Burkhard Müller-Ullrich: Als der ungarische Emigrant Joseph Pulitzer im Oktober vor 100 Jahren in Charleston im amerikanischen Bundesstaat South Carolina vermutlich an Diabetes starb, war er ein reicher und berühmter Mann. Seine Zeitung "New York World" war nicht nur populär, sondern auch im Politiker-Milieu gefürchtet, weil sie harten, heute sagt man investigativen Journalismus betrieb. Testamentarisch vermachte Pulitzer der New Yorker Columbia-Universität zwei Millionen Dollar zur Gründung einer Journalistenschule und zur Finanzierung eines Journalistenpreises. Diesen Pulitzer-Preis gibt es seit 1917. Eigentlich ist es ein ganzer Schwarm von Preisen für verschiedene Sparten von Exklusivmeldung bis Kommentar und von Kunstkritik bis Fotografie, und soeben sind sie wieder verliehen worden, unter anderem für einen Text, der überhaupt nicht gedruckt erschien, sondern nur online im Internet steht.
Thomas Leif, Vorsitzender des Journalisten-Netzwerks Recherche und Chefreporter des Südwestrundfunks in Mainz, da zeichnet sich also ein Wandel ab, der wie das meiste in den USA früher oder später auch für uns ein Thema wird. Aber zunächst mal zum Pulitzer-Preis selber. Warum ist der so wichtig? Wir haben doch auch in Deutschland jede Menge Journalistenpreise.
Thomas Leif: Aber wir haben, glaube ich, keinen einzigen Preis, der das große Renommee hat wie der Pulitzer-Preis, der diese Substanz über Jahrzehnte entwickelt hat. Bei uns diffundiert das etwas. Das heißt, es gibt mal ein Dutzend anerkannter Preise, aber kein einziger, der diese ganz große Bedeutung hat wie der Pulitzer-Preis.
Müller-Ullrich: Einer, der ähnlich strukturiert ist, wäre wahrscheinlich der Henri-Nannen-Preis bei uns.
Leif: Kann man sagen, aber, wie man vor kurzem mitgekriegt hat, nicht ganz ohne Kritik, weil es doch eine Menge Preisträger aus einem einzigen Verlagshaus gab und vor allen Dingen die sogenannte Vorjury und die dann entscheidende Endjury nicht immer synchronisiert sind und man ein bisschen auch den Verdacht hat, dass durchaus diejenigen, die in den Jurys sitzen, auch ihre Kollegen etwas privilegieren und damit ein kleines Zerrbild entsteht.
Müller-Ullrich: Jetzt wird in den USA sehr darauf hingewiesen, dass es zum ersten Mal einen Pulitzer-Preis für eine Publikation gab, die nur online erschein. ProPublica heißt das Medium. Die haben auch eine Printversion, aber diesmal ist es eben nur online, und da zeichnet sich etwas ab: Ist das Internet die Zukunft der Zeitung?
Leif: Das halte ich für etwas übertrieben. Es wird damit eine Tendenz angezeigt, vielleicht auch ein moderner Trend vorhergesehen, aber die Zeitungskrise ist ja bekanntermaßen in den USA viel schärfer als in Deutschland und das schlägt sich auch auf die Ressourcen-Ausstattung der Zeitung, auch Washington Post, New York Times und andere aus, die eine sehr renommierte Recherche-Mannschaft haben, und jetzt gibt es Sonderfälle durch diese besonders geförderten Online-Recherchen, aber ich glaube nicht, dass sie in Wahrheit die Arbeit der Printkollegen ersetzen. Es gibt sicherlich einige in den USA, die diese Leistung bringen, aber in Deutschland muss man ja lange suchen, um zum Beispiel das Niveau, was der Spiegel zum Beispiel hat, oder die Zeit, Zeit-Dossier, auch im Online zu finden. Da ist doch der Online-Journalismus eher reaktiv und nutzt auch die Quellen, die Printmedien bieten, und andere.
Müller-Ullrich: Online-Journalismus ist eigentlich ein doppeldeutiges Wort, denn es geht ja nicht nur um den Vertriebskanal, sondern das Internet wird mehr und mehr auch zum Recherche-Instrument.
Leif: Das stimmt. Ich glaube nur, dass sehr viele Online-Journalisten auch natürlich die Printquellen zur Recherche nutzen, und wir haben hier ja im Grunde einen sehr ...
Müller-Ullrich: Aber viele Print-Journalisten, die natürlich auch Online-Quellen nutzen.
Leif: So ist es. Aber wenn Sie mal genau schauen, wo sind die Eigenschöpfungen – schauen Sie sich mal Zeit Online an zum Beispiel, das Mutterblatt und die Online-Plattform; allein von der Ressourcen-Ausstattung können Sie das nicht vergleichen und ich glaube, da wird hier eine Politik betrieben, dass die Printversion immer noch im Zentrum steht. Das wird ja auch öffentlich so erklärt. Ich finde, man müsste viel mehr Geld investieren, von den Verlagen auch, um die Online-Plattformen so auszustatten, dass sie noch mehr selbst recherchieren können, dass sie noch mehr Eigenleistung auch finanzieren können von Honoraren, um diesen Takt noch stärker vorzugeben. Aber wenn man wirklich nüchtern analysiert, sind die Ressourcen im Online-Bereich immer noch recht knapp, selbst bei den renommierten Plattformen.
Müller-Ullrich: Das Kostspielige des Recherchierens ist das eine. Das ist besonders dann, wenn man reisen muss, wenn man physisch sich transportieren muss, wenn man vor Ort lange Gespräche führen muss. Aber das Internet hat auch da was bewirkt. Das heißt, es gibt ja einen Input, einen ungefragten Input oft von Whistleblowern, von Leuten, Wikileaks gehört dazu, aber auch einfach viele Leute, die irgendwo was wissen und sich dann melden, und das können Journalisten aufgreifen. Ich sage nicht, dass es dann die Wahrheit ist, aber es ist ein Input.
Leif: Auf jeden Fall. Sie haben einfach eine riesige Ressource mehr, vor allen Dingen auch, wenn sie in den sogenannten sozialen Medien recherchieren, für bestimmte Themen ganz besonders geeignet, und können ihre Geschichten anreichern, können noch mehr Direktkontakt zu Betroffenen haben. Also bestimmte Themen profitieren auf jeden Fall dabei. Aber man sollte unabhängig vom Vertriebskanal, glaube ich, eine Sache beherzigen: Recherche funktioniert natürlich auch in allererster Linie mit Fleiß, Ausdauer, Hartnäckigkeit und auch einem gewissen Zeiteinsatz. Ich will es mal bewusst provokativ sagen. Eine junge TAZ-Redakteurin, die ein Stipendium vom Netzwerk Recherche bekommen hat, hat den Rechtsextremismus in der ostdeutschen Provinz recherchiert, mit sehr viel Aufwand, mit ganz großem Engagement, und hat später auch den Theodor-Wolff-Preis dafür bekommen. Das zeigt, auch in anderen Fällen, wenn junge Leute oder andere Kolleginnen und Kollegen sich aufmachen und sehr lange an einem Thema dran bleiben, kommen immer besondere Ergebnisse heraus, und unser Problem ist oftmals, dass viele Journalisten ganz viele verschiedene Themen jeden Tag neu abarbeiten und es keine Fachexpertise mehr in einem Sektor gibt, und da müsste man wieder sozusagen weg von dem Generalistenmodell hin zu den akzeptierten Spezialisten in manchen Bereichen gehen und dann hätten wir auch bessere Früchte in der Publizistik.
Müller-Ullrich: Thomas Leifs Wegweisung zum Investigationsjournalismus der Zukunft. Thomas Leif ist Chefreporter des SWR-Fernsehens und Vorsitzender des Journalisten-Netzwerks Recherche.
Thomas Leif, Vorsitzender des Journalisten-Netzwerks Recherche und Chefreporter des Südwestrundfunks in Mainz, da zeichnet sich also ein Wandel ab, der wie das meiste in den USA früher oder später auch für uns ein Thema wird. Aber zunächst mal zum Pulitzer-Preis selber. Warum ist der so wichtig? Wir haben doch auch in Deutschland jede Menge Journalistenpreise.
Thomas Leif: Aber wir haben, glaube ich, keinen einzigen Preis, der das große Renommee hat wie der Pulitzer-Preis, der diese Substanz über Jahrzehnte entwickelt hat. Bei uns diffundiert das etwas. Das heißt, es gibt mal ein Dutzend anerkannter Preise, aber kein einziger, der diese ganz große Bedeutung hat wie der Pulitzer-Preis.
Müller-Ullrich: Einer, der ähnlich strukturiert ist, wäre wahrscheinlich der Henri-Nannen-Preis bei uns.
Leif: Kann man sagen, aber, wie man vor kurzem mitgekriegt hat, nicht ganz ohne Kritik, weil es doch eine Menge Preisträger aus einem einzigen Verlagshaus gab und vor allen Dingen die sogenannte Vorjury und die dann entscheidende Endjury nicht immer synchronisiert sind und man ein bisschen auch den Verdacht hat, dass durchaus diejenigen, die in den Jurys sitzen, auch ihre Kollegen etwas privilegieren und damit ein kleines Zerrbild entsteht.
Müller-Ullrich: Jetzt wird in den USA sehr darauf hingewiesen, dass es zum ersten Mal einen Pulitzer-Preis für eine Publikation gab, die nur online erschein. ProPublica heißt das Medium. Die haben auch eine Printversion, aber diesmal ist es eben nur online, und da zeichnet sich etwas ab: Ist das Internet die Zukunft der Zeitung?
Leif: Das halte ich für etwas übertrieben. Es wird damit eine Tendenz angezeigt, vielleicht auch ein moderner Trend vorhergesehen, aber die Zeitungskrise ist ja bekanntermaßen in den USA viel schärfer als in Deutschland und das schlägt sich auch auf die Ressourcen-Ausstattung der Zeitung, auch Washington Post, New York Times und andere aus, die eine sehr renommierte Recherche-Mannschaft haben, und jetzt gibt es Sonderfälle durch diese besonders geförderten Online-Recherchen, aber ich glaube nicht, dass sie in Wahrheit die Arbeit der Printkollegen ersetzen. Es gibt sicherlich einige in den USA, die diese Leistung bringen, aber in Deutschland muss man ja lange suchen, um zum Beispiel das Niveau, was der Spiegel zum Beispiel hat, oder die Zeit, Zeit-Dossier, auch im Online zu finden. Da ist doch der Online-Journalismus eher reaktiv und nutzt auch die Quellen, die Printmedien bieten, und andere.
Müller-Ullrich: Online-Journalismus ist eigentlich ein doppeldeutiges Wort, denn es geht ja nicht nur um den Vertriebskanal, sondern das Internet wird mehr und mehr auch zum Recherche-Instrument.
Leif: Das stimmt. Ich glaube nur, dass sehr viele Online-Journalisten auch natürlich die Printquellen zur Recherche nutzen, und wir haben hier ja im Grunde einen sehr ...
Müller-Ullrich: Aber viele Print-Journalisten, die natürlich auch Online-Quellen nutzen.
Leif: So ist es. Aber wenn Sie mal genau schauen, wo sind die Eigenschöpfungen – schauen Sie sich mal Zeit Online an zum Beispiel, das Mutterblatt und die Online-Plattform; allein von der Ressourcen-Ausstattung können Sie das nicht vergleichen und ich glaube, da wird hier eine Politik betrieben, dass die Printversion immer noch im Zentrum steht. Das wird ja auch öffentlich so erklärt. Ich finde, man müsste viel mehr Geld investieren, von den Verlagen auch, um die Online-Plattformen so auszustatten, dass sie noch mehr selbst recherchieren können, dass sie noch mehr Eigenleistung auch finanzieren können von Honoraren, um diesen Takt noch stärker vorzugeben. Aber wenn man wirklich nüchtern analysiert, sind die Ressourcen im Online-Bereich immer noch recht knapp, selbst bei den renommierten Plattformen.
Müller-Ullrich: Das Kostspielige des Recherchierens ist das eine. Das ist besonders dann, wenn man reisen muss, wenn man physisch sich transportieren muss, wenn man vor Ort lange Gespräche führen muss. Aber das Internet hat auch da was bewirkt. Das heißt, es gibt ja einen Input, einen ungefragten Input oft von Whistleblowern, von Leuten, Wikileaks gehört dazu, aber auch einfach viele Leute, die irgendwo was wissen und sich dann melden, und das können Journalisten aufgreifen. Ich sage nicht, dass es dann die Wahrheit ist, aber es ist ein Input.
Leif: Auf jeden Fall. Sie haben einfach eine riesige Ressource mehr, vor allen Dingen auch, wenn sie in den sogenannten sozialen Medien recherchieren, für bestimmte Themen ganz besonders geeignet, und können ihre Geschichten anreichern, können noch mehr Direktkontakt zu Betroffenen haben. Also bestimmte Themen profitieren auf jeden Fall dabei. Aber man sollte unabhängig vom Vertriebskanal, glaube ich, eine Sache beherzigen: Recherche funktioniert natürlich auch in allererster Linie mit Fleiß, Ausdauer, Hartnäckigkeit und auch einem gewissen Zeiteinsatz. Ich will es mal bewusst provokativ sagen. Eine junge TAZ-Redakteurin, die ein Stipendium vom Netzwerk Recherche bekommen hat, hat den Rechtsextremismus in der ostdeutschen Provinz recherchiert, mit sehr viel Aufwand, mit ganz großem Engagement, und hat später auch den Theodor-Wolff-Preis dafür bekommen. Das zeigt, auch in anderen Fällen, wenn junge Leute oder andere Kolleginnen und Kollegen sich aufmachen und sehr lange an einem Thema dran bleiben, kommen immer besondere Ergebnisse heraus, und unser Problem ist oftmals, dass viele Journalisten ganz viele verschiedene Themen jeden Tag neu abarbeiten und es keine Fachexpertise mehr in einem Sektor gibt, und da müsste man wieder sozusagen weg von dem Generalistenmodell hin zu den akzeptierten Spezialisten in manchen Bereichen gehen und dann hätten wir auch bessere Früchte in der Publizistik.
Müller-Ullrich: Thomas Leifs Wegweisung zum Investigationsjournalismus der Zukunft. Thomas Leif ist Chefreporter des SWR-Fernsehens und Vorsitzender des Journalisten-Netzwerks Recherche.