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Besiedlung Amerikas
Spur zu Paläoamerikanern gefunden

Archäologie. - Die erste Besiedlung Amerikas gilt als eines der großen kontroversen Themen der Archäologie. Umstritten ist, trotz jahrzehntelanger Forschung, ob die ersten Einwanderer auch die Vorfahren der heutigen amerikanischen Ureinwohner sind. Unklarheit herrscht auch, ob es eine oder mehrere Einwanderungswellen gab. Das US-Fachmagazin "Science" berichtet über einen Skelettfund, der einige dieser Fragen beantworten soll. Welche das sind, erklärt der Wissenschaftsjournalist Michael Stang im Gespräch mit Uli Blumenthal.

Michael Stang im Gespräch mit Uli Blumenthal | 16.05.2014
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    Alberto Nava und Susan Bird transportieren den Huevo-Negro-Schädel für die 3D-Aufnahme zu einem Drehtisch. (Science/National Geographic, Paul Nicklen)
    Blumenthal: Herr Stang, was ist das für ein Fund, der in den USA für rege Diskussionen sorgt?
    Stang: Bei dem Fund handelt es sich um ein Skelett eines Mädchens, das wahrscheinlich mit 15, vielleicht auch mit 16 Jahren starb. Entdeckt wurden die Knochen des Mädchens bereits schon vor sieben Jahren, und zwar bei einem Tauchgang in einem überschwemmten Höhlensystem auf der mexikanischen Halbinsel Yucatan. Und dort, in 30 Meter Tiefe lag dieses Skelett seit mindestens 12.000 Jahren.
    Blumenthal: Das ist ja nun nicht der erste Fund, den Archäologen aus der Frühzeit der ersten Besiedlung Amerikas machen. Was ist das Besondere an diesem Skelett?
    Stang: Das Skelett soll oder kann Antworten geben auf Fragen, die bisherige Funde eben noch nicht beantworten konnten. Zum einen, was wirklich spannend ist, ist die Datierung, die jetzt gelang, relativ sicher. Das konnten die Forscher über den Zahnschmelz machen und sie sind ziemlich sicher, dass dieses Skelett zwischen 12.000 und 13.000 Jahre alt ist. Und das betrifft genau die Zeitspanne, die so viele Unklarheiten aufweist. Denn mit diesem hohen Alter gehört dieses Mädchen tatsächlich zu den ersten Menschen, die in Amerika gelebt haben.
    Blumenthal: Einmal nachgefragt: welche Fragen konnten die bisherigen Funde nicht beantworten, und welche Fragen der jetzige aktuelle Fund, über den "Science" berichtet?
    Stang: Unklar war bislang, wie viele Einwanderungswellen es überhaupt gab. Denn die ersten Menschen auf dem amerikanischen Kontinent werden Paläoamerikaner genannt, und die sind, Stand bisher, nicht mit den heutigen Ureinwohnern verwandt. Diese Palaöamerikaner, die sind nach Amerika gekommen vor ungefähr 26.000 bis 20.000 Jahren über die Beringstraße, die damals eine Landbrücke war, also von Asien aus nach Amerika. Und als man den Schädel jetzt untersucht hat - die Forscher, das ist ein Zusammenschluss von 13 wissenschaftlichen Institutionen - haben die Forscher gesehen, dass der Schädel des Mädchens anatomische Merkmale aufweist, die das Mädchen eindeutig zu diesen Paläoamerikanern zuordnet. Das heißt, das ist ein relativ langer Schädel mit, der sehr hoch ist, eine stark betonte Stirnpartie hat und eben nicht diese Grazilität aufweist, die die Nachkommen heutiger Ureinwohner Amerikas haben. Bis dahin gab es noch keine Überraschung, aber als die Forscher, die konnten aus einem Backenzahn auch genetisches Material extrahieren, und haben dann diese Mitochondrien gesehen, also die genetische Linie direkt über die mütterliche Linie vererbt wird, und haben gesehen: Es ist eine genetische Linie, die tatsächlich die amerikanischen Ureinwohner haben. Das heißt, es gibt jetzt erstmals hier eine Verbindung, nach der die Forscher so lange gesucht haben.
    Blumenthal: Ist das jetzt auch eine Antwort auf die Frage, ob es nun eine oder mehrere Einwanderungswellen gegeben hat, und natürlich auch auf die zweite Frage, mit wem die heutigen amerikanischen Ureinwohner eigentlich verwandt sind?
    Stang: Naja, der Fund zeigt zumindest, dass es diese eine wichtige Einwanderungswelle gab, zumal diese genetische Linie auch kürzlich bei einem zweiten Skelett nachgewiesen werden konnte. Das stammt aus Montana, ist auch 12.600 Jahre alt, sieht also so aus, dass diese eine genetische Linie sich sehr langsam über den ganzen amerikanischen Kontinent ausgebreitet hat. Und man muss auch sagen, dass die Studienautoren, die jetzt diese Studie vorstellen, tatsächlich Vertreter dieser einfachen Besiedlungshypothese sind. Man muss aber entgegenhalten: Es gab große Studien, Vergleichsstudien genetischer Art, die gezeigt haben, es gab zwei oder drei Einwanderungswellen, und es ist auch klar, dass ein einzelnes Skelett, das heute vorgestellt wurde, nicht ein Besiedlungsszenario erklären kann, das sich über 10.000 Jahre hingezogen hat. Und man muss auch sagen, dass es kritische Stimmen gibt, die sagen: Naja, der eine Fund beantwortet weniger die Frage, woher denn die ersten Amerikaner kamen, als vielmehr die Frage, woher sie nicht kamen. Man kann aber sagen: Es ist klar, diese eine genetische Linie war wichtig, viele heutigen Nachkommen der ersten Amerikaner gehen auf diese Linie zurück. Aber das einzige umfassende Szenario, dass man sagen kann, es war diese eine kleine Population, die sich ausgebreitet hat, und es gab keine weiteren Einwanderungen oder Ähnliches, das kann man nicht anhand von einem solchen Fund sagen.