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Beschleunigte Entsorgung

Physiologie. - In jeder Zelle sorgt eine ausgeklügelte Qualitätskontrolle, dass die Proteine, mit denen die Zelle funktioniert, intakt sind. Doch bei manchen Krankheiten ist die zelluläre Qualitätskontrolle überfordert. Forscher von der Harvard Universität berichten in der heutigen Ausgabe von Nature, wie sie der Qualitätskontrolle auf die Sprünge helfen können.

Von Volkart Wildermuth |
    Eiweiße oder Proteine sind zentral für das Überleben einer Zelle. Sie dienen als Baumaterial, als Motor, als Sensor oder als chemischer Dirigent des Stoffwechsels. Seine spezifische Aufgabe kann ein Protein aber nur erfüllen, wenn es eine genau definierte Form hat. Nicht jedes Eiweiß ist aber perfekt. Manche haben schon bei der Herstellung einen Defekt, andere verschleißen mit der Zeit. Solche Problem-Proteine erkennt die Zelluläre Qualitätskontrolle. Sie heftet ihnen eine Art "Ist defekt"-Aufkleber an, der sie zu den Recyclingcentern dirigiert, zu den Proteasomen.

    "Wenn dieser Mechanismus perfekt wäre, alle schlechten, fehlgeformten, mutierten Eiweiße erkennen würde, dann gäbe es viele Krankheiten nicht. Aber er ist nicht perfekt und deshalb wäre es gut, ihm einen kleinen Anstoß zu geben. Darum geht es in unserem Projekt."

    Dr. David Finley von der Harvard Medical School im amerikanischen Boston ist ein Spezialist für die Proteasomen. Diese komplexen biologischen Maschinen im Inneren der Zellen, bestehen selbst aus über 40 Eiweißen. Sie ergreifen alle mit dem "Ist defekt"-Aufkleber markierten Proteine, ziehen sie ganz mechanisch in sich hinein und zerlegen sie dann in ihre Bausteine. Bevor ein Proteasom sein sinnvolles Zerstörungswerk beginnt, gibt es Kontrollen. Ein Eiweiß namens USP-14 kann den "Ist Defekt"-Aufkleber wieder entfernen und das Protein wird verschont. Die Details verstehen auch die Forscher noch nicht. Vielleicht dient USP-14 als Kontrolle der Qualitätskontrolle. Es könnte aber auch sein, dass USP-14 dafür sorgt, dass immer genug der "Ist defekt"-Aufkleber vorhanden sind. Wie auch immer, letztlich wirkt USP-14 als Bremse für das Proteasom. Normalerweise ist das kein Problem. Wenn aber durch Stress oder bestimmte Krankheiten ungewöhnlich viele defekte Proteine entstehen, dann kommt das gebremste Proteasom mit der Entsorgung nicht hinterher. Die defekten Eiweiße sammeln sich an und schädigen auf Dauer die Zellen. David Finley hat nach Wegen gesucht, in diesen Fällen die Aktivität der zellulären Qualitätskontrolle zu steigern. Nach langem Suchen hat er einen Stoff gefunden, der USP-14 blockiert. So wie minus mal minus plus ergibt, führt die Hemmung der Bremse USP-14 zu einer Aktivierung des Proteasoms. Das zeigte sich bei Zellen, die defekte Proteine bilden.

    "Wir haben den Hemmstoff zugefügt und die Menge der defekten Proteine sank deutlich. Genau das würde man bei einer Therapie erreichen wollen. Diese Eiweiße sind giftig und wenn man ihre Menge reduziert, dann sollte das helfen."

    Konkret hat sich David Finley Eiweiße angesehen, die bei der Alzheimer'schen Krankheit und bei einer Form der fortschreitenden Muskellähmung eine entscheidende Rolle spielen. Auch gestresste Zellen, etwa bei Enzündungskrankheiten haben Probleme, defekte Proteine zu entsorgen.

    "Sauerstoffradikale schädigen Zellen, setzen sie unter oxidativen Stress. Proteine und DNA und Zellmembranen, sie alle werden beschädigt. Mit unserer Substanz konnten wir nicht nur die oxidierten Proteine entfernen, sondern den Zellen auch helfen, den Schaden durch die Sauerstoffradikale zu überstehen."

    Sauerstoffradikale und giftige Eiweiße spielen nicht nur bei Alzheimer eine große Rolle, sondern bei sehr vielen Krankheiten. In all diesen Fällen könnte der neue Hemmstoff die Bremse des Proteasoms lösen, so dessen Aktivität steigern und letztlich die Zelle entgiften. David Finley hofft nun, dass seine Ergebnisse Pharmafirmen dazu motivieren, in die Aktivierung der zellulären Qualitätskontrolle zu investieren.

    "Wir hoffen, dass am Ende etwas Gutes für die Gesundheit herauskommt, aber es wird noch lange dauern, bevor wir das sicher wissen."