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Beten wirkt wie joggen

Gerade zu den Weihnachtstagen kommen wir Menschen endlich mal zur Ruhe. Doch wie können wir so etwas auch im Alltag gut bewältigen? Sport ist eine Möglichkeit, um den Kopf frei zu bekommen, und unsere stressige Lebenswelt für einen kurzen Moment zu vergessen. Die Deutsche Sporthochschule hat die Wirkung von laufen, meditieren, und beten wissenschaftlich zu untersucht.

Von Thorsten Poppe | 26.12.2011
    Den inneren Schweinehund zu überwinden fällt jedem schwer, um beispielsweise für die Stressbewältigung im Alltag joggen zu gehen. Aber wer diesen Kampf gewinnt, fühlt sich nachher einfach besser. Nicht zuletzt der Markt für Sportliteratur hat sich dieser Art von Stressbewältigung in den letzten Jahren angenommen. Neben dem Laufen boomen vor allem Yoga und die Meditation. Nur das Gebet spielt dabei anscheinend keine Rolle mehr. Obwohl es eigentlich dafür prädestiniert erscheint, sich selbst zu finden. Dr. Stefan Schneider von der Sporthochschule Köln (SpoHo) hat sich deshalb erstmals in Deutschland mit diesem Feld wissenschaftlich auseinandergesetzt:

    "Die Idee kam mir, da ich sowohl Theologie- als auch Sportwissenschaften studiert habe, und insbesondere in der gegenwärtigen Sportliteratur es einige Publikationen gibt, die sehr stark auf eine spirituelle Ebene abzielen. Zum Beispiel "Laufe und Du wirst ein neuer Mensch". Mich hat einfach interessiert, ob die Veränderungen physiologisch und vor allem neurophysiologisch beim Gebet und beim Laufen ähnlich sind. Das sind ja zwei diametral gegenüberstehende Tätigkeiten. Aber scheinbar wird es von Leuten benutzt, um sich im Lebensalltag besser zu fühlen, um zu regenerieren."

    Deshalb hat er am Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft der SpoHo nicht nur untersucht, wie die kognitive Leistungsfähigkeit durch Sport verbessert wird. Also nicht nur wie sich Sport im Alltag als Stresskiller bewährt, sondern welche Wirkung in dieser Hinsicht das Beten entfaltet:

    "Die Probanden, die wir rekrutiert haben, bei denen war uns wichtig, dass sie von sich selbst sagen, dass das Gebet für sie ein wichtiger Tagesinhalt ist. Die haben wir ins Labor eingeladen, haben die dann verkabelt, und haben die vernetzt. Und haben die dann für 30 bis 40 Minuten beten lassen. Und dann haben wir uns halt vorher und nachher die Hirnaktivität angeschaut."

    Dabei wurde die Aktivität im sogenannten frontalen Cortex gemessen, dem stammesgeschichtlichen jüngsten Teil unseres Gehirns. Dort laufen alle kognitiven Entscheidungsprozesse ab. Also was der Mensch erinnert, was er lernt, plant, oder organisiert. Das heißt, wenn wir im Lebensalltag überfordert sind, wird dort eine erhöhte Aktivität festgestellt. Sport und auch meditieren helfen diese Aktivität herunterzufahren, und uns wieder leistungsfähiger zu machen:

    "Also es gibt einige Studien aus der Meditation, die davon berichten, dass die Hirnaktivität sich entspannt während der Meditation. Das war überraschenderweise bei dem Gebet nicht der Fall, was wir darauf zurückführen, dass man beim Gebet in einer dialogischen Situation ist. Also ich rede ja mit Gott oder mit einer höheren Macht, und schalte da nun nicht so wirklich ab, wie man es aus der Meditation kennt."

    Mittels Fragebögen untersuchte Dr. Stefan Schneider gleichzeitig die körperliche Befindlichkeit der Probanden, und fragte sie u.a., wie fühlen sie sich nach dem Gebet? Dafür mussten die Testpersonen ihre Gemütslage vor und nach dem beten beschreiben. "Im Augenblick fühle ich mich krank, gesund, oder gelenkig ... ". Das Forschungsergebnis zeichnete dabei ein ganz anderes Bild als bei der Untersuchung der Hirnaktivitäten vorher:

    "Wir finden eine Verbesserung der Motivationslage nach dem Gebet, wir finden eine Verbesserung der körperlichen Befindlichkeit. Das heißt beten führt auch zu einem Entspannungszustand, ähnlich wie es das laufen auch tut."

    Obwohl beten bei der Hirnaktivität keinen messbaren Nutzen bringt, wirkt es sich dennoch positiv auf das körperliche Wohlbefinden aus. Dieses Forschungsergebnis überrascht Prof. Meyer-Blanck von der Evangelisch Theologischen Fakultät der Universität Bonn nicht sonderlich. Er war bei dieser Studie Kooperationspartner der Sporthochschule in Köln:

    "Es ist eigentlich ein Ergebnis, was meinen Erwartungen entspricht. Der Glaube ruht nicht auf körperlich nachweisbaren Symptomen, aber der Glaube führt natürlich zu körperlichen Empfindungen oder Wahrnehmungen. Und was richtig ist, dass körperliche Bewegung den Weg zum Gebet bahnen kann. Auch wenn es, was ganz anderes ist."

    Allerdings schränkt er wie Dr. Stefan Schneider ein: Wer beim Beten oder beim joggen jedes Mal seinen inneren Schweinehund überwinden muss, und nicht mit Freude bei der Sache ist, der wird von vornerein seine körperlichen Befindlichkeit nicht verbessern können.