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Beten und studieren

Fast fünf Jahre liegen die Anschläge des 11. September zurück. Sofort nach der Attacke begann die Fahndung nach den Tätern. Eine Spur führte nach Hamburg, ins studentische Milieu der Technischen Uni Hamburg-Harburg. Aufgeschreckt war damals der Verfassungsschutz der Hansestadt und streckte die Fühler auch auf dem Campus aus. Dort bemüht sich eine Initiative um mehr Verständigung unter den Religionsgemeinschaften.

Von Axel P. Schröder | 10.05.2006
    Dr. Manfred Murck ist stellvertretender Leiter des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz. Er lehnt im Bürosessel, hinter sich ein knallgelbes Plakat, ein paar Wimpel, Geschenke der französischen Kollegen. Vor 10 Tagen hat die Behörde den Verfassungsschutzbericht 2005 vorgelegt: zwanzig Seiten lang widmet sich der Bericht islamistischen Vereinen, Gebetsgruppen und Gesprächszirkel in der Hansestadt. Beobachtet werden nach wie vor auch muslimische Studenten.

    " Unmittelbar nach dem 11. 9. ist dann aber dieser Frage relativ gezielt nachgegangen worden. Gibt es noch mehr solche jungen Männer mit akademischem Hintergrund, mit akademischer Ausbildung. So war die Rasterfahndung der Polizei angelegt. Mittlerweile hat sich das verschoben."

    Und eine konkrete Gefährdung durch islamistische Studenten in der Hansestadt kann Manfred Murck zurzeit nicht erkennen. Er gibt einen Überblick:

    "Die Größenordnung ist so, dass wir da im Moment, was unsere Dateien, was unsere Erkenntnisse angeht, von etwa einhundert, eine Größenordnung von einhundert Studierenden in Hamburg ausgehen, die Mitglieder oder Anhänger islamistischer Gruppierungen sind."

    Noch lange nach dem Anschlag in New York war die Stimmung an der Uni Hamburg, zumindest unter den muslimischen Studenten, gar nicht gut. Die Lokal-Presse meldete: Über 200 Schläfer, jederzeit zu Anschlägen bereit, studieren an der Hamburger Uni. Kurz danach entstand die Initiative TOC, "Touch of Cilizations". Mit dabei damals: der Geografiestudent Rafiq Yildiz.

    " Sie wurde gegründet kurz nach dem 11. September, wo wir gesagt haben: wir müssen als religiöse Gruppen an der Universität ein Zeichen setzen, dass wir miteinander reden können, miteinander leben können und dass wir nicht in Konfrontation sind oder einen "Clash" haben wie bei Huntington, sondern, dass es bei uns ein "Touch" ist, eine Berührung ist. "

    Rafiq Yildiz ist Vorsitzender der Islamischen Hochschulgemeinde. Zusammen mit Pater Thomas, dem Kollegen von der Katholischen Hochschulgemeinde, streicht er seit gestern die Wände im neuen interkonfessionellen Gebetsraum.

    " Im Moment sieht der Raum sehr kahl aus: weiß – etwas klinisch. Aber das wird sich ändern. Wir werden nämlich heute diese Wand gelb, pastellgelb, diese Wand Pastellorange und diesen Teil pastellrot streichen. Und dann sieht das behaglicher aus, besinnlicher."

    "Raum der Stille" nennen sie ihr Projekt. Muslime, Christen, Juden und Buddhisten planen zusammen ihren Gebetsraum. Es wird diskutiert, ob rituelle Waschungen im kleinen Waschbecken neben der Tür möglich sind und wohin das Kreuz mit dem leidenden Christus gehängt werden soll.

    " Wir achten ja gegenseitig auf uns. Ich möchte ja auch nichts machen, was andere Religionen kränkt. Und so gesehen arrangiert man sich, diskutiert man. Und wir haben gesagt: Wir als Muslime – wenn das die Gebetsrichtung ist – darf da kein Kreuz oder kein Bild oder eine Statue sein. Dementsprechend wird in diesem Raum diese religiösen Symbole verteilt werden und für die Muslime wird es einen Bereich geben, wo kein Bild hängt."

    Pater Thomas ist so etwas wie der Vorarbeiter des Renovierungstrupps. 40 Jahre alt ist der Franziskaner-Bruder. Zu seinem Engagement für den "Raum der Stille" treibt ihn…

    " …die Einsicht, dass eine Universität wie Hamburg – mit über 40.000 Studierenden, wo die gesamte Welt zusammen kommt – dass so eine Universität ein kleines interreligiöses Zentrum hat, wo die einzelnen Studierenden ihren Glauben auch leben können."

    Vor Islamisten haben die TOC-Mitglieder keine Angst. Einer von ihnen ist Hamza Gülbas, junger Jura- und Philosophie-Student. Er weiß schon, wie er auf Glaubensbrüder reagieren würde, die an der freiheitlich demokratischen Grundordnung rütteln möchten:

    " Wie würde man reagieren? Ich würde vielleicht versuchen, zu zeigen, dass, wenn er diese Meinung hat: Dann muss er konsequent sein und sollte das Land verlassen."

    Weite Teile der islamischen Gesellschaft im Hamburger Stadtstaats behält der Verfassungsschützer Manfred Murck zusammen mit seinen Kollegen weiter im Blick. Einige muslimische Vereine und Gemeinschaften haben gegen die Beobachtung geklagt. Bisher haben die Gerichten die Arbeit des Verfassungsschutz’ bestätigt. Muslimische Studentenzirkel sind dabei nicht im Fokus des Amtes. Manfred Murck gibt vorsichtig Entwarnung:

    " Es ist keine Gefahr, die man jetzt zusammenrühren sollte mit dem, was uns alle natürlich am meisten sorgt, nämlich die Entstehung neuer terroristischer Gruppierungen. Das kann man – wie immer – nicht ganz ausschließen, aber das ist nicht der Gesichtspunkt, unter dem wir jetzt auf islamistische Studierende in Hamburg sehen."