Heute wissen wir aus Erfahrung, wie universell die Langeweile sein kann. Sie kann jeden einholen, jederzeit, beim Warten an der Bushaltestelle, beim Alleinsein zuhause, in der Schule, mitten im Konzert, am Arbeitsplatz, beim Freizeitvergnügen; manche streckt sie sogar nieder, wenn sie miteinander im Bett liegen. Die Ausmaße, die die Event-Kultur angenommen hat, geben einen guten Eindruck davon, wie gefürchtet die Langeweile sein muss. Vorzugsweise holt sie die Menschen ein am Sonntag, daher soll der nun abgeschafft werden, denn in der Moderne löst man Probleme gerne durch "Abschaffung". Fatalerweise wird die Langeweile umso gravierender, je intensiver die Erlebnisse sind, die sie töten sollen: Rache des Lebens, das sich weigert, ausschliesslich zu dem angenehmen, lustvollen, kompakt intensiven Block zu werden, den moderne Menschen gerne als "das Leben" hätten.
Vielleicht ist die Langeweile keine Erfindung der Moderne, aber in ihr grassiert sie. Die Sache und das Wort gab es wohl schon vorher, aber in der Moderne wird die Langeweile zum Begriff. Es ist schade, dass der Autor der "Philosophie der Langeweile" auf genauere historische Untersuchungen verzichtet und zu dem schnellen Schluss kommt, es handle sich um ein "geschichtsübergreifendes Phänomen", das alle Menschen zu jeder Zeit gleichermaßen betreffe. Was den europäischen Kulturkreis angeht, so war die Langeweile in früheren Zeiten eher ein "Privileg" der Oberschicht, während sie in der Moderne auf demokratische Weise zum Problem aller wird. Der "Mittagsdämon", als der die lähmende Langeweile in den Schriften des Mönchtums einst bezeichnet worden ist, sucht die Menschen längst auch morgens und abends heim und wird zum Problem der Existenz schlechthin. So wird der Mensch schliesslich zum "Tier, das sich langweilt", wie Werner Sombart 1956 schrieb.
Vor zehn Jahren gab es schon einmal einen philosophischen Versuch über das Phänomen, nämlich das Buch über die "Metaphysik der Langeweile" von Benno Hübner, 1991 in Wien erschienen, ein verrücktes Buch, sehr materialreich, aber leider nicht sehr gut lesbar. Das vorliegende Buch ist überschaubar und vertreibt für gut zwei, drei Stunden die Zeit. Es schildert und deutet die Langeweile, die wir immer für einförmig hielten, während wir nun bemerken, dass sie ganz verschiedene Formen annehmen kann: gelegentlich auftretende oder das ganze Leben umfassende, gewollte oder ungewollte, produktive oder destruktive. Langeweile entpuppt sich als ein so mächtiger Beweggrund fürs Handeln wie Liebe oder Ehrgeiz. So bedrohlich kann die Langeweile sein, dass das bloße Handeln um des Handelns willen schon zum Akt des Lebens wird. Wenigstens werden im Buch nach der Diagnose auch noch Therapien diskutiert, sowohl diejenigen, deren Erfolglosigkeit jeder an sich selbst testen kann, wie auch andere, die zumindest erfolgversprechend klingen. Am sinnvollsten erscheint aber noch immer, die Langeweile aushalten zu lernen; im besten Fall sind die leeren Stunden dann die kreativsten. Auf etwas anderes zu hoffen, bleibt uns ohnehin kaum übrig.