Wo passiert so etwas heute noch: Ein Theater beauftragt einen Autor, sechs Stücke zu schreiben, und verpflichtet sich, diese auch zu produzieren? Das Public Theater in New York hat den amerikanischen Bühnenschriftsteller und Regisseur Richard Nelson beauftragt, genau dies zu tun: Er sollte sechs Stücke über die politische Lage der Nation in Form einer Unterhaltung von wiederkehrenden Charakteren schreiben. Die Premiere, so das Aufführungskonzept, soll immer an dem Tag sein, an dem die Handlung auch tatsächlich spielt. So eröffnete das erste Stück "That Hopey Changey Thing" am Abend des 2. November 2010, dem traditionellen amerikanischen Wahltag, an dem die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus verlieren sollten. Vor dem Hintergrund des aufgehetzten amerikanischen Politstils und des Attentats auf die demokratische Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords in Arizona, versucht das Public Theater, die politische Debatte auf eine persönliche Ebene und auf die Bühne zu bringen – weg von der vergifteten Atmosphäre in den Medien, zurück auf eine Vernunftebene. Im Programmheft schreibt Richard Nelson dazu:
"In einer Zeit, in der Worte von ihren Bedeutungen weggezerrt und für Hetztiraden und als Waffen benutzt werden, glaube ich daran, dass das Theater ein Zuhause für eine menschliche Unterhaltung sein kann."
"Sweet and Sad" spielt am 11. September 2011, dem Tag, an dem es auch seine Premiere hatte. Am gleichen Ort mit denselben Charakteren und Schauspielern, wie beim ersten Mal reflektieren auf der Bühne die Mitglieder der Apple Familie die Lage der Nation und ihre Befindlichkeit bei einem späten Mittagessen im Hause von Barbara Apple in Rhinebek, einem kleinen Ort in Greater New York. Aber anders als in "That Hopey Changey Thing", wo noch die Meinungen über Sarah Palin oder Barack Obamas Gesundheitsreform aufeinanderprallten, wird in "Sweet and Sad" sehr wenig direkt über Politik geredet.
Immer wenn Richard, Barbaras Anwaltbruder, eine politische Bemerkung machen will, zischt ihm eine seiner Schwestern ein "doch nicht heute bitte" entgegen.
Und obwohl auch niemand den Anlass für den heutigen Tag des Erinnerns direkt anspricht, schwebt der 11. September wie ein dunkler Schatten über allem und taucht immer wieder in Nebenbemerkungen auf. Über den Verlust einer Tochter von Barbaras Schwester Marian, die Selbstmord begangen hat, oder die Krankheit des Onkels wird dabei genauso erfolglos geschwiegen, wie über die enorme Staatsverschuldung und dass die Chinesen eine große Schnellstraße in New Jersey gekauft haben.
Richard Nelson hat dabei ein komplexes Beziehungsspiel zwischen den Mitgliedern der Apple Familie gesponnen. Die Hintergrundgeschichten der Figuren sind dabei wie bei einer Reality TV-Serie in Echtzeit weiterentwickelt. So hat Richard wie vor einem Jahr angekündigt seine Firma gewechselt und das Buch, an dem Jane schrieb, ist in "Sweet and Sad" nun endlich veröffentlicht. An den mühelosen Dialogen und den scharfsinnigen Repliken kann man spüren, dass das Skript eng mit den Schauspielern zusammen entwickelt wurde.
Zugegeben, es ist die Sicht einer eher wohlhabenden, weißen, demokratischen Familie, und ebenfalls zugegeben, der Abend droht mit seinem naturalistischem Plauderton öfters in eine belanglos-harmlose Unterhaltung abzugleiten, doch der Versuch, mit den Mitteln des Dramas eine politische wie persönliche Bestandsaufnahme Amerikas zu machen, ist es allein schon wert, die Aufführung zu sehen. Der Abend handelt viel von Fragen wie jenen schon fast rituellen wie: "Wo warst du an dem Morgen, als es geschah?" bis hin zu denen, die keiner öffentlich zu stellen wagt: Warum bezahlt der Staat den Familien der Opfer Geld? Warum werden Opfer plötzlich zu Helden? Warum wurde Bin Laden erschossen, wenn er unbewaffnet war? Oder: Sind Denkmäler für die Lebenden oder die Toten?
Zwischen persönlicher Trauer, politischer Wut und tiefer Verunsicherung erzählt "Sweet and Sad" von einem Amerika, das immer noch nicht wieder zu sich selbst gefunden hat. Richard Nelsons zweiter Abend der Apple Familiensaga trifft genau diesen vorsichtigen und nachdenklichen Ton jenseits von Beschuldigung und Propaganda, den Amerikas Politkultur so dringend bräuchte.
"In einer Zeit, in der Worte von ihren Bedeutungen weggezerrt und für Hetztiraden und als Waffen benutzt werden, glaube ich daran, dass das Theater ein Zuhause für eine menschliche Unterhaltung sein kann."
"Sweet and Sad" spielt am 11. September 2011, dem Tag, an dem es auch seine Premiere hatte. Am gleichen Ort mit denselben Charakteren und Schauspielern, wie beim ersten Mal reflektieren auf der Bühne die Mitglieder der Apple Familie die Lage der Nation und ihre Befindlichkeit bei einem späten Mittagessen im Hause von Barbara Apple in Rhinebek, einem kleinen Ort in Greater New York. Aber anders als in "That Hopey Changey Thing", wo noch die Meinungen über Sarah Palin oder Barack Obamas Gesundheitsreform aufeinanderprallten, wird in "Sweet and Sad" sehr wenig direkt über Politik geredet.
Immer wenn Richard, Barbaras Anwaltbruder, eine politische Bemerkung machen will, zischt ihm eine seiner Schwestern ein "doch nicht heute bitte" entgegen.
Und obwohl auch niemand den Anlass für den heutigen Tag des Erinnerns direkt anspricht, schwebt der 11. September wie ein dunkler Schatten über allem und taucht immer wieder in Nebenbemerkungen auf. Über den Verlust einer Tochter von Barbaras Schwester Marian, die Selbstmord begangen hat, oder die Krankheit des Onkels wird dabei genauso erfolglos geschwiegen, wie über die enorme Staatsverschuldung und dass die Chinesen eine große Schnellstraße in New Jersey gekauft haben.
Richard Nelson hat dabei ein komplexes Beziehungsspiel zwischen den Mitgliedern der Apple Familie gesponnen. Die Hintergrundgeschichten der Figuren sind dabei wie bei einer Reality TV-Serie in Echtzeit weiterentwickelt. So hat Richard wie vor einem Jahr angekündigt seine Firma gewechselt und das Buch, an dem Jane schrieb, ist in "Sweet and Sad" nun endlich veröffentlicht. An den mühelosen Dialogen und den scharfsinnigen Repliken kann man spüren, dass das Skript eng mit den Schauspielern zusammen entwickelt wurde.
Zugegeben, es ist die Sicht einer eher wohlhabenden, weißen, demokratischen Familie, und ebenfalls zugegeben, der Abend droht mit seinem naturalistischem Plauderton öfters in eine belanglos-harmlose Unterhaltung abzugleiten, doch der Versuch, mit den Mitteln des Dramas eine politische wie persönliche Bestandsaufnahme Amerikas zu machen, ist es allein schon wert, die Aufführung zu sehen. Der Abend handelt viel von Fragen wie jenen schon fast rituellen wie: "Wo warst du an dem Morgen, als es geschah?" bis hin zu denen, die keiner öffentlich zu stellen wagt: Warum bezahlt der Staat den Familien der Opfer Geld? Warum werden Opfer plötzlich zu Helden? Warum wurde Bin Laden erschossen, wenn er unbewaffnet war? Oder: Sind Denkmäler für die Lebenden oder die Toten?
Zwischen persönlicher Trauer, politischer Wut und tiefer Verunsicherung erzählt "Sweet and Sad" von einem Amerika, das immer noch nicht wieder zu sich selbst gefunden hat. Richard Nelsons zweiter Abend der Apple Familiensaga trifft genau diesen vorsichtigen und nachdenklichen Ton jenseits von Beschuldigung und Propaganda, den Amerikas Politkultur so dringend bräuchte.