Dienstag, 30. April 2024

Archiv


Beschmutzt und schlammig ist die Welt...

Wer einmal das Zuhause hat verlassen müssen - vertrieben oder auf der Flucht vor Verfolgung - wird nicht mehr heimisch in der Welt: Die verzweifelte Aussage des chinesischen Dichters Tschü Yüan vor fast zweitausenddreihundert Jahren, nachdem dieser königliche Spross seines Ratspostens enthoben, verleumdet und vom Hof und aus seiner Heimat verbannt worden war, die Weltsicht des Tschü Yüan ähnelt in weiten Teilen der des Dichters Theodor Kramer im 20. Jahrhundert und den persönlichen Erfahrungen des Sinologen Ernst Schwarz, der Kramer und Tschü Yüan im Spiegel ihrer Dichtungen in dieser Langen Nacht porträtiert.

Von Ernst Schwarz | 11.09.2004
    Ernst Schwarz, der als junger Mann 1938 nach Schanghai floh und erst ein Vierteljahrhundert später nach Europa zurückkehrte, hat in den darauf folgenden vierzig Jahren nicht nur chinesische Dichtung, Philosophie und Geschichte einem deutschsprachigen Publikum vermittelt: Ernst Schwarz hat auch die Zusammenhänge zwischen Dichtung und Exil, wie sie sich bei Tschü Yüan und Theodor Kramer zeigen, sensibel nachgezeichnet und in der eigenen Suche nach dem Namenlosen zu beschreiben versucht.
    Ernst Schwarz, der Dichter, Übersetzer und Essayist, starb am 6. September vergangenen Jahres im Alter von siebenundachtzig Jahren.

    Literatur von Ernst Schwarz

    Ernst Schwarz, Hrsg.
    Bi-Yän-Lu. Aufzeichnungen des Meisters vom Blauen Fels.
    Koan-Sammlung
    Ernst Schwarz, der bekannte Übersetzer des Tao-te-king, erschließt nun den anderen Klassiker der chinesischen Literatur vom 12. Jh. n. Chr.: Bi-Yän-Lu. Alle 100 Koan-Musterbeispiele der ursprünglichen Zen-Praxis werden neu übersetzt, für den heutigen Leser kommentiert und mit Worterklärungen versehen. Der bekannte Sinologe und Dichter präsentiert mit höchster Kompetenz das Meisterwerk der Weltliteratur und das wichtigste Werkbuch der Zen-Spiritualität. Eine gründliche Einführung in die Vorgeschichte, in den unmittelbaren Kontext dieser Koan-Sammlung des Meisters vom Blauen Fels sowie in die Grundlinien der Zen-Spiritualität und nicht zuletzt die einfühlsamen Tuschezeichnungen eines modernen Künstlers bereichern den klassischen Text.
    Kösel-Verlag 1999
    ISBN 3-466-20443-7

    Ernst Schwarz
    Konfuzius: Gespräche des Meisters Kung.
    München: dtv 1985.

    23.05 Uhr
    Wenn einer Lao Dsé oder Kung Fu-dsé - die Grundschriften der Weisheit Chinas - aus dem chinesischen meisterhaft ins Deutsche übertragen hat, dann kennzeichnet einen solchen Menschen nicht nur sein sinologischer Sachverstand. Auch für den Schriftsteller Ernst Schwarz waren Brüche in der Biografie lebensbestimmend seit seiner Kindheit in Wien, während mehr als zwei Jahrzehnten in China und auch in seiner zweiten Lebenshälfte, die geprägt war von einem Brückenbau zwischen Orient und Okzident. Friedhelm Ptok und Gunter Cremer präsentieren den Radioessay des Sinologen Professor Ernst Schwarz.

    00.05 Uhr
    "Beschmutzt und schlammig ist die Welt" - so umriss der chinesische Dichter Tschü Yüan vor zweitausenddreihundert Jahren seine Erfahrungen und Enttäuschungen als Hofbeamter in einem jener Staaten, die bald darauf zu einem einheitlichen chinesischen Reich zusammengeführt wurden. Ernst Schwarz zeichnet im folgenden Radioessay das Bild einer klar konturierten Persönlichkeit, eines Menschen, der wie ein Zeitgenosse wirkt. Wie anders sich jedoch die konkreten Zeitläufe damals konstellierten, kennzeichnet der Sinologe Ernst Schwarz zu Beginn seine Essays. Joachim Nottke, Peter Lieck und Rudolf-Jürgen Bartsch präsentieren die Texte.

    01.05 Uhr
    "Ich suche Trost im Wort" Ein Versuch über Theodor Kramer
    Thomas Mann sprach von ihm als einem "der größten Dichter der jüngeren Generation", hob die "außergewöhnliche Qualität seiner Arbeit" und "seine intellektuellen Begabungen" hervor, damals 1939, als er beim englischen Außenminister für Theodor Kramer intervenierte: Asyl suchte Theodor Kramer vor den inzwischen auch in Wien regierenden Nationalsozialisten, die ihn und seinesgleichen bis auf den Tod verfolgten.
    Ernst Schwarz - um zwei Jahrzehnte jünger als Theodor Kramer, aber vom gleichen Schicksal geprägt wie jener - lässt in seinem Radioessay diesen österreichischen Dichter aus dem allgemeinen Vergessen heraustreten.