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Beschwingt und lautlos

Technik. - Die junge Wissenschaft der Adaptronik beschäftigt sich mit "intelligenten" Werkstoffen, die sich an veränderte Bedingungen anpassen können. Dazu zählt etwa Piezokeramik im Einwegfeuerzeug, aber auch Materialien, die Schwingungen dämpfen und so Lärmpegel senken.

Von Christoph Kersting | 09.06.2008
    Schiffsdiesel machen bekanntlich einen Höllenlärm. Das liegt vor allem an den starken Vibrationen des riesigen Motors. Doch gegen die nervigen Schwingungen lässt sich etwas tun, sagt Heiko Atzrodt vom Darmstädter Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF:

    "Normalerweise sind in Schiffsdieseln als Lager passive Elemente drinnen, das heißt, man hat ein Gummielement, das die Vibrationen dämpft, die durch den Schiffsmotor entstehen, und wir versuchen ein System aufzubauen, in dem auch aktive Systeme drin sind, das heißt man hat smart materials, Piezokeramiken zum Beispiel, die aktiv dagegen steuern, um Schwingungen zu reduzieren."

    Piezokeramiken arbeiten nach einem einfachen physikalischen Prinzip: Die in ihnen enthaltenen Quarzkristalle geben elektrische Energie ab, sobald mechanische Kräfte auf sie einwirken – das Feuerzeugprinzip. Dieser Piezoeffekt funktioniert aber auch in umgekehrter Richtung. Erhalten die Piezokristalle also einen elektrischen Impuls von außen, verändern sie ihre Form und können so äußeren Kräften entgegen wirken – zum Beispiel Vibrationen mindern oder ausschalten. Nach diesem Prinzip arbeitet auch die Schwingungsdämpfung bei Schiffsdieseln. Piezokeramiken arbeiten hier als Sensor, der die Vibrationen aufnimmt, und gleichzeitig als Stellmotor oder Aktor, der der Schwingung entgegen wirkt, erklärt Ingenieur Heiko Atzrodt:

    "Wenn die Schwingung kommt, wird gemessen, welche Schwingung kommt, das geht in einen Regler rein. Der Regler entscheidet, welches Signal auf die Aktorik übertragen werden soll, und die Aktorik steuert entsprechend gegen das Signal, das durch den Schiffsmotor entsteht."

    Die aktive Schwingungsdämpfung für Schiffsdiesel haben die Forscher bereits im Motor eines Seenotrettungskreuzers bei Fahrten auf Weser und Ostsee getestet. Ergebnis der Versuche ist laut Heiko Atzrodt eine deutliche Lärmminderung. Exakt quantifizieren können die Forscher die Schwingungsminderung jedoch noch nicht, sie arbeiten zur Zeit an einer Verfeinerung des Systems. Neben Piezowerkstoffen spielen so genannte Formgedächtnislegierungen in der Adaptronik eine wichtige Rolle. Diese Legierungen werden zumeist durch Temperaturänderungen aktiviert und verändern oberhalb einer bestimmten Schwelle ihre Länge. Aus solchen thermischen Legierungen werden zum Beispiel in der Medizin so genannte Stents hergestellt - feinste Drahtkorsetts, die verengte Blutbahnen erweitern sollen und auf die Körpertemperatur reagieren. Bestimmte Formgedächtnislegierungen reagieren auch auf magnetische Reize, sagt Sebastian Fähler vom Dresdner Leibniz-Institut für Festkörper und Werkstoffforschung, das Teil des Forschungsverbundes "Magnetic Shape Memory" ist.

    "Der Grundgedanke ist, dass man zu Materialien übergeht, bei denen man eine sehr hohe Dehnung haben kann. Also Piezokeramiken zum Beispiel haben typischerweise eine Dehnung von 0,1 Prozent. Magnetische Formgedächtnislegierungen haben eine Dehnung von bis zu zehn Prozent. Im Grunde genommen hat man kleine Elementarzellen, die in eine Richtung länger sind, in eine Richtung kürzer sind, und durch ein Magnetfeld kann man die Ausrichtung dieser Elementarzellen verändern. Und wenn man das für alle Elementarzellen macht, ändert sich auch die Ausdehnung der gesamten Distanz."

    Interessant könnten die neuartigen Legierungen etwa für Hersteller von Mikroskopen sein, in denen kleinste Spiegel bewegt oder Laser präzise ausgerichtet werden müssen. Doch im Gegensatz zu Piezowerkstoffen betreibt die Adaptronik hier laut Sebastian Fähler noch Grundlagenforschung. Mit serienreifen magnetisch steuerbaren Legierungen sei nicht vor fünf Jahren zu rechnen.

    http://www.actuator.de/