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Betonschatzkammer West

Vor 175 Jahren wurde auf der Berliner Museumsinsel die Berliner Gemäldegalerie eröffnet. 1998 zog die Sammlung in einen Neubau am Potsdamer Platz. Und nun gibt es Pläne für einen erneuten Umzug zurück auf die Museumsinsel. Der Direktor der Berliner Gemäldegalerie, Bernd Lindemann, ist davon nicht begeistert. Denn schließlich hätte sein Museum dort - zumindest vorübergehend - viel weniger Platz als jetzt. Die Jubiläumsfeiern hat er sich dadurch aber nicht verderben lassen. Höhepunkt der Jubiläumsausstellung ist die Rekonstruktion des Hochaltars der Florentiner Kirche Santa Croce.

Von Carsten Probst | 06.11.2005
    Anders als die Kunstkabinette vieler europäischer Königshäuser geht die Berliner Gemäldegalerie nicht auf eine jahrhundertelange höfische Sammlertradition zurück. Nur rund ein Viertel der Gemälde, die schon bei der Eröffnung von Schinkels Königlichem Museum 1830 die Wände bedeckten, stammten aus den Schlössern des preußischen Königshauses. Rund drei Viertel stellten erst die kurz zuvor von Friedrich Wilhelm III. erworbene Privatsammlungen Giustiniani, vor allem aber, auf Ratschlag des Ideengebers und späteren Gründungsdirektors für das Königliche Museum, des Kunstexperten Aloys Hirt, ein Teil der exorbitanten Sammlung des britischen Kaufmanns Edward Solly, insgesamt 677 Gemälde vor allem aus dem italienischen Spätmittelalter und der Frührenaissance. Was dann im Königlichen Museum, dem heutigen Alten Museum neben dem Berliner Dom auf der Museumsinsel ab 1830 zu sehen war, war keine königliche Kunstkammer mehr, kein mehr oder weniger chaotisches Sammelsurium aus Kunst- und Naturschätzen, sondern ein nach wissenschaftlichen Kriterien angelegter und sortierter Bilderkosmos, der die Entwicklung der neuzeitlich-abendländischen Kunstgeschichte systematisch nachvollziehen sollte. Kein Haus der kunstgestützten Lustbarkeiten, sondern ein Bildungsinstrument. Kunstgeschichte als ästhetische Ideengeschichte, ein Flaggschiff für die damals gerade entstandene systematische Kunstwissenschaft, das war es, was Gründungsdirektor Aloys Hirt vorschwebte und was im übrigen auch der Mentalität im preußischen Königshaus entgegenkam.

    Kaum bekannt ist heute noch, dass es schon zu Gründungszeiten zu erheblichen Auseinandersetzungen kam, wie sich das Museum überhaupt präsentieren sollte: mehrpopulär oder mehr wissenschaftlich ausgerichtet - eine Debatte, die in vielem an heutige Diskussionen erinnert, etwa wenn Kunstkritiker des Jahres 2005 den Staatlichen Museen zu Berlin angesichts von MoMA- oder Picasso-Schauen populistische Ausstellungspolitik vorwerfen. Um 1830 war es Museumsdirektor Aloys Hirt selbst, der aus diesem Grund das Handtuch warf, weil der größere Teil der Expertenkommission sich kurz vor Eröffnung für die populäre Variante entschieden hatte und die sogenannten "Primitiven" aus der Sammlung in einen separaten Raum zu sperren und nur dem Fachpublikum zugänglich machen wollte, während in den großen öffentlichen Sälen der schon damals ungleich beliebtere Augenschmaus der Raffaels, Dürers und Correggios präsentiert werden sollte. Da Berlin über kein absolutes Starbild wie die Mona Lisa oder die Sixtinische Madonna verfügte, hoffte man auf diese Weise mehr in der Breite zu glänzen, wobei man damals unter "Primitiven" nicht die Kunst von Naturvölkern verstand, sondern so ziemlich alles, was vor der Raffaels Zeit gemalt worden war, also die gesamte mittelalterliche Altarkunst seit Duccio und Cimabue.

    Vielleicht ist das ja auch ein Grund, weshalb man sich entschieden hat, die heutige Jubiläumsausstellung unter dem schönen Titel "Geschichten auf Gold" ausschließlich dieser einst so schmählich vernachlässigten Altarkunst der italienischen Protorenaissance des 13. bis 15. Jahrhunderts zu widmen und ihren ganzen Glanz und die Meisterschaft eines Massaccio, Ghirlandaio oder Fra Angelico auch dem heutigen Publikum zu demonstrieren. Eigens hat man die schnöde Sonderausstellungshalle auf dem Kulturforum in einen abgedunkelt-mystischen Ort verwandelt, in dem das Blattgold der Bildhintergründe prächtig zum Leuchten kommt. Die kleine Sensation dieser Ausstellung ist dabei eine Rekonstruktion des monumentalen, mehrstöckigen Hochaltars von Santa Croce in Florenz, eines der größten mittelalterlichen Altarwerke überhaupt, dessen einzelne Bildtafeln heute unter anderem auf die Museen von London, New York, Los Angeles und Berlin verteilt sind und hier seit Jahrhunderten erstmals wieder zusammengeführt wurden. Die kolossale Wirkung dieses Werkes im spätgotischen Kirchenraum von Santa Croce wird dem Besucher mit einer aufwendigen Computeranimation vorgeführt, die das alte Verdikt von der "primitiven" mittelalterlichen Kunst auch für Laien spielend widerlegt.

    Bleibt noch die Frage, ob die Gemäldegalerie jemals an ihren alten, angestammten Ort auf der Museumsinsel zurückkehrt. Das ungeliebte Kulturforum am Potsdamer Platz, wo ihr vor wenigen Jahren eigens ein neues Haus eröffnet wurde, empfindet die Leitung der Staatlichen Museen eigentlich schon seit Einweihung des an sich großartigen Neubaus von Hilmer & Sattler als ungeeigneten Ort für dieses Herzstück aller Preußischen Kunstsammlungen. Teile der Sammlung sollen bereits in das jüngst wieder renovierte Bode-Museum integriert werden, das Auseinanderreißen des Gemäldebestandes kann aber auf Dauer sicher keine angemessene Lösung sein. An diesem Montag wird das Ergebnis eines städtebaulichen Wettbewerbs für ein ehemaliges Kasernengelände nahe dem Bodemuseum vorgestellt. Dort könnte einmal, irgendwann, wenn es dafür Geld gibt, ein Museumsneubau entstehen, für eine Neue Gemäldegalerie. Die Kosten für den neuerlichen Standortwechsel, gegen den es auch noch interne Widerstände gibt, schätzt man auf 300 Millionen Euro. Eine Summe, die in der derzeitigen Lage auf absehbare Zeit als klares Gegenargument gehandelt werden dürfte.