeischauen."

    Im Gespräch mit David Wenzel fällt das nicht auf. Denn mit den Jahren hat der angehende Gesundheitsmanager gelernt, mit seiner Sehschwäche umzugehen. Einige Aufgaben kann er zwar nicht so leicht erledigen wie seine Kommilitonen. Aber er hat Wege gefunden, seinen Alltag zu organisieren - wie etwa bei Referaten im Studium.

    "Das habe ich dann auch mit Medien gemacht, mit Powerpoint oder Folien, welche ich dann selber nicht lesen konnte, aber dem Zuhörer schon zur Verfügung stellen wollte, das nachzuvollziehen. Und das wichtigste ist gewesen, was ich gelernt habe, um diesen Blick aus mir heraus zu sehen, dass andere Menschen das nicht unmittelbar nachvollziehen können und in einen auch nicht hereinschauen können, wie man wo Bedarf besteht oder wo vielleicht auch Unwissen besteht, welches dann zu Ängsten, meist unbegründeten Ängsten führt, oder Besorgnis oder so."

    Diese Ängste und Unsicherheiten erleben Menschen mit chronischen Krankheiten oder Behinderungen häufig, sei es im Studium, sei es bei der Bewerbung um eine Stelle. Bei dem Seminar des Deutschen Studentenwerks, das noch bis morgen in Bonn stattfindet, lernen die Bewerber, mit diesen Irritationen umzugehen - und wie wichtig es ist, im Vorstellungsgespräch offensiv aufzutreten. Präsentationstrainerin Almut Nötzold:

    "Mein größtes Anliegen ist, das so genannte innere Standing zu stärken, sie dazu zu bringen, auch mit Einschränkung, mit Behinderung, selbstbewusst aufzutreten, ihre Behinderung nicht in den Vordergrund zu stellen, sondern sich selbst mit all dem, was sie an tollen Sachen anzubieten haben, immer in den Mittelpunkt zu rücken und sich sehr stark auf ihre fachliche Qualifikation besinnen und natürlich ganz stark auch ihre persönliche Qualifikation sich permanent bewusst machen."

    Rund ein halbes Prozent der Studienabsolventen in Deutschland lebt mit einer Behinderung oder einer chronischen Krankheit, schätzt Reiner Schwarzbach von der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung in Bonn. Für Unternehmen ist es deshalb eine seltene Erfahrung, dass sich Bewerber mit Behinderung bei ihnen melden:

    "Ich mache relativ häufig die Erfahrung, dass es sehr schwierig für viele Menschen ist, einzuschätzen, wie leistungsfähig Menschen mit Behinderung sein können. Umgekehrt mache ich sehr häufig die Erfahrung, dass Arbeitgeber, die sehr positive Erfahrungen mit behinderten Mitarbeitern gemacht haben, sie auch immer wieder einstellen, weil sie einfach sehen, dass es häufig Menschen sind mit einer extrem hohen Motivation und auch Fähigkeit."

    Für die Seminarteilnehmer bedeutet das: Sie sollten selbst aktiv werden und ihre Stärken in den Vordergrund stellen. Das klingt plausibel, fällt vielen Betroffenen aber schwer. David Wenzel hat einen Weg gefunden, Freunde und Kollegen für seine Sehschwäche zu sensibilisieren:

    "Mittlerweile ist es so, dass ich in den Situationen, wenn ich es für angemessen halte, entweder mich melde und sage, um Missverständnisse auszuräumen, dass ich jemanden nicht absichtlich nicht grüße oder an ihm vorbei gehe, obwohl er mich direkt anschaut (...). Aber es stellt sich schnell ein, wenn man mich kennen lernt und in gewissen Situationen auch beobachtet, wie ich reagier. Und wenn auf eine Gruppe treffe, mit denen ich mich treffen möchte, dann über Bewegungen oder Handzeichen. Und manchmal muss es ein halber Hampelmann sein, um mich aufmerksam zu machen. Aber das kriegen die Leute relativ schnell heraus, dass ich nicht umherirre."