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Beteiligung der Bundeswehr an Militärschlägen gegen Afghanistan?

    Heinlein: Die Chronik eines angekündigten Krieges – seit gestern abend wird das dramatische Schlusskapitel geschrieben. Knapp vier Wochen nach den Terroranschlägen auf New York und Washington ließ der US-Präsident seinen verbalen Drohungen nun Taten folgen: Schwere Luftangriffe auf Ziele in ganz Afghanistan, und auch in der Nacht gab es weitere Explosionen. Noch sind keine deutschen Soldaten an den Angriffen beteiligt, doch George Bush hat gestern abend angekündigt, dass Deutschland im Verlauf des Einsatzes Kräfte zur Verfügung stellen werde. Bundeskanzler Schröder erklärte in Berlin, die Bundesregierung sei bereit, ihren militärischen Beitrag zu leisten. Am Telefon nun der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Wilhelm Schmidt: Guten Morgen.

    Schmidt: Guten Morgen, Herr Heinlein.

    Heinlein: Herr Schmidt: Die Angriffe sollen so lange dauern bis das Terrornetzwerk der Taliban zerstört sei – so heißt es aus Washington. Wie lange wird der Krieg dauern?

    Schmidt: Das kann keiner sagen, aber die Auseinandersetzung gegen den Terrorismus ist allein schon wegen dessen Form, die er durchführt, natürlich nicht einfach. Und deswegen vermute ich schon, dass das Wochen und Monate dauern kann.

    Heinlein: Ist denn ein Ende des Terrors aus Afghanistan militärisch überhaupt zu erreichen?

    Schmidt: Das kann man nicht genau sagen, denn offensichtlich hat sich ja das Netzwerk, das bin Laden und andere gestrickt haben, über die ganze Welt inzwischen ausgebreitet. Und von daher wird man hier nur den Ausgangspunkt treffen können, und wir werden alle aufgefordert sein, auch bei uns in unserem Lande noch aufmerksamer als bisher auf diese Dinge zu achten und dann auch dort zuzuschlagen, wenn etwas festgestellt werden sollte.

    Heinlein: Nach der gestrigen Aussage von George Bush, dem US-Präsidenten und dem Statement des Bundeskanzlers: In welchem Umfang rechnen Sie denn damit, dass sich die Bundeswehr an möglichen Militäraktionen beteiligen wird?

    Schmidt: Also, das hat ja bei uns gewissermaßen natürliche Grenzen; wir haben ja nur bedingt für solche Einsatznotwendigkeiten vorbereitete Kräfte. Aber die haben wir, und wenn die dann angefordert werden von der amerikanischen Seite, dann werden sie auch eingesetzt werden. Das bedeutet beispielsweise, dass bei den AWACS-Flugzeugen die Besatzungen, die ja auch deutsche Besatzungen zu einem Teil sind, weiter im Einsatz bleiben - und dann nicht nur über NATO-Gebiet, wie jetzt, sondern möglicherweise dann auch über andere Gebiete, um damit den aufklärenden Teil noch auszudehnen und zu unterstützen. Das könnte dann schon der erste Schritt sein. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir zu logistischer Unterstützung gebeten werden, und ob die Krisen-Spezial-Kräfte der Bundeswehr oder andere Einsatzkräfte dieser Art dann noch angefordert werden, hängt auch sicherlich von der Entwicklung ab, die der ganze Einsatz dort jetzt nimmt.

    Heinlein: AWACS sagen Sie, KSK-Einsätze – ist hierfür die Zustimmung des Deutschen Bundestages vorab notwendig und sinnvoll?

    Schmidt: Wenn es außerhalb des NATO-Gebietes ist, dann ja. Dann wäre es also der Einsatz im Ausland, den wir immer wieder vor Augen haben und der durch die Verfassung – durch das Verfassungsgerichtsurteil, das wir ja haben, dann auch entsprechend uns dazu bringen muss, den Bundestag zu informieren. Ich gehe ohnehin davon aus, dass aufgrund der neuesten Entwicklungen der Bundestag, der ja in dieser Woche tagt – ganz normal zunächst, wie vorgesehen –, dass der aber vom Bundeskanzler oder vom Bundesaußenminister noch unterrichtet werden wird. Das kann schon am Mittwoch sein, wenn das erste Mal offizielle Sitzung ist. Wenn es dringender notwendig sein sollte, kann man es auch schon am Dienstag machen.

    Heinlein: Unter welchen Umständen, Herr Schmidt – ‚Gefahr im Verzug‘ ist die korrekte Formulierung – kann denn der Bundestag nachträglich seine Zustimmung, etwa zu KSK-Einsätzen geben?

    Schmidt: Nach dem, was wir auch unter rechtlichen Aspekten im Einvernehmen mit der Bundesregierung haben klären lassen, ist das ziemlich eindeutig. Man kann natürlich nicht zum Beispiel eine Beteiligung an einer Operation, die aus militärischen Gründen geheim bleiben muss, vorher gewissermaßen erst im Parlament diskutieren. Für solche Fälle ist das unter anderem gedacht, ansonsten natürlich auch für überraschende Einsätze, die wir jetzt eben noch nicht ganz übersehen. Es ist ja nicht ganz unmöglich, dass es auch so etwas gibt. Also, das heißt dann aber unverzüglich, und wir sind durchaus in der Lage, den Deutschen Bundestag innerhalb von 24 Stunden zu einer Sitzung zusammenzurufen, wenn er nicht ohnehin tagt wie in dieser Woche.

    Heinlein: Am Dienstag oder Mittwoch, sagen Sie, könnte möglicherweise der Bundestag über eine deutsche Beteiligung abstimmen. Wird denn Ihre Fraktion – die SPD-Fraktion – geschlossen ‚ja‘ sagen zu möglichen Militäreinsätzen der Bundeswehr?

    Schmidt: Also, ich denke, darum geht es eben nicht. Wir werden sicherlich unter den Umständen eine große, breite Mehrheit haben. Aber ich gehe auch davon aus, auch unter dem Eindruck des zweiten Mazedonien-Beschlusses, den wir vor kurzem gefasst haben, dass auch die SPD-Fraktion geschlossen abstimmt – bis vielleicht auf einige, ganz wenige Ausnahmen.

    Heinlein: Das war der SPD-Politiker Wilhelm Schmidt. Herr Schmidt, ich danke für das Gespräch; und mitgehört hat die grüne Fraktionschefin Kerstin Müller. Guten Morgen.

    Müller: Guten Morgen Herr Heinlein.

    Heinlein: Frau Müller, an diesem Wochenende die Zustimmung des grünen Länderrates für deutsche Militäraktionen an der Seite der USA. Wie weitreichend ist denn jetzt vor der jüngsten Entwicklung dieses ‚Ja‘ zu Einsätzen der Bundeswehr?

    Müller: Nun, wir haben das ja unter ganz strenge Kriterien gesetzt - nicht ohne Wenn und Aber – egal, was dort geschieht, sondern unsere Basis ist das Völkerrecht. Das Völkerrecht kennt zum Beispiel ‚Rache‘ und ‚Vergeltung‘ nicht, und ich habe immer gesagt: Legitim ist meines Erachtens – nach dem Völkerrecht – zielgerichtete und begrenzte Militäraktionen zur Ergreifung der Täter und zur Zerstörung terroristischer Infrastruktur. Soweit man das jetzt weiß – es gibt ja kaum Informationen im Grunde über das, was dort die Nacht über geschehen ist –, wurden vor allen Dingen Ausbildungslager, terroristische Infrastruktur sowie militärische Einrichtungen angegriffen. Das wäre im Rahmen dessen, was wir an Kriterien aufgestellt haben.

    Heinlein: Sie haben ja auch noch weitere Kriterien aufgestellt. Unter anderem fordern Sie einen politischen Plan, der hinter den US-Angriffen stecken muss. Glauben Sie denn – oder was meinen Sie – sind alle die Kriterien, die Sie aufgestellt haben, erfüllt aufgrund der aktuellen Entwicklung?

    Müller: Also, zum einen bin ich wirklich fest davon überzeugt und meine Partei auch, dass man mit militärischen Mitteln alleine keine Chance hat gegen den internationalen Terrorismus. Hier habe ich allerdings den Eindruck, dass auch andere Maßnahmen ergriffen werden sollen, also etwa die internationalen Finanzquellen auszutrocknen. Damit haben die Amerikaner begonnen, damit haben die Europäer begonnen. Es werden weitere Maßnahmen zur Aufhebung des Bankgeheimnisses zur Aufdeckung der Finanzströme gemacht, die ich für absolut wichtig halte und die die volle Unterstützung der Grünen finden. Politisches Gesamtkonzept: Osama bin Laden hat ja gestern – interessanterweise ist er in Erscheinung getreten, was ja auch noch einmal ein Beleg dafür ist, dass er offensichtlich der Drahtzieher ist –, aber er hat eine Drohung ausgesprochen, nicht nur gegenüber dem Westen, sondern auch gegenüber dem Nahen Osten. Das heißt, wir brauchen in der Tat wirklich ein politisches Gesamtkonzept, das in den Krisenregionen dieser Welt die sozialökonomischen Ursachen bearbeitet, aus denen sich so eine Gewaltbereitschaft speist. Und der Nahe Osten ist nun einmal einer der zentralen Krisenherde; hier hat der deutsche Außenminister gerade eine zentrale Rolle gespielt. Aber wir brauchen, glaube ich, wirklich noch mehr Anstrengungen. Die Verhandlungspartner, die Konfliktparteien müssen an den Verhandlungstisch zurück; Scharon muss auch seine aggressive Politik hier aufgeben.

    Heinlein: Frau Müller, wir haben es gerade von Ihrem Koalitionspartner gehört: Möglicherweise schon morgen, spätestens am Mittwoch – vielleicht – die Abstimmung im Deutschen Bundestag über eine deutsche Beteiligung an möglichen Militärschlägen. Wie wird sich denn Ihre Fraktion verhalten?

    Müller: Also, meines Wissens nach gibt es überhaupt keine Anfrage nach deutscher Beteiligung. Bisher sind deutsche Soldaten nicht beteiligt, und es gibt keine Anfrage. Und deshalb werde ich darüber nicht spekulieren. Ich bin da etwas verwundert. Was im Moment diskutiert wird, das ist die Verlegung von AWACS-Aufklärungsflugzeugen in einen anderen NATO-Luftraum, also über die USA bzw. nach Kanada. Das wäre ein Einsatz deutscher Soldaten innerhalb des NATO-Gebietes, das heißt vermutlich noch nicht einmal zustimmungspflichtig im Deutschen Bundestag. Weiteres wird meines Erachtens nicht diskutiert zur Zeit, sondern da wird nur rumspekuliert.

    Heinlein: Dennoch, so spekulativ ist es ja nicht, Frau Müller. Der US-Präsident hat es gestern gesagt: Deutschland werde sich mit drei anderen Ländern beteiligen an einer möglichen Fortsetzung der Angriffe. Und wir haben es gerade von Wilhelm

    Schmidt: gehört – möglicherweise schon morgen die Abstimmung im Bundestag. Sie müssen sich schon Gedanken machen innerhalb Ihrer Fraktion, wie man sich dann verhalten muss . . .

    Müller: . . . nein, ich werde mir keine Gedanken über ‚Speculatio‘ machen, tut mir leid. Ich weiß davon nichts, mir ist davon nichts bekannt. Ich habe gestern intensive Gespräche auch mit dem Außenminister gehabt und wir sind mehrfach informiert worden. Ich halte das wieder für reine Spekulation. Möglicherweise ist Herr

    Schmidt: nicht informiert.

    Heinlein: Ist denn die Zustimmung des Bundestages für Sie, für Ihre Partei Die Grünen, unabdingbar für eine mögliche deutsche Beteiligung an Militäraktionen, oder gilt für Sie auch die Klausel möglicherweise: ‚Gefahr im Verzuge‘?

    Müller: Also, das haben wir überhaupt nicht individuell zu entscheiden, sondern da gibt es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, was sehr strenge Kriterien aufgestellt hat. Danach heißt es ‚Parlamentsvorbehalt – ohne Wenn und Aber‘. Das heißt, wenn irgend möglich muss vorher eine Zustimmung eingeholt werden. Man muss das sehr gut begründen, wenn man hier von ‚Gefahr im Verzuge‘ ausgehen wird. Deshalb werde ich mich auch an solchen Spekulationen nicht beteiligen, weil mein Stand bisher ist, dass dies niemand in der Bundesregierung vor hat, und man suggeriert immer mit solchen Spekulationen, als habe das jemand in der Bundesregierung vor. Soweit ich weiß, hat dies der Kanzler nicht vor.

    Heinlein: Dann wenden wir uns von den Spekulationen, wie Sie sagen, mal zu den Fakten: Die Gefährdung der inneren Sicherheit. Auf sie will der Bundesinnenminister mit neuen Maßnahmen reagieren. Das war schon vor den US-Angriffen klar; er spricht von ‚Kronzeugenregelung‘ und ‚Fingerabdrücken‘. Werden denn die Grünen diesen konkreten Kurs unterstützen?

    Müller: Also, wir sind da in intensiven Gesprächen mit dem Bundesinnenminister, weil wir gemeinsam beschlossen haben, dass wir ein solches Sicherheitspaket in den Deutschen Bundestag einbringen werden. Und wir werden all das tun, was in der Abwägung – wie große ist der Eingriff in Bürgerrechte – wirklich dazu dient, mögliche künftige Taten zu verhindern. So. Nun sage ich mal etwas zu den konkreten Vorschlägen: Die Bundeswehr im Inneren hat überhaupt gar nichts damit zu tun, künftige Taten zu verhindern. Das ist reine Show, blinder Aktionismus seitens der Union. Da wird es keine Zustimmung seitens der Grünen geben – völlig überflüssig, das ist Aufgabe der Polizei . . .

    Heinlein: . . . schlägt Otto Schily auch gar nicht vor . . .

    Müller: . . . nun, es gibt ja auch den einen oder anderen SPD-Abgeordneten, der das angesprochen hat. Zweitens: Kronzeugenregelung. Auch das hat überhaupt gar nichts jetzt damit zu tun, wie man mögliche künftige Taten verhindert. Hier gibt es schon seit längerem eine Auseinandersetzung, dass Teile der SPD das für sinnvoll halten. Wir halten das überhaupt nicht für sinnvoll. Die alte Kronzeugenregelung ist 99 ausgelaufen, weil sie keinen einzigen Täter überführt hat, weil sie - im Gegenteil - zu Falschverdächtigungen führt und nicht dazu, dass man mehr erfährt. Im übrigen habe ich ein rechtsstaatliches Problem damit, wenn ein Mörder freigelassen wird oder mit einer dreijährigen Freiheitsstrafe nur wegkommt.

    Heinlein: Frau Müller, spricht aus Ihrer Zurückhaltung in diesen Fragen, auch was die Außenpolitik anbelangt, vielleicht auch ein wenig die Sorge mit - vor einer erneuten Zerreißprobe für Ihre Partei?

    Müller: Nein, aber wir werden eben in der Innenpolitik als Bürgerrechtspartei sehr genau prüfen, was mehr Sicherheit schafft und was nur vorgibt, es zu tun, und was sind Maßnahmen bzw. Lieblingsforderungen, die man jetzt mal gerade im Windschatten dieser Tragödie durchsetzen will. Beim Letzteren werden wir nicht mitmachen. Allerdings – natürlich: Wir haben eine gefährdete Sicherheitslage. Vor allen Dingen müssen wir all das tun, was solche Taten verhindert, also etwa verhindert, dass ein Täter dreimal unter einer falschen Identität mit einem Visum hier einreist. Da kann man Maßnahmen ergreifen, um einen Riegel vorzuschieben. Da bin ich der Meinung, da sollten die Grünen mitmachen. Aber wir werden jetzt nicht mit der Abrissbirne an den Rechtsstaat gehen; das werden die Grünen nicht mitmachen.

    Heinlein: Die grüne Fraktionschefin Kerstin Müller. Frau Müller, ich danke ganz herzlich für das Gespräch – und auf Wiederhören.