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Bestandsaufnahme
Bundeswehr zwischen Innerer Führung und Materialmangel

Die Entwicklung der Bundeswehr als Parlamentsarmee gilt als eine historische Erfolgsgeschichte. Doch die Streitkräfte müssen mehr sein als demokratiefähig – gerade in Sachen Verteidigungsfähigkeit und Effizienz hapert es gewaltig. Und auch als Arbeitgeber hat die Bundeswehr Attraktivität verloren.

Von Marcus Pindur | 19.09.2019
Mehrere Bundeswehrsoldaten gehen auf einen Hubschrauber zu
Personalaufwendig, da eine gefährliche Mission: Bundeswehrsoldaten im Camp Marmal in Afghanistan (Deutschlandradio / Bernd Musch-Borowska)
Die Bundeswehr macht derzeit Schlagzeilen, auf die jede Armee der Welt lieber verzichten würde: Flugzeuge, die nicht fliegen, Panzer, die nicht fahren, Schiffe, die nicht einsatzfähig sind. Beim großen Nato-Manöver "Trident Juncture" im Oktober 2018 in Norwegen mussten sich die beteiligten Einheiten der Bundeswehr ihr Material - vom Panzer bis zu warmen Socken - aus der gesamten Bundeswehr zusammenleihen. Das ist derzeit das größte Problem der Bundeswehr: Selbst die Grundausstattung ist oft nicht vorhanden.
Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des Nato-Militärausschusses.
Ex-Generalinspekteur: Kramp-Karrenbauer soll "schwierige Fragen anpacken"
Annegret Kramp-Karrenbauer verdiene einen Vertrauensvorschuss als Verteidigungsministerin, sagte Ex-Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, im Dlf. Das Bundeswehrpersonal müsse aufgestockt und besser ausgerüstet werden.
Die Qualität der Ausbildung bei der Bundeswehr habe er als hoch empfunden, so ein junger Ex-Soldat, der anonym bleiben möchte. Aber: Selbst bei ganz normalem Gerät wie Schutzwesten oder Maschinengewehren gebe es ständig Engpässe.
"Das MG-5 wurde ja neu in die Truppe eingeführt. Da war ich gerade in der Ausbildung und wir waren welche der ersten, die das MG-5 schießen durften. Und als wir dann versetzt wurden in die Stammkompanie, gab es dort vor Ort keine MG-5, beziehungsweise auch niemanden, der daran ausgebildet war. Weil zuerst jegliche Schulen damit versorgt wurden, aber die wirklichen Infanterieeinheiten beispielsweise, die hatten noch keine bekommen. Und es ging dann soweit, dass frisch ausgebildete Soldaten deutlich Erfahrenere ausbilden mussten am MG-5, weil diese, als sie dann frisch eingeliefert wurden in die Kompanien, noch absolut gar keine Erfahrung damit gesammelt hatten, beziehungsweise es auch nicht genug Lehrpersonal dafür gab."
Wie es in der Bundeswehr genau aussieht, davon zeugen die jährlichen Berichte des Wehrbeauftragten an den Deutschen Bundestag. Und dem aktuellen Bericht zufolge ist der Zustand der Bundeswehr nach wie vor schlecht. Die Marine sei ressourcenmäßig am Limit, heißt es dort. Die Luftwaffe befinde sich an einem Tiefpunkt. Und auch beim Heer fehle dringend benötigtes Material. Alle Waffengattungen klagen über eine Überregulierung. Aus der Truppe heißt es, man verwalte sich zu Tode, die Bundeswehr sei ein Bürokratiemonster.
Ruckelnde Verwaltung bei der Bundeswehr
Einblicke in die ruckelnde Verwaltung der Bundeswehr gab es in den vergangenen Monaten reichlich im Untersuchungsausschuss zur sogenannten Berateraffäre. Unter der Führung von Annegret Kramp-Karrenbauers Vorgängerin, der designierten EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, hatte das Verteidigungsministerium Aufträge an externe Beratungsfirmen vergeben.
An sich kein ungewöhnlicher Vorgang. Aber es sollte schnell gehen, und dabei verlief die Auftragsvergabe völlig regelwidrig. Alle möglichen Beraterleistungen wurden über einen Rahmenvertrag abgerufen, der eigentlich nur für bestimmte Leistungen im IT-Bereich vorgesehen ist.
von der Leyen (rechts), scheidende Verteidigungsministerin und neugewählte EU-Kommissionspräsidentin, steht neben ihrer Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer bei der Amtseinführung im Bundesverteidigungsministerium im Bendlerblock, während Soldaten an ihnen vorbei ziehen.
Bundeswehrverband fordert mehr Personal und bessere Ausstattung
Der stellvertretende Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Jürgen Görlich, bewertet die Ernennung Annegret Kramp-Karrenbauers zur Verteidigungsministerin positiv. Sie müsse nun schnell die Situation bei Personal und Ausstattung verbessern.

Das Ausmaß der möglichen Schäden ist im Vergleich zur Gesamthöhe des Verteidigungsetats gering – es geht, wenn überhaupt, um wenige Millionen Euro. Was allerdings offen zutage trat, waren Inkompetenz, die Abwälzung von Verantwortung und das Duckmäusertum in der Behörde, die für die Prüfung und Genehmigung der Beschaffung zuständig ist: Das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr, abgekürzt BAAINBW, in Koblenz. Das Amt wird von vielen Fachleuten mittlerweile als dysfunktional beschrieben. Ein Grund, warum sich Beschaffungsmaßnahmen oft über Jahrzehnte hinziehen.

Das Ministerium hatte diesem nachgeordneten Amt unmissverständlich klar gemacht, dass die damalige Staatssekretärin Katja Suder eine Auftragsvergabe an eine bestimmte Beraterfirma bevorzugt. Die Begründung: Man habe mit dieser Firma schon lange gut zusammengearbeitet. So unterblieb eine eingehende Prüfung des umstrittenen Auftrages. Thomas Wiegold gilt als einer der besten journalistischen Kenner der Bundeswehr. Er ist Chefredakteur der sicherheitspolitischen Website "Augengeradeaus".
"Die Einschätzungen reichen von: Naja, war vielleicht nicht alles ganz sauber, aber so schlimm nun auch wieder nicht. Bis hin zu: Da ist sinnlos, gnadenlos Steuergeld verbrannt worden. Ich würde im Moment noch keine Bilanz ziehen wollen. Sichtbar ist geworden bei den Anhörungen bisher, da ist im Verteidigungsministerium nicht so gearbeitet worden, wie es hätte sein müssen. Andererseits ist es ja nicht so, dass Leute sich Geld in die eigene Tasche gesteckt hätten. Sondern, da kommen wir wieder zum Thema Bürokratismus und Abläufe und Probleme in der Bundeswehr selbst: Es war der Versuch, komplizierte Prozesse einfach abzukürzen. Und die bestehenden Regularien zu umgehen, um Dinge schnell auf den Weg zu bringen. Und das hat dann in Teilen oder zu einem großen Teil nicht so funktioniert."
Ein Bundeswehr-Aufklärungsflugzeug vom Typ Tornado startet am 05.01.2016 vom Fliegerhorst Büchel (Kreis Cochem-Zell) in der Eifel zum Luftwaffenstützpunkt Incirlik in der Türkei.
Ein Bundeswehr-Aufklärungsflugzeug vom Typ Tornado: Viele Maschinen sind nicht einsatzbereit (picture alliance / dpa / Harald Tittel)
Belege für Korruption gab es nicht
Belege für Korruption kamen im Untersuchungsausschuss bislang nicht ans Licht. Doch die enge persönliche Nähe des unter anderem für Digitalisierung zuständigen Generals Erhard Bühler zu einem Manager der Beratungsfirma Accenture sorgte allseits für hochgezogene Augenbrauen. Accenture gilt als einer der Hauptauftragnehmer der Bundeswehr.
Ursula von der Leyen verließ die Bundeswehr inmitten einer Modernisierungsphase mit schweren Problemen - von Mängeln bei der Ausrüstung bis zu Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Fachpersonal. Vieles ist auf dem Weg, nichts ist abgeschlossen. Große Entscheidungen müssen in nächster Zeit von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer getroffen werden. Versprochen ist eine so genannte "Trendwende Material". Entscheidungen der Verteidigungsministerin alleine genügen aber nicht, denn für die Beschaffung großer Waffensysteme sind Finanzierungszusagen des Bundestages notwendig. Ob und wie weit sich Union und SPD in der jetzigen Situation darauf einigen können, steht in den Sternen.

Nicht nur die Grundausstattung der Bundeswehr muss nach Jahren des Sparens wieder vervollständigt werden. Mindestens ein halbes Dutzend neuer Großanschaffungen müssen in nächster Zeit auf den Weg kommen. Darunter: ein neues Luftverteidigungssystem, ein Großhubschrauber, ein Mehrzweckkampfschiff und die Nachfolger von Leopard 2, Eurofighter und Tornado. Carlo Masala ist Professor an der Bundeswehrhochschule in München. Er verweist darauf, dass Deutschland bei der Neubeschaffung von Gerät hinter den meisten Verbündeten weit zurückbleibt:
"Wir sind die letzte Nation in der Nato, die noch Tornado fliegt. Ein Kampfflugzeug aus den 70er-Jahren. Keine andere Nato-Nation macht das noch. Die haben alle sich entschieden für ein Nachfolgemodell. Wir haben noch immer keine Entscheidung getroffen. Also das heißt, hier muss neues Material her."
Irak, Erbil: Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Verteidigungsministerin, steht zwischen Peschmerga Soldatinnen
Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer bei einem Besuch m Nordirak (Michael Kappeler/dpa)
Der verteidigungspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Henning Otte
Otte (CDU): "Wir haben einen Investitionsstau"
Wegen der guten Friedenslage sei bei der Bundeswehr lange gespart worden, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Henning Otte, im Dlf. Daher sei die Ausstattung der Truppe nicht auf dem aktuellen Stand.
Milliardenschwere Beschaffungsprojekte, Waffensysteme, die der Bundeswehr erst in einigen Jahren zur Verfügung stehen werden. Sie dürfen aber nicht den Blick für das verstellen, was die Bundeswehr jetzt braucht, so Rainer Glatz. Der Generalleutnant ist derzeit für die Stiftung Wissenschaft und Politik tätig.
"Das Zweite, für mich aber ganz Wesentliche ist, dass wir die hohlen Strukturen füllen. Da geht es nicht um die Frage von Neuentwicklung von Gerät, sondern da geht es um die Frage von Beschaffung oder Wiederbeschaffung von Gerät, was in den Strukturen nicht mehr vorhanden ist. Wenn ein Panzerbataillon zum Beispiel nur neun Kampfpanzer hat und nicht um die 50 Kampfpanzer, dann ist glaube ich für jeden nachvollziehbar, dass dieses Bataillon keine geordnete Ausbildung am Hauptgerät mehr durchführen kann. Und dass die Lage noch wesentlich verschlimmert wird bei der Einsatzbereitschaft des Hauptgerätes, wenn von diesen neun Panzern noch welche abgegeben werden müssen für die Nato-Speerspitze."
Zu wenig Material an allen Stellen
Die Vollausstattung der Bundeswehr sei für die Glaubwürdigkeit Deutschlands gegenüber den Nato-Verbündeten wichtig, so Glatz. Und sie sei auch von mehreren Bundesregierungen zugesagt worden. Zum anderen sei eine ordentliche Materialausstattung auch nötig, damit die Bundeswehr weiterhin ein attraktiver Arbeitgeber und für den Nachwuchs interessant bleibe. Die sogenannte "Trendwende Personal", also die vermehrte Anwerbung junger Soldatinnen und Soldaten kann nur erfolgreich sein, wenn die Arbeitsbedingungen stimmen, sagt Rainer Glatz.
"Mit anderen Worten, wenn sie eingezogen werden als Panzerfahrer und keinen Panzer haben, den sie fahren können, und keinen Panzer haben, mit dem sie schießen können, dann sind sie anschließend nicht unbedingt ein positiver Multiplikator für die Nachwuchswerbung der Bundeswehr."
Schatten von Soldaten des Jägerbataillons 292 sind beim Rückkehrappell in der Fürstenberg-Kaserne in Donaueschingen auf dem Boden zu sehen.
Ausrüstungsprobleme - Die Bundeswehr drückt der Schuh
Angesichts der gewachsenen Anforderungen an die Bundeswehr braucht diese nicht nur neue Waffen, sondern die Soldaten auch neue Schuhe. Die sind zwar bestellt, aber bei der Lieferung hakt es. Der Austausch verzögert sich vermutlich um zwei Jahre.

Schritt für Schritt soll die Anzahl der Soldatinnen und Soldaten von derzeit 181.000 auf 203.000 im Jahr 2025 erhöht werden. Die mangelnde materielle Einsatzbereitschaft sei aber für die Personalwerbung abschreckend und im Übrigen auch eine der Hauptbeschwerden der Soldaten, so der Wehrbeauftragte, Hans-Peter Bartels.
"Also ich habe das mal versucht, bei der Vorstellung eines Jahresberichtes auf den Punkt zu bringen indem ich sagte, es ist von allem zu wenig da. Und habe so insgeheim gedacht: Mal gucken, ob jetzt jemand kommt und mir nachweisen kann, dass von irgendetwas genug da ist. Es ist niemand gekommen. Es ist von allem zu wenig da."
In diesem Zustand ist die Bundeswehr kein attraktiver Arbeitgeber. Die Lücken, besonders bei höher qualifizierten Tätigkeiten, sind unübersehbar.
Viele unbesetzte Stellen bei der Bundeswehr
Insgesamt waren 21.490 Dienstposten oberhalb der Mannschaftsebene bis Ende November 2018 nicht besetzt. Damit wird natürlich das vorhandene Personal über Gebühr belastet, ein Zustand, der nicht von Dauer sein kann.
Einige Beispiele für Personallücken bei den Offizieren: Im militärischen Nachrichtenwesen, also der Aufklärung des Heeres sind nur 61 Prozent der Dienstposten besetzt. Die Marine muss derzeit mit nur 54 Prozent der Fliegerstellen auskommen. Der Luftwaffe fehlen mehr als ein Drittel der Kampfpiloten und fast 40 Prozent der Lufttransportpiloten. Beim Organisationsbereich Cyber- und Informationsraum ist ein Viertel aller Dienstposten nicht besetzt.

Bevor man zur Anschaffung von Großgerät komme, könne man doch bei der persönlichen Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten einen Quantensprung machen und somit eine Trendwende vollziehen, die direkt bei der Truppe ankomme, so der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels. Das würde sich unmittelbar auf die Arbeitsplatzzufriedenheit und -attraktivität auswirken.
"Also, man könnte mal anfangen mit der persönlichen Ausstattung. Soldaten finden das schade, dass inzwischen die neue Kampfbekleidung längst eingeführt ist in der Bundeswehr. Also, die ist erfunden, zertifiziert, eingeführt, aber eben nicht für jeden. Dafür gibt es dann einen Plan, dass das bis 2031 oder wann, für alle erreicht sein soll. Warum so lange? Also, das sind Klamotten, das sind Dinge, die man herstellen und kaufen kann. Also keine komplexen Waffensysteme. Warum hat nicht jeder eine Schutzweste? Also, das ist jetzt nicht das oberste Ende von Raketenwissenschaft, das man braucht, um Schutzwesten zu bauen oder Nachtsichtgeräte. Das ärgert die Soldaten, dass sie primitive Dinge hin- und herleihen müssen, wenn mal ein Schießen organisiert wird oder eine Nachtübung."
Ein Narrativ über die Bundeswehr, das von Mangel und Vernachlässigung geprägt ist, macht die Streitkräfte jedoch nicht attraktiver.
Deutschland, Baden-Württemberg, Stuttgart, 06.06.2019: Mit der Plakat-Kampagne "Gas, Wasser, Schießen" sucht die Bundeswehr gezielt Experten aus dem Bereich SHK Sanitär Heizung Klima.
Mit der Kampagne "Gas, Wasser, Schießen" suchte die Bundeswehr gezielt nach Handwerkern (imago / Arnulf Hettrich)
Prinzip der Inneren Führung gilt als Erfolgsgeschichte
Dabei gilt die Entwicklung der Bundeswehr insgesamt als eine historische Erfolgsgeschichte. Die heutigen Streitkräfte unterscheiden sich radikal von ihren Vorläufern. Die Bundeswehr sollte als Armee in einer Demokratie gegründet werden und selbst nach demokratischen Prinzipien funktionieren. Ein Spannungsfeld, denn das Prinzip "Befehl und Gehorsam" gilt, wie in jeder anderen Armee auch.
Es soll bei der Bundeswehr aber keinen absoluten Kadergehorsam mehr geben. Dafür soll das Prinzip der inneren Führung gelten. Politischer und ethischer Unterricht sind Teil der Ausbildung bei der Bundeswehr. Die Soldatinnen und Soldaten sollen urteilsfähige Staatsbürger in Uniform sein.
Zur inneren Führung kommt das Prinzip der Parlamentsarmee. Die Bundeswehr soll in die demokratische Ordnung eingebunden werden und ist gebunden an die Beschlüsse des Bundestages. Nicht die Regierung kann die Bundeswehr nach Gutdünken einsetzen, sondern es bedarf immer, selbst im Verteidigungsfall, eines Beschlusses des Deutschen Bundestages.
Die afghanische Polizei inspiziert die verbrannten Öltanker am Ort, eines von der NATO geführten Luftangriffs gegen Taliban-Kämpfer in Kunduz (Nordafghanistan), mindestens 50 Menschen wurden dabei getötet
Luftangriff vor 10 Jahren - Verhinderte Aufarbeitung
Zwei Bomben ließ der deutsche Oberst Klein am 4. September 2009 auf zwei Lkw abwerfen, die in Afghanistan im Kundus-Fluss feststeckten. Viele Dutzend Menschen wurden dabei getötet - darunter fast nur Zivilisten. Doch bis heute hat niemand für den Angriff Verantwortung übernommen.

Um die Kontrolle des Parlamentes über die Streitkräfte auch institutionell festzuschreiben, gibt es den Verteidigungsausschuss. Er darf nicht mit anderen Funktionen belastet werden und hat sogar das Recht, sich selbst als Untersuchungsausschuss zu konstituieren. Dazu kommt der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages. Jeder Soldat kann sich direkt an ihn wenden, falls er seine Rechte beeinträchtigt sieht. Eine starke Position, im internationalen Vergleich einzigartig, so der derzeitige Amtsinhaber, der Sozialdemokrat Hans-Peter Bartels.
"Dieser Doppelcharakter: Aus der Perspektive der Soldaten das Parlament informieren, aus der Perspektive des Parlaments auf die Bundeswehr schauen, das ist das Einzigartige an diesem Amt. Das Amt hat sich bewährt. Und nach 60 Jahren, die es dieses Amt gibt, kann man auch sagen, dass die beiden Prinzipien, Innere Führung und Staatsbürger in Uniform auf der einen Seite, und Parlamentsarmee auf der anderen Seite, wirklich durchgesetzt sind. Das ist die Bundeswehr von heute, so ist sie geworden."
Dass die Bundeswehr in das Institutionen-Gefüge der deutschen Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg gut eingebettet wurde, wird kaum angezweifelt. Doch die Bundeswehr muss nicht nur demokratiefähig, sondern auch effizient sein, und daran hapert es gewaltig.
Nato-Verpflichtungen sind nur schwer einhaltbar
Mit der so genannten "Trendwende Material" geht es nicht voran. Auf dem Nato-Gipfel von Wales 2014 hatte Deutschland sich unter anderem verpflichtet, im Jahr 2023 eine vollausgerüstete Brigade, etwa 3.000 Soldaten, für die Nato-Very High Readiness Joint Task Force zu stellen, die sogenannte Nato-Speerspitze. Einige Einheiten sollen im Krisenfall innerhalb von zwei Tagen an die Nato-Ostflanke verlegt werden können. Diese Entscheidungen wurden vor dem Hintergrund der russischen Krim-Annexion, des Krieges in der Ukraine und der russischen Drohgebärden gegen die baltischen Staaten gefällt.
Weniger entscheidend ist es dabei, ob Deutschland eineinhalb oder zwei Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung ausgibt. Entscheidend seien die Fähigkeiten, die die Bundeswehr haben soll, so der Fachjournalist Thomas Wiegold.
"Da muss man sehen, die Bundesregierung hat der Nato verschiedene Dinge zugesagt, zum Beispiel drei einsatzbereite Divisionen bis 2030, vollausgestattet, die das ganze Gerät quasi auf dem Hof stehen haben und die relativ schnell damit in einen Einsatz gehen könnten. Davon ist die Bundeswehr weit entfernt. Und eigentlich müsste man den Maßstab anlegen: Was kostet es, diese zugesagten Fähigkeiten zu erreichen?"

Klar ist, dass die Bundeswehr mehr Geld braucht, um die bereits zugesagten Aufgaben angesichts einer neuen Dringlichkeit der Bündnisverteidigung erfüllen zu können.
"Ich bin mir nicht sicher, ob das, was kursiert an Zahlen, was es wirklich kostet, ob das so ein verlässlicher Maßstab ist. Klar ist nur, es muss mehr sein, und es muss stetig mehr sein, das ist eigentlich das Entscheidende."
Nach der derzeitigen mittelfristigen Finanzplanung würde sich Deutschland allerdings sogar vom 1,5-Prozent-Ziel wieder entfernen – Sprengstoff für die derzeitige und auch für zukünftige Regierungskoalitionen. Der Bericht des Wehrbeauftragten ist eine einzige Mängelliste, wenn es um die Ausstattung der Bundeswehr und die Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme geht. Die Verfügbarkeit von einsatzbereiten Panzern, Schiffen und Flugzeugen liegt bei unter 50 Prozent. So meldete die Besatzung der Korvette "Braunschweig", dass durch technische Ausfälle bedingt für einen UNIFIL-Einsatz vor der libanesischen Küste nur fünf statt der geplanten 13 Wochen trainiert werden konnte. Der Rest musste im Einsatz nachgeholt werden.
05.10.2018: Die Korvette "Braunschweig" läuft nach rund fünf Monaten Nato-Einsatz in ihren Heimathafen ein
Korvette "Braunschweig" (picture alliance/Danny Gohlke/dpa)
Weniger als die Hälfte der Eurofighter und Tornado war 2018 einsatzbereit
Das ist kein Einzelfall. Vom Gesamtbestand der Kampfflugzeuge Eurofighter und Tornado war 2018 weniger als die Hälfte der Maschinen tatsächlich flugfähig. Das führt zu einer unzureichenden Versorgung der Pilotinnen und Piloten mit Flugstunden, was bis zur Verlust der Fluglizenz und zur Gefährdung der Piloten führen kann. Der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels nennt dies "nicht hinnehmbar". Das vorhandene Personal werde demotiviert und neues Personal abgeschreckt.
Viele große Aufgaben also für die neue Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Einige Probleme der Bundeswehr sind hausgemacht: Die überbordende Bürokratie, der Hang zur Überregulierung kleinster Vorgänge, zur ministeriellen Gängelung der mittleren und unteren Führungsebene, das Abschieben von Verantwortung an Juristen.
Für die ganz großen Probleme der Bundeswehr ist die Politik ganz direkt verantwortlich. Jahrzehntelang wurde sie als Sparschwein der Nation missbraucht. Unter völliger Missachtung der internationalen Landschaft wurde die Landesverteidigung als genuine Aufgabe der Bundeswehr ausgehöhlt. Diese hohlen Strukturen wieder aufzufüllen, wird ein bis zwei Jahrzehnte dauern.
Die moderne Bundeswehr soll sowohl Auslandseinsätze durchführen, als auch die Bündnisverteidigung übernehmen können. Ausstattung braucht sie für beides.
Mehrere Bundesregierungen haben Zusagen an die Verbündeten der Nato gemacht, von denen man nicht zurücktreten kann, ohne viel Vertrauen zu zerstören. Man sollte es auch nicht, denn eine funktionierende Abschreckung im Bündnis mit den Partnern ist friedenssichernd. Dies alles wird nicht ohne eine schrittweise Anhebung des Wehretats gehen. Dafür bedarf es möglichst breiter parlamentarischer Mehrheiten. Ohne den politischen Willen, sie zu unterstützen, wird es die Bundeswehr schwer haben, in Zukunft die vielen Anforderungen zu erfüllen, die die Politik schon jetzt an sie stellt.