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Bett Fünf

Dr. Peter Werner Ernst, der Held in Richard Doolings Roman "Bett Fünf”, arbeitet auf einer Intensivstation. Acht todgeweihte Patienten, acht "Wracks” hat er mit allen Schikanen so lang wie möglich am Leben zu erhalten. Jede dritte Nacht trägt Dr. Ernst die Verantwortung für das mit summenden Maschinen, piepsenden Apparaten und blinkenden Monitoren vollgestopfte "Todeslabor” und muß notfalls in Sekunden die richtigen Entscheidungen treffen. Auf die Frage nach seinem Berufsalltag vergleicht er sich einmal mit einem "Kellner in einem teuren und hochkomplizierten Restaurant. Mit dem einen Unterschied, daß die Leute nicht durchdrehen, wenn man ihnen etwas Falsches serviert, sondern sterben.”

Peter Köhler |
    Eines dieser "Gebilde in Menschengröße”, nichts anderes mehr als ein "warmes, aufgebahrtes Skelett” ist der Patient in Bett Fünf, der Richard Doolings Roman den Titel gibt. Bett Fünf ist "ein klassischer Todeslabor-Fall. Ein 69jähriger Weißer mit Multiorganversagen”. Er kann nicht mehr essen, nicht trinken, nicht atmen (das besorgt eine Maschine für ihn), nicht sprechen - wegen des Beatmungsgeräts -, sich nicht bewegen; er liegt im Koma. "Werner versuchte sich vorzustellen, daß er dort in Bett Fünf festgeschnallt wäre, und hatte damit ähnlich große Mühe wie bei einem Versuch, sich als Zaunpfosten oder Türstopper zu fühlen.”

    Doch Bett Fünf ist kein Routinefall, der sich irgendwann von selbst erledigt. Vielmehr stürzt Bett Fünf Dr. Ernst und das ganze Krankenhaus in ein Dilemma, weil dessen beide Töchter uneins über das weitere Vorgehen sind. Das schöne Model Felicia will dem Vater weitere Leiden ersparen und schaltet einen Anwalt ein, um eine Unterlassungsverfügung gegen weitere medizinische Maßnahmen zu erwirken. Die dicke, häßliche Stiefschwester Constance hingegen hat noch Hoffnung und fordert weitere Behandlungen. Die Lage scheint ausweglos, wie der Krankenhausjurist erläutert: "Wenn wir den Mann am Leben halten, wird Miss Felicia uns wegen nicht autorisierter medizinischer Behandlung, wegen Körperverletzung, wegen der Pflegekosten und so weiter verklagen. Wenn wir ihn sterben lassen, wird die liebe Constance uns wegen ärztlicher Fahrlässigkeit verklagen.”

    Verschärft wird der medizinische und juristische Konflikt durch einen privaten Aspekt: Dr. Ernst hat nämlich längst mit dem "Playboy-Häschen” Felicia angebandelt, die ihre Reize gekonnt für ihr Ziel einsetzt. Dieses Ziel aber widerspricht Dr. Ernsts Berufsethos - obendrein kollidiert diese Affäre mit der Loyalität zum Arbeitgeber, der in dem juristischen Streit jeden Kontakt mit den Angehörigen von Bett Fünf verbietet.

    "Bett Fünf” ist ein Arztroman der besseren Sorte. Die Torturen der Patienten, der Streß, in dem Ärzte und Krankenschwestern stehen, die Belastungen, die die Angehörigen ertragen müssen, das schildert der amerikanische Schriftsteller Richard Dooling, der als Beatmungstechniker auf einer Intensivstation arbeitete, bevor er Jura studierte und Anwalt wurde, mit bitterer Genauigkeit und befreiendem Sarkasmus.

    Ausgerechnet das Drama um Bett Fünf kriegt er aber erzählerisch nicht ganz in den Griff. Der Fall selbst und sein Hintergrund sind schnell klar: Es geht um Vaters Erbe, dessen Aufteilung unter die beiden Stiefschwestern vom Zeitpunkt des Todes abhängig ist. Keine Überraschung stört die weitere Entwicklung; auch ist die Charakterzeichnung des betörenden, aber kalt berechnenden Models Felicia, dem der Doktor natürlich zügig auf den Leim geht, nicht eben klischeefrei.

    Doch auch wenn der Roman kränkelt, auf die literarische Intensivstation muß er nicht verlegt werden. Kenntnisreich und schonungslos behandelt Richard Dooling die existentiellen, ethischen und religiösen, die finanziellen, medizinischen und juristischen Fragen: nach der Grenze zwischen Leben und Tod, nach Sinn und Zweck der künstlichen Verlängerung des Lebens, nach dem Nutzen und dem Schrecken des Fortschritts und der Apparatemedizin, nach dem ärztlichen Berufsethos, nach dem Verhältnis von objektiver Wissenschaft und subjektiven Gefühlen, nach der Liebe, nach dem Tod, nach Gott: Wie ist das in einer Welt, die das Leid zuläßt und es obendrein blind zuteilt, muß man da "Gott für tot erklären”? Oder ist er bloß sterbenskrank, und es fehlt ihm, wie Dr. Werner Ernst grübelt, nur eins, "nämlich die Verlegung auf eine Intensivstation mit der gesamten Technologie?” Und was geschieht nun eigentlich mit Bett Fünf? Definitiv beantwortet werden können diese Fragen nicht - sondern, wie im Leben, auch in Richard Doolings Roman "Bett Fünf” erst ganz am Ende; jedenfalls die letzte Frage.