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"Besuch bei dem Vater" und "Platonow"

Roland Schimmelpfennig ist einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Dramatiker. Bereits zwanzig seiner Stücke wurden uraufgeführt. Jetzt hatte in Bochum "Der Besuch beim Vater" Premiere. Am Vorabend gab es zur Einstimmung Tschechows "Platonow" - von der jungen Regisseurin Jolinde Dröse. Zwei Stücke also, in deren Mittelpunkt beide Male ein junger Mann als gelangweilter Verführer steht.

Von Dorothea Marcus | 15.04.2007
    Roland Schimmelpfennigs Stücke sind kaum nachzuerzählen: Sie sind Reflexe der heutigen Welt und haben dennoch nichts mit ihrer rasenden Geschwätzigkeit zu tun. Immer bleiben sie unbestimmt und etwas versponnen, fremdartig und rätselhaft - obwohl sie alltäglichste Situationen beschreiben. "Besuch bei dem Vater" ist der erste Teil einer "Trilogie der Tiere", in der es um das Scheitern von einem gewissen Peter geht. Der zweite Teil soll im Herbst in Berlin, der letzte Teil "Anfang und Ende" ist bereits 2006 am Wiener Burgtheater uraufgeführt worden. In Bochum ist Peter ein verlorener Sohn, der von seinem Vater verlassen worden ist - nun, im Alter von 20 Jahren, lernt er ihn kennen. Wie ein Geist taucht Peter viel zu früh auf, mit Rucksack und Landstreichermantel: Zu Fuß ist der Heimatlose von Hamburg durch den Schnee gewandert, um "Fuß zu fassen" - ins Landhaus, wo sein gutbürgerlicher Professorenvater mit Tochter, Ehefrau, deren Tochter Marietta und deren Nichte Sonja lebt, die seine Geliebte ist: ein Tschechow-Szenario.

    "Das gibt es doch nicht. Warum sagt mir keiner Bescheid, warum sagt mir keiner, dass du hier bist? Junge! Der Lohn ist reingekommen! Der Lohn ist reingekommen. Weißt du, ich höre langsam schwer, bisschen früh für mein Alter, vielleicht liegt es auch an meinem Eltern. Sonja hat gerade an meinem Ohr... wir haben gerade eine Ente geschossen!"

    Der Entenschuss ist schon einer der erotischen Höhepunkte des alternden Vaters. Und so kann der vitale Sohn seinen Vater frei, hemmungslos und losgelöst von allen Konventionen herausfordern. Er, der einzige, der Enten ausnehmen kann, verführt mit wenigen Worten drei der vier Frauen im Haus, alle deutlich älter als er, mit unerfüllten Kinder- und Liebessehnsüchten. Auf der Stelle verfallen sie ihm wie die Frauen Tschechows Platonow - und beginnen den Schmerz zu lieben.

    " Ich habe geträumt, ich hätte mit dem erwachsenen Sohn meines Mannes geschlafen und dann war es Realität. Wurde es schlimmer, immer grauenhafter, was er mit mir tat. Als ich aufwachte, dachte ich, Gott sei dank, es war nur ein Traum. Aber dann merkte ich, dass es gar kein Traum war. So eine eigenartige Art, mich in meine Brüste zu vergreifen, wieder und wieder, und er sagte so furchtbare Dinge."

    Was als Stück über Intensitätssucht und Familienbiederkeit beginnt, wächst sich zum archaischen Vater-Sohn-Drama aus. Mit mythischer Wucht erzählt es von der Verzweiflung des Alterns und unbewusster Rache: Zum Schluss erträgt der Vater den vitalen, brutalen und raumgreifenden Sohn nicht mehr, bedroht ihn mit der Schrotflinte und jagt ihn zum Haus hinaus wie ein lästiges Tier. Regisseur Elmar Goerden macht das Stück zu einem kargen Kammerspiel, das er vom Blatt spielen lässt und so einige Längen in Kauf nimmt. Er hat das Landhaus auf eine fast leere Bühne mit Natursteinpfeiler gesetzt und sparsam mit Stühlen, Tischen und Schränken möbliert - nur an der Wand wechseln Projektionen von Winterlandschaften oder kahlen Innenräumen.

    Die Schauspieler sprechen langsam und bedeutungsschwer, gehen vor ihren Szenen auf langen Gängen über die Bühne, zuweilen wenden sie sich in Monologen unpassend gestikulierend zum Zuschauer - und schaffen dabei nicht immer, die Spannung zu halten. Insgesamt wirkt der Abend zerfasert und fast zu realistisch für die mythische Dimension des Dramas, das voller Anspielungen auf russische Weltliteratur steckt: einmal bringt Peter eine Frau dazu, kostbare Erstausgaben von Tolstoi zu zerreißen. Es ist also nur folgerichtig, wenn das Schauspielhaus Bochum am Vorabend Tschechows Platonow zeigt - den Jorinde Dröse aus russischen Weiten in deutschen Großstadtalltag und seine Liebesnöte verlegt hat. Im Programmheft wechseln sich Tschechow-Erzählungen mit modernen Antiliebestexten von Sibylle Berg ab. Auch die Übersetzung von Ulrike Zemme hört sich an wie moderner Trennungstalk - die große Emotionalität des Tschechowschen Erstlings hat die Regisseurin weitgehend zum Verschwinden gebracht.

    "Die Verabredung war, dass wir uns treffen. Ich hätte meine Verabredung auch gehalten, wenn ich nicht, auf dich kann man sich nicht verlassen. Ich komme zu dir und du stinkst nach Alkohol. Was machst du mit mir! Wenn du mich liebtest, würdest du es nicht wagen, mich so zu behandeln...!"

    Peter und Platonow sind zwei Erscheinungen einer Person: Langeweile, Zynismus und Depression treibt sie dazu, die Herzen der Frauen zu verbrennen - die bereitwillig auflodern. Leider spürt man an beiden Abenden in Bochum nicht, was eigentlich die Anziehungskraft dieser großen Verführer ausmachen könnte.