Archiv


Betrunkene Hausfrauen und vollgefressene Gäste

Bei 90 Prozent der Briten kommt Weihnachten Truthahn auf den Tisch, natürlich gefüllt und mit Preiselbeersoße. Dazu Beilagen und zum Dessert der tradtionelle Plumpudding. Für die britische Hausfrau bedeutet das in der Regel am Ende des Abends nicht nur zufriedene Gäste, sondern vorab schon jede Menge Arbeit.

Von Ruth Rach |
    Heather und Barrie sitzen im Pub und diskutieren über ihr Weihnachtsessen. Gleich neben dem offenen Kaminfeuer, bei einem Gläschen Portwein. Die einfachste Lösung wäre das klassische englische Pub-Festessen. Truthahn mit Beilagen und Nachtisch, pro Person nur 30 Pfund.
    Was? Kommt nicht in Frage! Barrie - Nichtengländer, da in Wales geboren - verzieht das Gesicht.

    Aber englisches Pub-Essen ist viel besser als sein Ruf, verteidigt sich Heather. Das Gemüse werde schon lange nicht mehr totgekocht. Als Alternative schlägt sie, nur halb im Spaß, die Lösung ihrer Mutter vor.

    "Kalte Platte nach deutscher Art: Corned Beef, dazu für jeden ein hartes Ei, und wenn wir Glück hatten, Brot und Marmelade."

    Barrie ist entsetzt. Auf seinem Bauernhof in Wales gab’s am 25. immer eine fette Gans, selbst im Krieg. Aber leider stand dann auch die restliche Woche im Zeichen der Gans. Am 26. Kalter Gänsebraten, am 27. Gänsesandwiches, am 28. Gänsegeschnetzeltes und am 29. schließlich dünne Gänsebrühe aus den abgenagten Knochen.

    Zu viktorianischen Zeiten sparten arme englische Familien ein ganzes Jahr lang auf ihre Weihnachtsgans. Der Großteil des Federviehs wurde Dutzende von Kilometern nach London getrieben, mit geteerten Gänsefüßen.

    Zu Tudorzeiten wiederum war Wildschwein angesagt, aber nur in den höchsten Kreisen, dazu Delfinpudding, Waltopf, und Seehundpastete. Heute essen fast 90 Prozent der Briten Truthahn. Jedes Weihnachten werden rund zehn Millionen Puten verzehrt. Und Hausfrauen greifen – laut einer obskuren Statistik - am ersten Weihnachtsfeiertag schon um 11:43 Uhr zum ersten alkoholischen Drink – mit gutem Grund, betont Heather:

    "Da bist du schon den Vortag am Malochen. Am 25. stehst du schon um fünf Uhr auf, denn so ein riesiger Vogel braucht mindestens sieben Stunden zum Garen. Manchmal ist er zu groß, dann passt er nicht einmal in die Backröhre. Und dann die Füllung, eine Wissenschaft für sich. Der Mittelstand stopft den Vogel mit Marone und Wurstbrät. Der gehobene Mittelstand gibt auch noch Semmelbrösel, Äpfel und Nelken in die Füllung. Dann wird die Pute mit einem Ring aus Chipolatawürstchen gekrönt, und die wiederum sind mit einer Schärpe aus knusprigen Speckstreifen garniert."

    Manchmal kommen auch noch 'Angels on Horseback' hinzu, wörtlich "berittene Engel": Pflaumen, in individuelle Speckmäntelchen eingewickelt. Und die Beilagen? Eine streng vorgeschriebene Dreifaltigkeit: Röstkartoffeln, Rosenkohl, Pastinaken. Zusatzoption: geröstete Zwiebeln, und Rotkohl. Und natürlich Preiselbeersoße.

    Genüssliches Schlucken, aber nur bei Barrie. Heather seufzt, und denkt an die viele Arbeit.

    Vorsichtig bringt Barrie den Nachtisch ins Gespräch: den traditionellen Plumpudding. Ein schwer im Magen liegendes Ungetüm aus Sirup, Rinderfett und Trockenobst, das im Tuch gekocht beziehungsweise gedampft und dann mit Brandybutter und Custard serviert wird. Normalerweise ist im Plumpudding eine Münze versteckt, und wer sie findet, ist nur dann ein Glückspilz, wenn er sich daran nicht den Zahn ausbeißt.

    Der Mann an der Theke will schlieβen. Barrie holt Heather einen beschwichtigenden Brandy. Ihr Beschluss steht fest: nie mehr Weihnachtsküche: weder Truthahn, noch Gans und ganz bestimmt keinen Plumpudding. Stattdessen will sie zum Inder an der Ecke. Da werden die köstlichsten Curries serviert. Und hoffentlich keine Weihnachtslieder abgespielt, denn die hört Heather schon seit Mitte November und hat sie inzwischen gründlich satt.