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Bessere Überwachung fürs Knie

Medizintechnik. - Menschliche Kniegelenke sind anfällig. Oft bringt erst eine Prothese Erleichterung von Verschleißschmerzen. Wissenschaftler in Lausanne haben nun eine Methode entwickelt, den Erfolg dieser nicht ganz leichten Operation zu kontrollieren und die Rehabilitation des Beines zu optimieren.

Von HolgerRuscheweyh |
    Die Entwicklung der Wissenschaftler von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne passt in einen Aktenkoffer. Darin finden sich 6 Sensoren, jeder so groß wie eine Streichholzschachtel. Die werden dem Patienten mit der neuen Knieprothese mit Hilfe von Klettbändern angelegt, an jedes Bein 3 Stück. An Schienbein, Oberschenkel und Taille. Jeder dieser Sensoren misst die Bewegung des Beines und sendet seine Messwerte über ein Kabel an ein Steuergerät, dass der Patient am Gürtel tragen kann. Nach der Messung schließt der Arzt das Steuergerät an einen Computer an und kann die Daten auswerten. So wird auf dem Bildschirm sichtbar, wie gut sich die Kniegelenke bewegen lassen. Emilio Casanova war an der Entwicklung des neuen Systems beteiligt.

    "Bisher verwenden Ärzte überwiegend subjektive Faktoren, um den Heilungsprozess zu analysieren. Sie befragen die Patienten zum Beispiel nach Schmerzen, können die Heilung aber nicht fortlaufend analysieren. Unser System basiert auf einem mathematischen Modell und liefert qualitative Werte, die man vergleichen kann und die verlässlich sind. Das ist viel genauer als eine Patientenbefragung."

    So kann der Arzt beispielsweise nach der Operation genau erkennen, ob er die Prothese richtig eingesetzt hat und sie einwandfrei funktioniert. Je kleiner der Bewegungswinkel des Knies, desto schlechter funktioniert das künstliche Gelenk. Dabei wird der Bewegungsablauf des kranken Knies mit dem des gesunden Knies verglichen. Eigentlich gar keine neue Idee. Doch bisherige Systeme kosten rund 60.000 Euro. Casanova:

    "Andere Systeme sind teuer und analysieren Bewegungen mit Hilfe von Kameras in speziellen Laboren. Unser System ist billiger und benötigt kein Labor. Wir messen natürliche Aktivitäten, wie Gehen und Treppensteigen, über einen längeren Zeitraum."

    Ein weiterer Vorteil der neuen Technik: die Patienten können die Miniatursensoren auch zu Hause tragen. So werden die Bewegungsabläufe wie Gehen und Treppensteigen in einem natürlichen Umfeld aufgezeichnet. Die Computersoftware erstellt aus den Messwerten anschließend eine Animation. Casanova:

    "Bei unserem System kommen nicht nur abstrakte Werte heraus, sondern Grafiken und sogar Animationen. Außerdem können wir mit unserer Software die Bewegungsabläufe von verschiedenen Patienten zu verschiedenen Zeitpunkten vergleichen."

    Dargestellt werden die Messdaten in bewegten Bildern. Der Computer setzt aus den einzelnen Werten virtuelle Beine zusammen. So sieht man auf dem Bildschirm die Bewegungen eins zu eins. Zusätzlich kann der Patient während der Bewegungen von zwei 3D-Kameras aufgenommen werden. Die Software projiziert dann das reale Bild auf das virtuelle Bild. So kann auch der Patient Fortschritte oder Rückschläge in der Rehabilitierung erkennen. Doch das neu entwickelte Verfahren ist nicht nur wichtig für die Nachbehandlung von Patienten. Durch Speichern und Vergleichen der Daten von verschiedenen Patienten können die Wissenschaftler in Lausanne außerdem herausfinden, welche Art von Prothese für welches Krankheitsbild am besten geeignet ist. Casanova:

    "Bei unserer Methode können wir bestimmen, welche Prothese für die Heilung am besten geeignet ist. In einer ersten Studie haben wir verschiedene bewegliche und starre Prothesen verglichen, in einer zweiten Studie Standard- und Maßanfertigungen."

    Mit diesem Wissen wählen die Ärzte dann die Prothesen für künftige Operationen aus. Je mehr Patienten in der Datei erfasst sind, desto genauer wird das Ergebnis. Noch genauer wird es, wenn künftig neben den häufigsten Bewegungen, wie Gehen und Treppensteigen, auch zum Beispiel das Hinsetzen oder Aufstehen erfasst wird. Daran arbeiten Emilio Casanova und sein Team derzeit noch. Ebenfalls Zukunftsmusik ist eine drahtlose Übertragung der Messdaten vom Patienten zum Arzt per Handheld-Computer und Handy. So könnten sich gerade ältere Menschen viele Wege zum Arzt sparen.