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Besatzer und Besetzte

Die Historikerin Silka Satjukow untersucht in ihrem Buch "Besatzer" die Rolle des russischen Militärs in Deutschland zwischen 1945 und 1994. Im Gegensatz zur amerikanischen Besatzungszone, in der das Fraternisierungsverbot Ende 1945 aufgehoben wurde, igelten sich die sowjetischen Truppen ab 1947 in ihren Kasernen und separaten Städtchen ein. Besatzer und Besetzte blieben sich fremd - und selbst auf der Ebene der Institutionen bestimmte Misstrauen den gegenseitigen Umgang. Eine Rezension von Henry Bernhard.

07.07.2008
    Druschba, mein Freund, wie schön dich zu seh'n;
    Druschba, mein Freund, wie sieht's bei euch aus;
    Druschba, mein Freund, so lange wir hier steh'n,
    löscht keine Hand uns're Freundschaft aus.


    "Druschba" - also Russisch für "Freundschaft" - So sang es der Stasi-Chor bis 1989 in der DDR - zum Ruhme der Deutsch-Sowjetischen Waffen-Freundschaft, so pathetisch wie verlogen. Denn wirkliche Freundschaften zwischen DDR-Bürgern und Sowjetsoldaten abseits von öffentlichen Veranstaltungen waren von den misstrauischen SED-Funktionären gar nicht so gern gesehen.

    " Um das zu wahren, stellt man die Beziehungen kalt: Man organisiert Treffen und tauscht die Protagonisten, die Akteure ständig wieder aus. Niemand sollten den anderen ein zweites Mal sehen. Sie sollten keinen Namen haben, wenn möglich, gar nicht miteinander reden. Das heißt, Freundschaft auf dem Papier war das, was die sogenannten "misstrauischen Patriarchen, das heißt die DDR-Führung, geplant hat und auch geschafft hat. "

    Die Historikerin Silke Satjukow hat die 49 Jahre Besatzungsgeschichte der sowjetischen Truppen in Ost-Deutschland untersucht. Jeweils etwa 500.000 sowjetische Soldaten waren in Deutschland stationiert, dazu kamen Zivilpersonal und Ehefrauen der Offiziere. Am Ende belegten sie über 1000 Objekte mit 36.000 Gebäuden. Das bedeutet, das gut zwei Prozent der DDR direkt von der Roten Armee belegt waren. Kontakte blieben da unvermeidlich.

    " Sie haben nicht damit gerechnet, dass es insgesamt etwa 10 Millionen Sowjetrussen auf dem Territorium der DDR gab über diese fünf Jahrzehnte. Und weil sie hier gelebt haben, Haus an Haus mit den Deutschen, konnte diese kaltgestellte Freundschaft sehr schnell auch heiß laufen - in Liebesbeziehungen, Arbeitsbeziehungen, Straftaten. Diese heiß gelaufenen Beziehungen hatten die Funktionäre der DDR nicht im Griff, sie haben versucht, sie zu verhindern. Und vor allem haben die Russen versucht, sie zu verhindern, aus militärischen Ängsten, Angst vor Geheimnisbruch, ja und vor allem auch, dass ihre eignen Soldaten nicht sehen können, dass das Paradies nicht in ihrem eigenen Land, in der Sowjetunion, sondern womöglich doch im Westen. "

    Silke Satjukow hat ein kluges Buch geschrieben: Reich an Fakten, an Analysen, aber auch an anschaulichen Bildern. Sie beschreibt auch Gerüche, Mythen, Rituale. Ihr gelingt es, eine politisch-historische Analyse der Besatzungszeit abzugeben - ohne auf die vielgestaltige Alltagsgeschichte der Besatzung zu verzichten. Auch die entwürdigenden Lebensbedingungen und die hohen Selbstmord- und Desertionszahlen der sowjetischen Rekruten werden deutlich. So haben Tischlerfirmen vor den großen Militärmanövern jeweils Dutzende von Särgen auf Vorrat gezimmert - sie wurden erfahrungsgemäß immer benötigt.

    Die Autorin zeigt, wie die sowjetische Militäradministration - direkt oder indirekt, auf Befehl, Weisung oder schlicht durch ihre Präsenz - den Willen Moskaus in der DDR durchsetzte. Auf der anderen Seite standen die SED-Machthaber, die ihre Vorstellungen immer wieder vorbrachten, vor allem die Forderung nach klar definierten und nicht immer weiter ausufernden Besatzungskosten, die die DDR bis zu ihrem Ende tragen musste.

    " Kurioserweise hat man die Stationierungskosten bei den Stationierungsvereinbarungen außen vor gelassen. Dann haben die Russen Ende der 50er Jahre versprochen: "Es kostet euch kaum was. Wir zahlen alles selbst." Das war eine pure Propagandalüge von Chruschtschow. Das heißt: Jedes Jahr sind die Besatzungskosten angestiegen; in den 80er Jahren so hoch, dass die DDR sie eigentlich nicht mehr zahlen konnte. Aber sie hat sie dennoch gezahlt, weil die Regierung sich nicht getraut hat, nein zu sagen. "

    Die sowjetische Besatzung im Osten Deutschlands gliedert sich in mehrere Phasen: Die chaotische Zeit unmittelbar nach dem Krieg, mit Morden, Vergewaltigungen, Plünderungen; die geordnetere Konsolidierungsphase bis Mitte der 50er Jahre, die zeigte, dass die SED die sowjetische Besatzung zum Machterhalt brauchte; die vertraglich abgesicherte Phase ab Mitte der 50er Jahre, die aus der "Besatzung" formal eine gewollte "Stationierung" machte, die DDR aber dennoch rechtlos gegenüber der Sowjetischen Militäradministration ließ.

    Mit dem Mauerbau 1961 war die Besatzung etabliert. Die Sowjets lebten nicht nur exterritorial in der DDR, sondern auch extralegal, wie die Autorin überzeugend darlegt. Straftaten von sowjetischen Militärangehörigen außerhalb der Kasernen sollten eigentlich von der DDR-Justiz verfolgt werden. Praktisch wurden alle Fälle an die sowjetische Militärstaatsanwaltschaft übergeben und von der nur unzureichend verfolgt.

    Faszinierend ist die Geschichte der sowjetisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen, die ja bei der Besatzung zwangsläufig auch mit entstanden und die die Autorin mit vielen, geradezu absurd anmutenden Beispielen illustriert.

    " Sie waren seit den 60ern ein immer wieder gern genutzter Aushilfeposten: Ernteeinsätze, ne Havarie, ne Stoßarbeit im Betrieb - da waren sie willkommen, begehrt - Soldaten genauso wie Offiziersfrauen. Und sie wurden in den 70ern und spätestens in den 80ern unverzichtbar für die DDR-Wirtschaft. Das heißt: Man kannte sich, man feierte zusammen, und es genügte häufig ein Anruf, um Arbeitskräfte, Baumaterialien, Benzin, alles mögliche zu bekommen. "Eine Hand wäscht die andere." hieß es. Und die sowjetischen Kommandeure haben das Benzin illegal abgeknapst und haben Geld damit gemacht. Ein Teufelskreis, der letztlich die Wirtschaft geschädigt hat und nicht hilfreich war. "

    1994, nach der Wiedervereinigung, stahlen sich die "Russen" - wie sie noch immer genannt wurden - aus Deutschland davon; eine große Militärparade wurde ihnen, den Siegern des 2. Weltkrieges, verweigert. Sie hinterließen Tausende verkommener Gebäude, illegale Müllkippen und etwa 10.000 herrenlose Katzen und Hunde. Die Autorin schildert das Miteinander, Nebeneinander und Gegeneinander der sowjetischen Besatzungstruppen, der DDR-Funktionäre und der normalen Bürger. Wünschenswert wäre es, dass solche analytischen, die gesamte Besatzungszeit überspannenden Untersuchungen auch über die amerikanische, britische und französische Zone erschienen.

    Silke Satjukow: Besatzer. Die Russen in Deutschland 1945 bis 1994, Vandenhoek & Ruprecht, 405 Seiten, 34,90 Euro