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"Beschneidung halbiert das Risiko"

Medizin. - Die Beschneidung, so haben es groß angelegte Studien ergeben, verringert das Ansteckungsrisiko mit dem Aids-Virus auf rund die Hälfte. Weltweit ist fast jeder dritte Mann beschnitten. Auf der Welt-Aids-Konferenz war daher die Beschneidung ein wichtiges Thema. Der Wissenschaftsjournalist Martin Winkelheide berichtet im Gespräch mit Michael Böddeker.

22.07.2010
    Böddeker: Herr Winkelheide, wie hoch ist denn der Schutz, wie sind denn die Zahlen?

    Winkelheide: Es gibt sehr unterschiedliche Zahlen. Das hängt zum einen davon ab, wie derjenige, der dann neu beschnitten ist, sich verhält. Und zum anderen hängt es davon ab, wie viele Infizierte in dem Land leben, in dem er lebt. Und insofern schwanken die Zahlen zwischen 40 und 60 Prozent. Aber man kann sagen, Beschneidung halbiert das Risiko, sich anzustecken.

    Böddeker: Und wie verlässlich sind diese Daten?

    Winkelheide: Das ist in großen Studien nachgewiesen worden, zum ersten Mal vor drei Jahren. Und seitdem empfehlen die Weltgesundheitsorganisation und die UN-Organisation UNAids auch die Beschneidung tatsächlich als Vorbeugungsmaßnahme im Kampf gegen Aids.

    Böddeker: Der Effekt ist also nachgewiesen. Aber wie kommt er zustande? Warum infizieren sich beschnittene Männer weniger als unbeschnittene?

    Winkelheide: Weil ein Stück Schleimhaut fehlt. Also man weiß, das Virus dringt besonders leicht in verletzte Schleimhaut ein. Und eben, wenn die Vorhaut weg ist, beim Geschlechtsverkehr entsteht ja auch Reibung, das heißt, die Schleimhaut wird eher mal rissiger oder poröser, und das Virus kommt leichter durch. Wenn diese Schleimhaut fehlt, dann ist da eben nur noch normale Haut, die ist dann auch so besiedelt, wie unsere Haut normalerweise besiedelt ist. Das heißt das ist eher ein saures Milieu, es leben gute Bakterien darauf, und die schützen eben auch die Haut und haben eine wichtige Barrierefunktion. Und die Barrierefunktion ist bei beschnittenen Männern größer als bei unbeschnittenen.

    Böddeker: Verhalten sich denn beschnittene Männer im Durchschnitt auch etwas anders als unbeschnittene?

    Winkelheide: Das hat man lange Zeit angenommen, dass man dachte, na ja, wer sich hat beschneiden lassen, der lebt dann riskanter, der wird leichtsinniger, der nimmt auch Risiken auf sich und benutzt seltener Kondome. Das ist ganz schwierig zu erfragen, tatsächlich wie es denn nun wirklich ist. Es hat mehrere Studien dazu gegeben und was sich so ein bisschen als überraschend herauskristallisiert, ist, dass die Männer, die sich nicht haben beschneiden lassen, die denken, dass die beschnittenen Männer, weil sie ja besser geschützt sind, etwas riskanter leben.

    Böddeker: Wie sinnvoll ist es denn Männer im großen Stil zu beschneiden, um sie vor einer Infektion zu schützen?

    Winkelheide: Sinnvoll ist das schon, die Frage ist nur: Wie macht man das denn? Und genau da fangen die Probleme an. Man weiß von Hochrechnungen, wenn das..., wenn man es schaffen würde, 80 Prozent der Erwachsenen und der neugeborenen Kinder, also männlichen Geschlechts, in Ost- und Südafrika bis 2015 zu beschneiden, da würde man vier Millionen Neuinfektionen, HIV-Neuinfektionen, verhindern und man würde auch eine Menge..., man wird zwar eine Menge Geld ausgeben, aber auch eine Menge Geld sparen. Man rechnet damit, dass ungefähr zwei Milliarden Dollar Folgekosten des Nordens will, wenn man die Beschneidung machen würde. Die Beschneidung selber ist ja nicht sehr teuer. Sie kostet im Schnitt, das hängt ein bisschen von den einzelnen Gesundheitssystemen ab, so um die 30 oder 40 Dollar. Das heißt, das ist noch finanzierbar, weil es keine Folgekosten gibt. Das Problem ist natürlich, wie man die Männer dafür gewinnt sich auch beschneiden zu lassen.

    Böddeker: Eine letzte kurze Frage. Das klingt ja alles sehr positiv. Aber es gibt auch bestimmte Komplikationen, die auftreten können bei der Beschneidung?

    Winkelheide: Die Komplikationsrate sind relativ gering, sagt eine aktuelle Studie aus den USA. Die kann man nun nicht 1:1 übertragen auf andere Länder, aber die Hauptrisiken, dass der Penis amputiert werden müsste, dass es zu Blutungen kommt oder zu Schwellungen, unangenehmen, das ist extrem, extrem selten, oder kommt gar nicht vor. Man müsste jetzt genau gucken, wie das in anderen Ländern ist, vor allem im südlichen Afrika. Da gibt es nicht so gut Zahlen, das liegt auch unter anderem daran, dass man in Kenia jetzt ein großes Programm aufgelegt hat, aber dann eben nur bei jedem fünften nachgefragt hat, na, gab es den Probleme. Das heißt da geht man eher mehr oder weniger davon aus, wer Probleme hat, also, wenn es zu Blutungen kommt, der wird schon wieder in die Klinik kommen. Wichtig ist ja, dass man herausstellt, die Männer haben etwas davon, sie leiden nicht bei der Qualität des Sexualverkehrs, und ein überraschender Befund, welcher auch präsentiert wurde, Frauen sind sehr zufrieden mit beschnittenen Männer. Und die Zufriedenheit von Frauen ist extrem wichtig, denn die treffen oft auch die Entscheidung, ihre Kinder beschneiden zu lassen, also ihre Söhne. Sozusagen als Lebensversicherung für die Zukunft.