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Beunruhigende Bildwelten

Es ist eine alte kunstphilosophische Frage, ob man das Hässliche überhaupt adäquat darstellen kann, denn in dem Augenblick, da es zum Gegenstand künstlerischer Bearbeitung wird, ist es schon keine pure Hässlichkeit mehr, sondern etwas Inszeniertes. Die Photographie mit ihrem Gestus des kruden Zeigens-wie-es-ist hat diese Problematik auch nicht lösen können, denn selbstverständlich werden auch Photos gestaltet, vor allem bei Roger Ballen, dem in den eine Ausstellung gewidmet ist.

Von Carsten Probst | 01.06.2007
    Die Karriere Roger Ballens begann eigentlich unspektakulär als Geologe und Berater für den Bergbau in Südafrika, wo er seit fast dreißig Jahren lebt. Geboren wurde er 1950 in New York, seine Mutter arbeitete bei der berühmten Fotoagentur Magnum, und das brachte Ballen schließlich auch dazu, seine eigenen fotografischen Obsessionen zu verfolgen.

    Seit Mitte der achtziger Jahre fotografierte er, was er bei seinen beruflichen Reisen durch das südafrikanische Hinterland an menschlichen Schicksalen vorfand, und vor allem die entlegenen Dörfer und Siedlungen der weiße Minderheit kamen dabei in den Fokus - jener weißen Landbevölkerung, die sich selbst zu Zeiten der Apartheid nicht zur privilegierten Herrscherrasse über die schwarze Mehrheit zählte, sondern selbst in völliger Verarmung lebte. Ballens Fotografien haben dabei wenig mit falschem politischem Mitleid zu tun. Beeinflusst haben ihn vor allem die grandiosen Fotoreportagen von Walker Evans, der in den dreißiger und vierziger Jahren das Elend amerikanischer Landarbeiter während der Großen Depression ins Bild gebannt hatte. Die Verwandtschaft zwischen den Fotografien von Evans und Ballen ist offensichtlich: Beide haben einen starken Hang zu psychologischen Inszenierungen. Die Körperhaltungen, Gesichtsausdrücke, die Einbeziehung der Umgebung sind so gewählt, dass sie innere Zustände nach außen zu kehren scheinen: Einsamkeit, Verzweiflung, den Autismus des von der Gesellschaft Ausgeschlossenen.

    Ballen begnügte sich aber immer weniger mit dieser rein dokumentarischen Fotografie vor Ort, sondern verlegte sie nach und nach in ein Studio, wo er die Inszenierung des Elends zuspitzte.

    Diese Bilder, immer noch in der Silber-Karbon-Ästhetik des Walker Evans gehalten, irritieren auf den ersten Blick durch ihre Künstlichkeit, während zugleich geradezu lakonisch äußerste menschliche Verlorenheit gezeigt wird. Unter ein fleckigen Wand hockt ein halbnacktes Kind auf staubigem Boden und widmet sich versunken einem Holzspielzeug. Daneben, in einem kleinen, kaputten Regal sitzt ein weißer Hase und liegt ein Ziegelschädel. Eine typische Komposition Ballens: Mensch und Tier vereint in einem Elend, das so groß und aussichtslos ist, dass es nur noch surreal wirkt. Unter einer dreckigen Plane schauen zwei staubige Fußpaare hervor, als lägen dort zwei Kinderleichen, während oben wie zum Hohn eine Hand aus einem Spalt kommt, auf der eine weiße Taube sitzt. Mitunter zeigt Ballen nur eine grässlich befleckte Leere, in der Spielzeug oder kleine Tiere herumliegen, so als sei dies der Ort einen Gewaltverbrechens. Ein paar großer, dreckiger, verkrüppelter Fußsohlen ragen in Großaufnahme ins Bild, zwischen die eine Hand einen winzigen, neugeborenen Hundewelpen hält, der die Augen für die Welt noch nicht öffnen kann. Besonders oft arbeitet Ballen auch Kindern und Jugendlichen, denen er dann Masken aufsetzt, mitunter absichtlich schief, so dass sie so verrückt und rätselhaft aussehen, wie die geistig Behinderten, die die berühmte Amerikanerin Diane Arbus in den fünfziger Jahren fotografiert hat. Immer wieder hat sich die Fotografie als Anwältin der Armen und Elenden verstanden, deren unwürdiges Leben sie dokumentiert oder ins Bild gesetzt hat. Doch seit einiger Zeit gibt es eine neue, wirkungsvollere Ausrichtung dieser Fotografie. Zu ihr gehören neben Roger Ballen zum Beispiel auch die Bilder des Ukrainers Boris Michailow, der die Obdachlosen im Nachwende- Russland bei ihren Selbstinszenierungen zeigt. Diese Art von Fotografie dokumentiert nicht nur, sondern sie arbeitet mit denen, deren Elend sie zeigen will, sie lässt sie mitwirken in eigenen Inszenierungen, die abgehoben von der unmittelbaren Realität, diese viel deutlicher zum Vorschein bringen, als Zeichen.