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Beunruhigende Vorboten

Polarforschung. - Die Antarktis gilt als relativ unempfindlich gegenüber dem Klimawandel. Doch das dürfte nur für den gewaltigen östlichen Eisschild gelten. In der Westantarktis fließen dagegen Gletscher beschleunigt ins Meer, unter ihnen auch einer der größten. Auf der Internationalen Polarjahrtagung in Oslo wurden nun neue, beunruhigende Ergebnisse aus dieser Region vorgestellt.

Von Monika Seynsche | 10.06.2010
    Der Thwaites Gletscher ist einer der gewaltigsten Eisströme der Antarktis und er liegt in einer Region, die sich so schnell verändert wie kaum eine andere.

    "It is the place in all of Antarctica that is probably the most out of balance."

    Sridhar Anandakrishnan ist Eisforscher an der Pennsylvania State University. Er redet von der Amundsenbucht im Norden der Westantarktis, einem Gebiet, das etwa doppelt so groß ist wie Deutschland. Ähnlich wie ein Sandhaufen wird der Eispanzer der Antarktis ständig von seinem eigenen Gewicht in die Breite gedrückt und schiebt sich in Eisströmen wie dem Thwaites Gletscher gen Ozean. Aber seit einigen Jahren bewegen sich dieser Gletscher und einige weitere in der Amundsenbucht immer schneller und entlassen immer mehr Eis ins Meer. Anandakrishnan:

    "Die meisten Gletscher in der Antarktis schieben sich als Schelfeisplatten auf den Ozean hinaus. Wenn sie dabei auf Untiefen stoßen, werden sie abgebremst. Das Schelfeis wirkt also wie ein Korken im Flaschenhals. Wenn Sie es aber wegnehmen, kann der Gletscher ungehindert in den Ozean strömen. Wir vermuten dass genau das in den 90ern am Thwaites Gletscher passiert ist: durch wärmeres Ozeanwasser ist das Schelfeis geschmolzen und der Gletscher konnte sich beschleunigen."

    Es gibt immer noch Gletscher, die deutlich schneller fließen als der Thwaites Gletscher. Trotzdem ist dieser Eisstrom aus zwei Gründen besonders beunruhigend, sagt Sridhar Anandakrishnan.

    "Zum einen ist er extrem groß: er nimmt etwa 10 bis 15 Prozent der Westantarktis ein. Aber der zweite Punkt ist noch entscheidender: Stellen Sie sich vor, Sie würden den Gletscher von der Zunge aus hinauflaufen und könnten mit einem Röntgengerät durch das Eis hindurch nach unten sehen. Sie würden erkennen, dass der Boden unter dem Gletscher immer stärker abfällt, in ein Tal hinein. Dort wo die Gletscherzunge auf den Ozean stößt, ist der höchste Punkt des Untergrunds, weiter landeinwärts wird der Talboden immer tiefer und tiefer."

    Der Gletscher füllt also eine Art Badewanne aus. Zieht er sich zurück, könnte warmes Ozeanwasser zu ihm in die Wanne strömen und innerhalb kürzester Zeit gewaltige Eismengen schmelzen. Das wiederum könnte verheerende Folgen für den gesamten westantarktischen Eispanzer haben. Anandakrishnan:

    "Der Untergrund, auf dem die Westantarktis ruht, liegt unterhalb des Meeresspiegels und die Amundsenbucht mit dem Thwaites Gletscher ist dem warmen Ozeanwasser am nächsten. Hier sieht man die Wirkung also zuerst, aber wenn das Eis hier verschwindet, könnte der Rest des Westantarktischen Eispanzers folgen."

    Die Westantarkis enthält so viel Eis, dass sie den Meeresspiegel um fast fünf Meter in die Höhe treiben würde, sollte sie vollständig schmelzen. Bislang können die Forscher für ihre Abschätzungen nur auf Satellitendaten zurückgreifen. Um zu sehen, was genau sich auf dem Thwaites Gletscher abspielt, haben Sridhar Anandakrishnan und seine Kollegen deshalb vor zwei Jahren GPS-Geräte auf dem Eis installiert, die ihre Position auf weniger als einen Zentimeter genau bestimmen können.

    "Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Thwaites Gletscher immer dünner wird und zwar mit einer alarmierenden Geschwindigkeit. Er verliert im Durchschnitt einen Meter pro Jahr, an einigen Stellen sogar bis zu 5 Meter. Der Gletscher ist nur zwei bis zweieinhalb Kilometer dick. Fünf Meter Verlust pro Jahr sind da eine ganze Menge."

    Der enorme Dickenverlust zeigt den Forschern, dass der Thwaites Gletscher aus dem Gleichgewicht geraten ist. Er verliert viel mehr Masse als er hinzugewinnt. Ob er sich wieder fängt, oder aber beginnt sich in seine Badewanne zurückzuziehen, wissen die Forscher vielleicht in 100 Jahren.