Dienstag, 30. April 2024

Archiv


Berufswunsch: Rabbinerin

In diesen Tagen feiert das Abraham-Geiger-Kolleg an der Universität Potsdam seinen fünften Geburtstag - die einzige Ausbildungsstätte für Rabbiner in Deutschland, in der junge Leute bis zum Ordinariat geführt werden können. Da das Abraham-Geiger-Kolleg eine Ausbildungsstätte des liberalen Judentums ist, sind auch Frauen zugelassen, so dass unter den elf angehende Rabbinern in Potsdam auch Deutschlands einzige Rabbiner-Studentin zu finden ist: Alina Treyher.

Von Claudia van Laak | 11.11.2005
    " Vielleicht können wir an der Stelle auf unser unspezifisches Vorwissen bezüglich antijüdischer Gewalt eingehen, was haben Sie für Vorstellungen über eine pogromierende Masse."

    "Gewalt in der jüdischen Lebenswelt des östlichen Europa vom Mittelalter bis zum Völkermord" lautet der Titel des Seminars an der Universität Potsdam. Schwere Kost. Auch die Umgebung ist nicht gerade freundlich, der Unterricht findet in einem Container statt. Hartes Neonlicht strahlt von der Decke, billige Büromöbel und ein grauer Linoleumfußboden vervollständigen das triste Bild. Alina Treyher scheint das nicht zu stören, sie schreibt fleißig mit. Vor sich auf dem Tisch eine halbleere Mineralwasserflasche und ein buntes Federmäppchen.

    " Ich studiere hier an der Potsdamer Universität als eine normale Studentin wie alle anderen, und ich muss genau die Leistungen vollbringen wie alle bringen, in dem Sinne, ich fühle mich ganz normal."

    Alina Treyher hat Jüdische Studien, Religionswissenschaften und Psychologie belegt. Sie trägt Fellstiefel, Jeans und eine rostrote Jacke aus Samt. Die Augenbrauen sind zu einem schmalen Strich gezupft, die Wimpern getuscht. Alina fällt nicht auf unter den Potsdamer Studierenden. Es ist eher die Außenwelt, die sie immer wieder darauf hinweist, dass die 27-Jährige etwas Besonderes ist. Eine Jüdin aus der Ukraine, die in Deutschland studiert und hier die Smicha erhalten wird, die Ordination zur Rabbinerin.

    " Judentum seit früherer Zeit ist eine männliche Welt und es ist ganz ungewöhnlich und selbst in den liberalen Gemeinden die Vorstellung von einem Rabbiner ist immer noch die traditionelle Vorstellung."

    Das hält Alina Treyher nicht davon ab, ihrer Berufung zu folgen. Nicht laut und fordernd. Mit leiser Stimme und beharrlich.

    " Ich weiß, dass ich es kann. Ich kann nicht sagen, dass ich als Frau etwas schlechter mache als die Männer, auf diesem Niveau fühle ich mich ganz sicher in diesem Beruf."

    Deutschland ist für die jüdische Studentin nicht das Land der Täter - zumindest nicht in erster Linie. Es ist ein freundliches Land, sagt Alina Treyher, und vergleicht ihre Wahlheimat Deutschland mit ihrem vorherigen Studium in Moskau, wo sie als Ukrainerin vergleichsweise schlecht behandelt wurde.

    " Als ich hierher kam, es war für mich ein Paradies, ich habe eine Wohnung bekommen, ich habe ein Stipendium bekommen, ich hatte keine finanziellen Schwierigkeiten."

    Ihre Eltern unterstützen sie in dem Wunsch, Rabbinerin zu werden. Und doch musste sie zuhause erst Vorurteile zerstreuen. Geh nicht nach Deutschland, hatten ihr viele geraten.

    " Wohin fährst du? hast Du keine Angst? Du kannst keine Sprache. Überleg es Dir lieber noch einmal, heirate und bleibe hier."

    Mir geht es gut, versichert sie immer wieder in ihren Briefen und Emails. Deutschland sei ein anderes Land geworden.

    " Also ich habe keine Angst oder Gefahrgefühl, dass mir hier etwas passieren wird. Ich fühle mich hier sicher. Ich als Jüdin gehe mit dem Thema auch vorsichtig um, ich will nicht immer daran erinnern, dass so etwas passiert ist."

    In vier Jahren wird die Ukrainerin ihr Studium am liberalen Abraham-Geiger-Kolleg beendet haben. Sie wird dann - nach der weltweit ersten Rabbinerin Regina Jonas im Jahr 1935 - die zweite Rabbinerin sein, die in Deutschland ausgebildet wurde. Am liebsten würde Alina Treyher in ihrer Wahlheimat bleiben und bei der Integration jüdischer Zuwanderer aus Osteuropa helfen. Viele deutsche Gemeinden suchen händeringend einen Rabbiner - doch eine Frau akzeptieren nur wenige.