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Betreuung in kleinen Gruppen

Psychologie. - Die Kinderkrippe: für die einen ist sie die lang ersehnte Chance, Beruf und Familie zu verbinden, für die anderen der Ort, an dem Kinderseelen zerstört werden. So warnen Kritiker vor zu viel Stress für die Kleinen.

Von Volkart Wildermuth |
    Dreijährige in den Kindergarten zu geben, damit haben die wenigsten Probleme. Wenn es aber um Kleinkinder geht, sind die Sorgen groß. Das bemerkte die Publizistin Gabriele Kuby kürzlich bei Sabine Christiansen:

    "Die Gehirnforschung heute zeigt, dass Kinder angewiesen sind auf eine Bezugsperson, und sie zeigt auch, dass die Mutter von der Natur ausgestattet ist, diese Person zu sein."

    Weil das Kind schon bei der Geburt seine Mutter erkennt. Für diese Beobachtung gibt es viele Belege. Daraus zu folgern, niemand außer der Mutter könne ein Kind erfolgreich aufziehen, ist allerdings gewagt. Hier ist auch weniger die Hirn- als die Bindungsforschung zuständig. Die ging in den Siebzigern davon aus, dass Babys und Kleinkinder nur in der Lage sind, eine einzige enge Bindung einzugehen. Diese Ansicht ist inzwischen durch neuere Forschungen überholt. Dr. Karin Grossmann hat vor über dreißig Jahren zusammen mit Professor Klaus Grossmann in Bielefeld begonnen, die Beziehungen zwischen Kindern und ihren Eltern genau zu beobachten:

    "Das ist leider eine falsche Meinung. Also zunächst einmal haben die allermeisten Kinder mindestens zwei Bindungen. Also wenn der Vater einigermaßen häufig zuhause ist, bindet sich das Kind auch an ihn. Und wir haben in unseren Untersuchungen festgestellt, dass - als die Kinder zwei Jahre alt waren - hatten die meisten von Ihnen drei oder sogar vier Bindungspersonen."

    Über die Jahre hat das Forscherpaar die Kinder und später die Erwachsenen immer wieder untersucht. Wichtigstes Ergebnis: Babys, die feinfühlige Eltern hatten, sind als Erwachsene eher in der Lage, eine erfolgreiche Partnerschaft zu führen. Die ersten Jahre sind also unzweifelhaft entscheidend. Aber auch kleine Kinder können neben der Bindung an die Eltern weitere enge Beziehungen aufbauen. Vor dreißig Jahren waren das vor allem Verwandte, es spricht aber nichts dagegen, dass auch Erzieherinnen diese Funktion übernehmen. Entscheidend ist nach den Beobachtungen von Karin Grossmann eine behutsame Eingewöhnungsphase und eine an die Kleinkinder angepasste Gruppengröße.

    "Ein sehr kleines Kind kann eigentlich nur lernen, dass jemand es um sich kümmert, wenn die Person sich schnell kümmert und möglichst auch das Leid, bevor es allzu groß wird, schnell trösten kann."

    Kleine Gruppen für Krabbelkinder, so lautet die wichtigste Forderung der Bindungsforschung. Ideale Verhältnisse sind allerdings eher selten und so zeigen Studien aus den USA und Großbritannien, dass es durchaus einen Unterschied macht, ob ein Kind zuhause oder in der Krippe betreut wird. Professor Katy Sylva von der Universität Oxford hat an über 3000 Kindern positive und negative Effekte beobachtet:

    "Kinder, die im Alter von zwei Jahren in eine Betreuungseinrichtung kamen, waren im Schulalter sowohl geistig wie auch sozial besser entwickelt. Leider zeigten unter den Kindern, die sehr jung in die Krippe kamen und dort lange, über 25 Stunden in der Woche, betreut wurden, eine kleine Gruppe verstärkte Aggressionen."

    Ähnliche Ergebnisse, einerseits Lernfortschritte, andererseits erhöhte Aggressivität bei einigen der sehr jung Fremdbetreuten, zeigte auch eine Studie aus den USA. Allerdings sind beide Effekte überraschend klein. Karin Grossmann hat sich die amerikanischen Daten genau angesehen.

    "Wenn man sehr genau abzählt, wie viele Betreuungspersonen das Kind bis zum Schulalter gehabt hat, dann konnte man feststellen, je mehr das gewesen sind, im Laufe der Vorschulzeit, desto weniger sozial kooperativ waren die Kinder in der Schule."

    Hier passen die Ergebnisse der Bildungs- und der Bindungsforschung zusammen. Eine erfolgreiche Betreuung ist auch in der Krippe möglich, aber nur wenn die Rahmenbedingungen es erlauben, das Kind und Erzieherin eine langfristige enge Bindung aufbauen.