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Betrogene Betrüger

1949 schrieb der Japaner Yasushi Inoue eine Erzählung über verbotene Liebe. Ursprünglich sollte die schnörkellosen Werk von Dora Lanz inszeniert werden. Doch eine Woche vor der Premiere verabschiedete sich die Regisseurin. Nun wurde es ein "Abend von und mit Corinna Harfouch".

Von Christian Gampert | 05.04.2009
    Wenn eine Woche vor der Premiere die Regisseurin die Arbeit niederlegt beziehungsweise, wie das im Verlautbarungsdeutsch heißt, die an der Inszenierung "künstlerisch Beteiligten" natürlich "in gegenseitigem Einvernehmen" sich darauf "verständigt" haben, "die Probenarbeit nicht in der bisherigen Konzeption fortzusetzen" ... - dann heißt das zu deutsch, dass es da kräftig geknallt hat. Offenbar wollte die Regisseurin Dora Lanz die sich gegenseitig beleuchtenden Erzählstränge von Yasushi Inoues Kurzroman "Das Jagdgewehr" durch vielfältige Video-Spiegelungen verstärken; die Hauptdarstellerin Corinna Harfouch dagegen fürchtete wohl, darin unterzugehen, und plädierte für ein ganz karges, japanisches Arrangement, das sich völlig auf den Text konzentriert.

    Harfouch setzte sich durch - sie ist der Star, die Schauspiel-Königin, die nun auch die Inszenierung übernahm. Und wahrscheinlich hat sie sogar recht. Die auf eine einzige Person reduzierte Aufführung entfaltet Gottesdienst-ähnliche Stimmungen und darin eine Intensität, die man lange nicht erlebte. Yasushi Inoues Briefroman ist kunstvoll geschachtelt, er spricht von Liebe und Verrat, von Sünde und Verbrechen:

    Dostojewskische Themen, heruntergekühlt auf eine asiatische Temperatur, ganz analytisch erzählt. Ein Dichter besingt den Rücken eines einsamen Jägers im Schnee. Und dieser Jäger, die phallische Symbolik des "Jagdgewehrs" ist klar, überlässt dem Dichter nun drei Briefe, Abschiedsbriefe von Frauen. Das heißt also: die Frauen reden, Josuke, der Jäger, der Mann, der Adressat der Briefe bleibt stumm.

    Der Autor legt nun einen erzählerischen Knoten, der sich immer enger spannt: Zunächst schreibt eine junge Frau an Josuke - sie hat die Tagebücher ihrer Mutter gelesen, die mit Josuke eine geheime Beziehung hatte und die sich vergiftet hat. Dann spricht die betrogene Ehefrau, die sich trennt und Geldforderungen stellt. Dann erzählt Saiko selber, die tote Geliebte, die sich unwohl fühlte in der Lüge und in Wahrheit ihrem eigenen, geschiedenen Ehemann nachtrauert.

    Das Thema der betrogenen Betrüger ist in der europäischen Literatur allgegenwärtig. Hier wird es nun auf eine ganz nüchterne, zurückhaltende Weise von einem japanischen Erzähler durchphilosophiert. Dieses asiatische Moment nimmt auch die Inszenierung auf: vorne drei, weiße, rechteckige Flächen, Laken, angedeutete Särge. Hinten eine schwarze Sitzbank als Anrichte für rituelle Fußwaschungen und das Tee-Zeremoniell. Und zeremoniell ist auch die Art, wie Corinna Harfouch sich diesen Figuren nähert: ganz abstrakt, klar, neutral, von innen heraus. Sie tritt ein in den Raum einer Figur und versucht, den Text zu denken, den Gefühlen eine Musikalität zu verleihen. Im Fall der Tochter, die die geheime Beziehung der Mutter entdeckt und die sich dann vehement gegen ein Leben in der Lüge empört, hat das zunächst etwas Staunend-Tastendes, das dann immer entschiedener, ablehnender wird; Harfouch will den Text tatsächlich mit den Händen begreifen. Im Fall der Ehefrau, die aus Rache sich selbst andere Männer hielt, bekommt die Stimme zunächst etwas Schneidendes, bevor die Figur traurig an den Ausgangspunkt des Desasters zurückkehrt: die Entdeckung der Untreue des Ehemanns.

    Saiko schließlich, die Geliebte, sitzt wie eine Geisha auf ihrer weißen Matte und erzählt vom frühen Ende der obsessiven Erotik. Viele schöne Metaphern und Bilder schmücken diese ruhige Erzählung: der graue Haori-Umhang mit purpurnen Disteln, das brennende Fischerboot auf dem Meer, das immer kleiner wird - wie die Liebe; das Leben ein ödes weißes Flussbett. Wenn das Leben nur Sünde und Verbrechen ist, dann lass uns große Sünder sein, sagt Josuke, der Mann - und kommt nicht auf den Gedanken, dass seine Geliebte auch ihn betrügen, innerlich abwesend sein könnte.

    Was ist es, das in uns lügt, hurt, mordet, stiehlt? Die alte Büchner-Frage wird hier auf Asiatisch gestellt, und Corinna Harfouch ist ihre kongeniale, melancholische Interpretin. Leider kann man nun nicht mehr beurteilen, welchen Anteil die junge Regisseurin Dora Lanz an der Inszenierung hat - schade jedenfalls, dass Harfouch mit ihr nicht zusammenfand. Aber auch das Theater produziert abgebrochene Beziehungen und Verletzungen zuhauf, die nur langsam heilen.