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Besser Hören wäre möglich

Eine Brille gilt inzwischen auch als schickes Accessoire. Aber zu einem Hörgerät greifen Menschen nur zögerlich und widerwillig. Zu unrecht - so das Deutsche Grüne Kreuz vergangene Woche in Berlin. Hörgeräte sind heute klein, komfortabel zu tragen und sehr leistungsfähig.

Von William Vorsatz |
    Unsere Ohren sind ständig auf Empfang, sie warnen uns auch vor dem, was die Augen gerade nicht sehen. Wer nicht gut hört, lebt gefährlich und angespannt: Schwerhörigkeit macht schreckhaft, nervös und verwundbar.

    Aber unsere Ohren vermitteln darüber hinaus auch die meisten Emotionen. Schon feine Nuancen in der Stimme des Gegenübers informieren unterschwellig. War da Zorn in der Stimme, Spott oder Bewunderung? Das Unterbewusstsein registriert unaufhörlich die Gesprächsatmosphäre. Nicht so jedoch bei Schwerhörigkeit. Mangelhaftes Hören führt zu sozialem Vermeidungsverhalten und Ängsten, weiß der Psychologe Werner Richtberg von der Universitätsklinik Frankfurt:

    Da gibt es zum Beispiel die schwerhörige Sekretärin, die beim Läuten des Telefons vor Bangigkeit gleich Herzklopfen bekommt, und am liebsten den Hörer gar nicht abnehmen möchte. Oder da gibt es den Schwerhörigen, der sich von seinem Freundeskreis zurückgezogen hat, weil er sich nicht länger dieses Gefühl des ausgeschlossen seins aus der Gemeinschaft zumuten will.

    Die Betroffenen sind nicht mehr spontan, lebendig und schlagfertig. Am ärgsten trifft es 50 bis 60jährige, weil sie noch aktiv im Leben stehen, mit der Schwerhörigkeit umzugehen jedoch noch nicht gelernt haben. Trotzdem wird ein Hörgerät, ganz anders als die Brille abgelehnt. Schwerhörigkeit ist ein verdrängtes Handicap. Dabei werden die Hörgeräte immer kleiner und besser.

    So ein Geschäft von einem Hörakustiker ist schon etwas anderes als etwa der Optiker. Da kommt der Kunde nicht rein, sucht sich einfach das passende Gerät aus, und schon ist alles gelaufen. Bei einem ersten Gespräch will Hörakustiker Klaus Klingbeil zunächst erfahren, welche Ansprüche der Hörgeschädigte hat:

    Damit wir überhaupt wissen, was haben Sie für Probleme beim Hören, welche Ansprüche stellen Sie an das Hören, wie weit möchten Sie die Schwerhörigkeit wieder ausgeglichen haben, welche Forderungen stellen Sie auch im Umgang nachher mit dem Hörgerät, gehen sie oft ins Theater, gehen Sie oft ins Kino, besuchen sie Konzerte, sind sie berufstätig, und dergleichen mehr, also dass heißt es wird eine ausführliche Anamnese gemacht, die auch das soziale Umfeld mit einbezieht.

    Dann geht es weiter ins Labor. Hier testen die Mitarbeiter, welche Frequenzen der Patient wie laut hört.

    Wir müssen dabei auch die Unbehaglichkeitsschwelle messen, das heißt wann ist Ihnen Geräusch oder Sprache unangenehm, das ist ganz wichtig, denn die Hörgeräte müssen ja dann so eingestellt werden, nicht dass sie nachher auf die Straße gehen und ein Laster fährt vorbei, dass Sie dann zusammen zucken.

    Dann machen wir das Selbe noch mal mit Zahlen und Wörtern, wo und wie gut Sie überhaupt Sprache verstehen können .. Wichtig ist auch, bei welcher Lautstärke Ihre optimale Sprachverständlichkeit liegt, denn in diesen optimalen Sprachverständlichkeitspunkt müssen die Parameter der zur Verfügung stehenden Hörgeräte eingepasst werden.

    Es gibt 1700 zugelassene Hörgeräte. Von ganz billigen, für die der Patient so gut wie nichts zuzahlen muss, bis zu solchen für über 4000 Euro. Kein Gerät ist allerdings so gut wie ein gesundes Ohr. Aber die aufwendigeren Modelle können in lärmender Umbebung besser die nützlichen Schallinformationen erkennen. Nach den Eingangsuntersuchungen kann Klingenbeil schon mal eine Vorauswahl treffen. Bevor diese Geräte ausprobiert werden können, muss aber noch die Passform des Ohrs genommen werden, für die Otoplastik, das Verbindungsstück zwischen Ohr und Hörgerät. In den letzten Jahren hat sich durch die Digitalisierung ein tiefgreifender Wandel vollzogen. Auf kleinsten Raum lässt sich jetzt mehr leistungsfähige Elektronik unterbringen. Mit mehr Korrekturmöglichkeiten. Das ist wichtig, weil jede Schwerhörigkeit anders ist. Wie Fingerabdruck, sagt Klingbeil:

    Es gibt also nicht zwei gleiche Schwerhörigkeiten auf der Welt, sie unterscheiden sich immer individuell, und da sind die Einstellmöglichkeiten mit digitalen Hörgeräten optimal. Und sie sind reproduzierbar aufs dB genau. Das heißt also, wenn Hörgeräte wieder repariert sind, oder aber, wenn man auf den Punkt wieder gehen kann, um ihn zu vergleichen, nach der gleitenden Anpassung, wo also die Kenndaten des Gehörs verändert werden, um ihn optimaler an den Hörverlust anzupassen, da muss man ja auch wieder vergleichen mit den vorhergehenden Wert, und den kann man immer wieder aufs dB genau einstellen.
    Je später ein Hörverlust entdeckt wird, desto länger dauert die Anpassung. Bis zu sieben Jahren. Denn die Geschädigten müssen das Hören erst wieder Lernen. Die Betroffene Marlies Bingel erinnert sich:

    Ich hörte den Kugelschreiber im Nebenraum kratzen, es war wie ein Schock. Und dann musste ich nach Hause gehen, ich dachte mich fährt ein LKW über, laut, von allen Ecken und Kanten. Es waren Geräusche auf mich eingestürzt, die ich ja so jahrelang nicht mehr gehört habe.

    Deshalb ist es so wichtig, bei einem Verdacht auf Hörverlust rechtzeitig zum handeln. Überhörtes Telefon oder Wohnungsklingeln, das Gefühl, viel Menschen sprechen undeutlich, solche Warnsignale sollten skeptisch machen. Der Hals-Nase-Ohren-Arzt kann abklären, was dahinter steckt.