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Besessen von Ballerinen und Serienmördern

Der belgische Regisseur Michael Laub, der eigentlich kein Choreograf und schon gar kein ausgebildeter Tänzer ist, arbeitet seit 1975 an den charmantesten, hintergründigsten und auch subversivsten Tanzwerken, die die Postmoderne so kennt. Sein neuestes Werk "Death, Dance and Some Talk" ist jetzt in den Berliner Sophiensaelen zu sehen.

Von Wiebke Hüster |
    So selbstironisch klingen Stückbeschreibungen bei Michael Laub: Ok, das wolltest du also, beginnt der Text zu "Rough" von 1994, als Michael Laubs Tänzer auch schon - wie jetzt im neuesten Stück - in umgewickelten weißen Badelaken und mit Frotteetücherturbanen auf der Bühne erschienen - ok, du wolltest also diese wirklich große Produktion, ein Musical, aber du kannst nicht, weil sie sagen, du musst tiefer gehen in deiner Arbeit, mit weniger Geld und weniger Zeit und mit weniger Darstellern - also sie sagen, du musst weiter gehen in deiner Arbeit und aufhören, von Ballerinen, Serienmördern und Modedesignern besessen zu sein, weil das einfach nicht mehr interessant ist, na und du kannst nicht weiterkommen mit dieser Arbeit, also beschließt du einen Dokumentarfilm darüber zu machen und fängst an alles auf Video aufzuzeichnen, du kannst aber nichts davon gebrauchen, denn niemand sagt etwas Interessantes, also lässt du die Idee mit der Dokumentation fallen und machst stattdessen eine Seifenoper oder einen Dokumentarfilm über eine Seifenoper oder eine Seifenoper über einen Dokumentarfilm.

    So ging das 1994, so geht es wunderbarerweise auch 2010: Michael Laub ist nach wie vor besessen von Ballerinen und Serienmördern und in einem eigentlich nichtexistenten Genre tätig irgendwo zwischen Musical, Seifenoper und Dokumentartheater. Der belgische Regisseur, der eigentlich kein Choreograf und schon gar kein ausgebildeter Tänzer ist, arbeitet seit 1975 an den charmantesten, hintergründigsten und auch subversivsten Tanzwerken, die die Postmoderne so kennt. Das Wunderbare an seiner Arbeit ist, dass vor lauter Ironie niemandem dabei das Wort Tanztheater in den Sinn käme. Ehrlicherweise muss man aber sagen, dass seine Tänzer und Nicht-Tänzer miteinander herumreden, tanzen, sich ausziehen, erfundene Geschichten erzählen und dabei von ihnen behaupten, sie seien wahr - womöglich sind sie es auch! All dies geschieht, aber es geschieht auf die denkbar natürlichste, selbstverständlichste, zwangsläufigste Weise. Mit einer Ironie, die so schwarz und so voller Liebe zu ihrem armen Objekt, dem Tanztheater ist, dass man über die schwärzesten Witze noch Tage später lacht. In seinem neuesten Stück "Death Dance and Some Talk" - lacht man fast siebzig Minuten über den Tod, den erzählten, gefilmten, getanzten, gemimten Bühnentod. Den im japanischen Butoh erfundenen Tod einer eben aufgeblühten Grünpflanze etwa, oder den Tod aus Hans Christian Andersens Märchen von den roten Schuhen, die sich, einmal ins Tanzen gekommen, nicht mehr abstreifen lassen. Wie viele denkbare Verbindungen von Tanz und Tod lassen sich wohl in den Biografien seiner fünf Tänzer entdecken, hat sich Laub gefragt, und zum makabren Vergnügen des Publikums sind die Antworten zahlreich. Ausgangspunkt ist der schreckliche Tod einer jungen Tänzerin aus der Ära des romantischen Balletts, Emma Livry, deren Tutu sich an den Gaslampen auf der Bühne entzündete und die an ihren Brandverletzungen starb. Seither lagen nasse Handtücher am Bühnenrand zur eventuellen Löschung von brennenden Tutus. Ein nasses Handtuch, a wet blanket, lernen wir, ist seither aber auch ein Ausdruck für eine Spaßbremse, a party pooper. Immer verrückter pendeln Laubs Assoziationstheaterszenen zwischen berühmten Spielfilmen, YouTube, Albert Camus, Privatleben, japanischen Pornos und Striptease-Tänzen, die aussehen wie von Pina Bausch entworfen. Molière kämpft gegen den Tod, während er gerade in Konkurrenz zu Lully ein neues Ballett entwirft. Das wird ebenso bildhaft gespielt wie der hübsche Skeletttanz aus dem Musical "Der Zauberer von Oz" am Ende, den Hauptdarsteller Greg Zuccolo als Kind in der Grundschule lernte. Muss Sterben schön sein auf der Bühne, wenn man es von der Pike auf gelernt hat.