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Bestandsaufnahme des Medienwandels

Die Tagung "Radio Zukunft – Tage der Audiokunst" widmete sich der Frage nach der Zukunft des akustischen Erzählens. Denn die Produktions- wie Rezeptionsbedingungen haben sich verändert: digitales Mischpult statt Geräuschemacher, Breitband-Internet statt Rundfunkempfänger

Von Christiane Enkeler | 11.03.2013
    "Es ist so, dass wir diese Veranstaltung für notwendig befunden haben, weil wir am eigenen Leib als Künstler, aber auch die Hörer, spüren, wie radikal und wie vehement sich unsere Art zu produzieren verändert und wie wir uns mit dieser Art zu produzieren auch in uns verändern, das ist fast ein körperlicher Prozess, da bildet sich in gewisser Weise schon der Mensch auch mit um."

    Oliver Sturm hat als künstlerischer Leiter das Programm der Festivaltagung "Radio Zukunft" mit Mareike Maage zusammen entwickelt, als eine "Bestandsaufnahme des Medienwandels".

    Die Fülle der Festivaltagung fächert viele Facetten auf: Der Medienrechtler Dieter Dörr wünscht sich, dass die Werbefinanzierung in den öffentlich-rechtlichen Programmen ersatzlos entfällt und erklärt deren Kulturauftrag juristisch-historisch. Dabei sind schon der Kulturbegriff des Verfassungsgerichtes und der des Rundfunkstaatsvertrages unterschiedlich weit gefasst. Die Art und Weise, wie der Kulturauftrag denn nun zu verwirklichen sei, liege bei den Programmmachern, sagt Dieter Dörr.

    "Es ist ein Spagat. Das wissen auch alle, und den Spagat müssen die Programmmacher erfüllen. Auf der einen Seite: Viele erreichen. Auf der anderen Seite: möglichst verlässliche Informationen, möglichst hohe Qualität, möglichst breites kulturelles Angebot."

    Das kulturelle Angebot der Tagung ist extrem breit gefächert: "Altmeister" Robert Wilson spricht in Anlehnung an John Cage über innere Bilder und Stille, also: erst mal lange gar nicht. Und die junge Video-Künstlerin Mila Burghardt findet diese Hoffnung auf Konzentration wunderbar, zeigt aber selbst eine Performance, die wesentlich mehr Esprit versprüht als Wilsons Beitrag. In Bild und Ton reflektiert sie den Menschen im Medium, in einen Rahmen, ein Format gepresst: Lichtspot, Türrahmen und eine verschachtelte Struktur von immer noch einer Regisseurin mehr aus dem Off, die das Eckige rundmachen will.

    "Ja, Bodenhaftung nicht verlieren, immer gut, sehr gut... genau, bleib da noch n bisschen unten, jawoll ... weicher, weicher ... (seufzt) ... ich hab den Eindruck, dass du dich noch nicht so richtig da reinversetzt hast, also wie das ist für unsere Hörer auch."

    Rappelvoll ist der kleine Saal, als der RBB live Rafael Jovés Hörspiel "Das Radio ist nicht Sibirien" zum Formatradio überträgt, in dem ein lustloser Moderator ohne kreative Freiheiten frustriert dem Spaß- und Musik-Diktat entgegen 30 Sekunden Stille sendet, weil er genug vom Dudelfunk hat. Und auch von spontanen Gedichten im Programm, hier gekürzt:

    "Unter geborstener Krume
    Verkarstetes Land
    Abgefrühstückt
    Weggesnackt
    Der suppige Himmel pisst in deine offenen Wunden
    Ein Dankeschön."

    Dieses Hörspiel folgt der Dramaturgie einer Magazinsendung. Aber natürlich hängen gesellschaftliche und technische Entwicklungen zusammen. Der 1982 geborene litauische Komponist Arturas Bumšteinas widerspricht den Futuristen und meint: Der Fortschritt schreitet langsam. In seiner Komposition konfrontiert er ein Gedicht von Marinetti mit barockem Ton. Gleichzeitig hat er hier seine Skepsis der Lautsprecheranordnung rings im Raum aufgegeben, und wirklich: Das ist nicht nur technischer Killefitz – Wind und wildes Erotikgeraschel wühlen und sausen um den Hörer herum.

    "Wenn ich mal die Gelegenheit habe, etwas abzuhören, ne gute 5.1. Produktion, nutz ich sie gerne, v.a. Dingen, wenn ich da richtig auf dem Sweet Spot sitze, aber meistens sitzt man doch irgendwie verkehrt."

    Hermann Bohlen, ein für subtilen Humor bekannter Hörspielautor, spricht im Vortrag über seine lineare Dramaturgie, die aber durch kleinteiliges Collagieren entsteht.
    Welche Möglichkeiten des Erzählens sich zusätzlich durch das nicht-lineare Internet ergeben, ist ein Riesenthema. Autor Andreas Bick und Redakteur Ingo Kottkamp haben ihr dokumentarischen Radiofeature "Pasted! – Remixes, Mashups und das Lob der Kopie" auf einer Seite im Netz hör- und sichtbar gemacht und dort mit Zusatzinformationen wie Fotos und Links versehen.

    Wer nicht gleichzeitig Verschiedenes hören und lesen kann, muss den Ton auf der Site zwischendurch anhalten, was im Publikum auf geteilte Begeisterung stößt. Die Form des Features aber ist aus dem Inhalt heraus entwickelt und damit sinnfällig. Interaktives Hörspiel oder Anlehnung an Computerspiele, also nicht-lineare Möglichkeitsdramaturgien fürs Hörstück, sind dagegen kaum einzuordnen zwischen Experiment und recht altbackener, Niveau senkender Stromlinienförmigkeit. Mit den technischen Möglichkeiten entsteht aber auch die Frage, wie Hörspiele der ans Internet gewöhnten Hörgemeinde zugänglich gemacht werden können, entstehen also auch Fragen zu Urheberrecht und Leistungsschutz.

    In dieser Fülle von Kurzvorträgen in kurzer Zeit zeigte sich klar, wie historische, juristische, gesellschaftliche, technische und dramaturgische Fragen auch untereinander voneinander abhängen – und oft auch noch Fragen sind, aber wichtige, denn – so Tagesmoderator Golo Föllmer:

    "Medien disziplinieren die Wahrnehmung."