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Bestsellerautorin Janne Teller
"Wenn ich schreibe, fühle ich mich zuhause"

Als UNO-Mitarbeiterin arbeite sie in Bangladesch, Pakistan, Tansania und Simbabwe, hatte außerdem Wohnungen in New York, Kopenhagen, Berlin und Paris: Janne Teller hat viel von der Welt gesehen. Sie könne sich schnell woanders zuhause fühlen, sagte sie im DLF. Dennoch gehören auch für sie ein paar besondere Dinge dazu, um von Heimat zu sprechen.

Janne Teller im Gespräch mit Anja Reinhardt | 03.09.2016
    Die dänische Schriftstellerin Janne Teller
    Janne Teller im DLF: "Nur wenn man ein Gefühl von Zusammenhang findet, kann man auch diese Heimatgefühle haben." (dpa / picture alliance / Marc Tirl)
    Anja Reinhardt: In der Fremde macht man sich meist mehr Gedanken über das, was Heimat ist: ein Ort oder die Familie, oder eben bestimmte Rituale. Wir haben in unserer "Kultur heute"-Reihe zum Thema "Heimat" schon mit Autoren, Architekten oder Kunstexperten gesprochen. Heute wollen wir die dänische Schriftstellerin Janne Teller zu ihrem Begriff von Heimat befragen. Janne Teller, 1964 geboren, lebt in New York und hat als UNO-Mitarbeiterin eigentlich schon die ganze Welt gesehen. Ihre Bücher werden in 25 Sprachen übersetzt. Nicht übersetzen lässt sich allerdings das Wort "Heimat" ins Dänische, wie sie uns erklärt hat.
    Janne Teller: Nein, wir haben ein Wort, mehr wie Zuhause ist das. Aber das ist nicht die gleiche Meinung als Heimat.
    Reinhardt: Also eher so was wie Home?
    Teller: Ja, genau.
    Reinhardt: Okay. Heimat hat ja mit Wurzeln zu tun. Wo fühlen Sie sich denn verwurzelt?
    Teller: Vielleicht New York, weil ich mag so gern New York, weil ich wegen aller Kulturen da zuhause sein kann. Aber das ist nicht wie mit Wurzeln; das ist mehr, dass ich diese Stadt sehr fantastisch finde und mich immer wohlfühle in New York. Aber sonst ist es so: Wenn ich schreibe zum Beispiel, dann fühle ich mich zuhause.
    "Ein Gefühl einer hundertprozentigen Intimität"
    Reinhardt: Hat das was damit zu tun, dass man dann in eine Welt eintaucht, die man selber erschaffen hat?
    Teller: Das weiß ich nicht. Ich glaube, für mich ist es mehr ein Gefühl von einer hundertprozentigen Intimität. Da gibt es überhaupt keine Vorstellung. Alles ist wahr und das ist so, wie wenn man das größte Zuhause-Gefühl haben kann, dass man wirklich okay ist. Das ist ganz nackt irgendwie in der Seele.
    "Kulturelle Formen stehen zwischen dem Mensch und der Wahrheit"
    Reinhardt: Dann können wir eigentlich direkt über Ihr Buch sprechen: "Nichts was im Leben wichtig ist". Weil da geht es eigentlich auch um eine Welt, in der jetzt nicht unbedingt die Regeln unserer realen Welt eine Rolle spielen. "Nichts bedeutet irgendwas. Deshalb lohnt es sich nicht, irgendetwas zu tun." Das sagt nämlich der junge Pierre Anton. Und das erinnert auch an Camus "Der Fremde" und an das Stück "Die Fremden" nach Kamel Daoud, das gestern auf der Ruhrtriennale zum ersten Mal gezeigt wurde.
    Heimat dagegen ist ja vor allem das: Bedeutung. Müssen wir die eigentlich immer wieder überprüfen?
    Teller: Jeder muss für sich in seinem eigenen Leben die Bedeutung finden. Das "Nichts" in der Aussage von Pierre Anton ist natürlich eine Provokation. Ich bin nicht mit ihm einig, aber das ist eine Grundfrage, diese existenzielle Frage, was bedeutet eigentlich was im Leben.
    Und das ist auch richtig: Nur wenn man ein Gefühl von Zusammenhang findet, von Bedeutung, dann kann man auch diese Heimatgefühle haben.
    Was ich immer suche ist, was ist wahr hier, und sehr oft wirken kulturelle Formen. Sie sind natürlich wichtig für eine Gesellschaft, um zu funktionieren, aber sie stehen auch zwischen dem Mensch und der Wahrheit.
    Reinhardt: Die Suche nach Kultur, da können wir vielleicht auch mal auf Ihre Biografie zu sprechen kommen. Sie haben deutsch-österreichische Wurzeln. Was bedeutet das für Sie? Fühlen Sie sich auch in der deutschen oder österreichischen Kultur irgendwie verwurzelt?
    Teller: Ja. In Dänemark zum Beispiel: Alles ist ein bisschen lässig. Es geht noch: Wir haben ja Bier und Fußball, und dann ist alles okay. Und besonders in Österreich: In Österreich ist alles dramatisch. Alles ist Leben und Tod. Und diese Passion ist ganz das Gegenteil von der dänischen Kultur. Weil ich in Dänemark aufgewachsen bin und wir nie Deutsch zuhause gesprochen haben, habe ich für mich dieses Temperament, dieses undänische Temperament, dass ich so viel Passion für alles habe. Deutschland ist irgendwie dazwischen, finde ich.
    Es ist nicht so locker wie in Dänemark, alles ist ein bisschen mehr formell hier. Aber es ist auch nicht so passioniert wie in Österreich. Aber das ist für mich, was interessant ist mit verschiedenen Kulturen, dass man irgendwie lernt, durchzusehen, und dann kann man auch ein bisschen aussuchen, was man glaubt, was ist besser oder richtiger.
    Reinhardt: Sie haben ja sehr viele Kulturen kennengelernt. Sie sind sehr viel gereist als UNO-Mitarbeiterin. Sie waren Beauftragte für Konfliktbewältigung. Da haben Sie in Bangladesch gearbeitet, in Pakistan, Tansania oder Simbabwe. Was haben Sie denn da über Heimat gelernt?
    Teller: Ich war besonders mehrere Jahre in Afrika, in Tansania und Mosambik. Da habe ich wirklich gelernt, dass man viel mehr lebendig ist, während man in Europa priorisieren wir oft mehr die Arbeit, ob es einen Report fertigzumachen gibt oder so. Was eigentlich ganz abstrakt ist, wenn man in Afrika viel mehr mit direkten Problemen zu tun hat.
    "Wir haben eine Mitverantwortung für diese Welt"
    Reinhardt: Haben denn Ihre Erfahrungen, die Sie unter anderem in Afrika gemacht haben, auch dazu beigetragen, dass Sie vor ein paar Monaten einen doch irgendwie auch flammenden Artikel in der "FAZ" geschrieben haben, wo Sie sich sehr positiv über die deutsche Flüchtlingspolitik zum Beispiel geäußert haben und gesagt haben, wir in Europa haben die Pflicht, auch Menschen aufzunehmen, die vor Krieg und Hunger fliehen?
    Teller: Ja, natürlich habe ich viel Elend gesehen. Aber das ist auch meine tiefste Überzeugung natürlich. Ich komme selber aus einer Flüchtlings- oder Migrantenfamilie. Meine Mutter kam mit zwölf Jahren mit dem Roten Kreuz nach Dänemark und eine Familie hat sie da aufgenommen. Wir kennen es wirklich hautnah.
    In dieser Welt gibt es geopolitische Umstände. Die normalen Leute müssen überleben, sie können nicht alles kontrollieren und sie verlieren die Kontrolle über ihr eigenes Leben, und was sollen die denn tun. Natürlich sehe ich auch, wir können nicht alle armen Menschen der ganzen Welt nehmen, aber wir haben eine Mitverantwortung für diese Welt, für was passiert in dieser Welt. Wir haben auch sehr viel Einfluss. Und wenn da Krieg irgendwo ist und die Leute fliehen vor Kriegen, dann muss man ihnen helfen.
    Was ich gesehen habe: In vielen Ländern in Europa und besonders auch in Dänemark ist diese Debatte über Flüchtlinge so hassvoll. Deswegen bin ich viel mehr enthusiastisch über das, was hier in Deutschland passiert, auch wenn man jetzt Pegida und AfD hat und so weiter. Aber das ist noch an den Rändern. Alle größeren Mitte-Parteien in Deutschland und auch alle normalen Menschen sprechen über Flüchtlinge und Immigranten mit Respekt.
    Reinhardt: Aber ich würde da ganz gerne noch mal einhaken, weil ich mir nicht sicher bin, ob Sie das wissen. Vor drei Jahren haben nämlich Aktivisten in Berlin 100 Exemplare Ihres Buches "Krieg, stell Dir vor, er wäre hier" aufgekauft und dann an die Anwohner einer Straße verteilt, in der Flüchtlinge untergebracht werden sollten, weil die nicht so wirklich damit einverstanden waren. Und diese Aktivisten wollten sie mit Ihrem Buch überzeugen, dass das richtig ist, diese Flüchtlinge aufzunehmen. Das ist sozusagen schriftstellerische Hilfe.
    Teller: Ja, und ich finde, es war wirklich schön, weil sie genau für syrische muslimische Flüchtlinge sich eingesetzt haben mit diesem Buch. Aber das zeigt doch, diese Aktion zeigt doch, dass die Mehrheit der Deutschen findet, man muss mit Flüchtlingen mit Respekt umgehen.
    "Ich kann mich überall zuhause finden"
    Reinhardt: Für Sie ist Berlin auch eine Heimat. Wenn ich richtig informiert bin, haben Sie mittlerweile auch eine Wohnung in Berlin. Auch in Kopenhagen, in New York, in Paris. Korrigieren Sie mich ruhig, wenn das falsch ist. Aber Sie sind eine Nomadin, haben Sie selbst mal gesagt, und mich würde interessieren, ob es eigentlich irgendwelche Dinge auch gibt, die Sie immer mit sich führen, um vielleicht auch so was wie Heimat zu spüren.
    Teller: Gerade jetzt habe ich keine Wohnung hier in Berlin, aber das habe ich ganz oft und ich komme sehr oft nach Berlin und fühle mich ganz zuhause hier. Berlin ist total multikulturell und vielleicht ein bisschen wie ein europäisches New York und immer spannend, finde ich.
    Diese Geschichte von der Grenze zwischen Ost und West, dadurch ist immer eine besondere Energie in Berlin, was ich sehr gern habe. Aber ich bin ein Nomade. Ich kann mich fast überall zuhause finden, wenn ich einige Bücher habe und ich meinen Platz habe. Dann kann ich schreiben. Eigentlich finde ich nur - und das kann verschiedene Ursachen haben -, ich muss immer was Schönes haben. Das können Kristallgläser sein oder eine Zeichnung. Ich finde immer was ganz Schönes und dann stelle ich es auf den Tisch oder so was. Dann habe ich was wirklich Schönes, um es anzugucken, und dann finde ich es okay, hier kann ich arbeiten. Und wenn ich arbeite, fühle ich mich zuhause.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.