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Beutekunst in Moskau

Bei der Ausstellung "Die Merowinger - Europa ohne Grenzen" handelt es sich um so genannte Beutekunst - also Werke, die von der Sowjetarmee im Frühjahr 1945 aus deutschen Bunkern abtransportiert wurde. Lange Zeit hielten die Russen diese Schätze versteckt. Dass die nun in Moskau öffentlich präsentiert werden, bezeichnen deutsche Kulturpolitiker und Museumsleute als Fortschritt. Dennoch nahmen sie mit gemischten Gefühlen an der Vernissage teil.

Von Robert Baag | 12.03.2007
    Ganz auf Harmonie eingestimmt gaben sich heute russische und deutsche Museumsfachleute und Politiker. Denn ging es bisher um deutsche und russische Exponate, die gemeinsam gezeigt werden sollten, galt es auf historisch bedingte Empfindlichkeiten Rücksicht zu nehmen, auf unterschiedlich zu interpretierende Rechtstitel - kurz: Das Stichwort "Beutekunst" oder aus der anderen Sicht: "kriegsbedingt nach Russland verbrachte Kulturgüter" hing immer als unsichtbarer Zankapfel über derlei Veranstaltungen. Die frühmittelalterlichen Merowinger und ihre kulturelle Hinterlassenschaft sollen nun offenbar für eine neue Qualität sorgen. - "Die Epoche der Merowinger - Europa ohne Grenzen": Auch für die russische Seite habe dieser Titel der Ausstellung, die ab morgen im Moskauer Puschkin-Museum dem Publikum zugänglich sein wird, eine tiefere, gemeinsame Bedeutung. Michail Schwydkoj, Beauftragter der russischen Bundesagentur für Kultur- und Filmwesen:

    "Wir befördern jetzt Gegenstände in den Kulturkreislauf zurück, ohne die Europas Geschichte nicht zu verstehen ist. Und das ist nicht weniger wichtig, vielleicht sogar wichtiger als die Frage, wem der einzelne Gegenstand jeweils gehört. Russland hat seine Gesetzgebung, und auch Deutschland hat die seine. Aber das darf uns nicht davon abhalten, unsere kulturellen Beziehungen auszubauen und zu vertiefen."

    Neun Jahre Vorlauf waren nötig, um diese Schau am Ende zustande zu bringen. Russische Museen gaben erstmals seit Kriegsende, nach über 60 Jahren rund 700 Gegenstände aus den Magazinen frei, wohin sie 1945 Soldaten der Roten Armee aus dem Hochbunker am Berliner Zoo-Bahnhof abtransportiert hatten - "Beutekunst" nach deutscher Rechtsauffassung. Ungeachtet dessen beschickte und komplettierte jetzt das Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte die heute eröffnete Ausstellung ihrerseits mit 200 Leihgaben. Die - so wörtlich - "absurde kriegsfolgenbedingte Zerrissenheit der Sammlungsgegenstände und Grabungsinventare" sei nun vorüber, freute sich denn auch Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Allerdings deutete er bedauernd an, dass dieser Ausstellung nach den Stationen Puschkin-Museum Moskau und Eremitage in St. Petersburg genau dies wieder passieren könnte. Ein oder mehre deutsche Ausstellungsorte seien nicht vorgesehen. Dem stehe - Stichwort "Beutekunst" - entgegen...,

    "...dass die Eigentumsfrage in Deutschland so gesehen wird, dass die Beutekunst Eigentum der deutschen Museen ist - also in dem Fall des Museums für Vor- und Frühgeschichte. Deshalb kann die deutsche Regierung kein 'Freies Geleit' zusichern. Und insofern kann sie nur in Russland gezeigt werden."

    Und das ist schade - in mehrfacher Hinsicht. Denn Kunstgegenstände, Waffen, Sakralgerät aus der Epoche zwischen dem 5. und achten Jahrhundert, als das fränkische Merowinger-Geschlecht tonangebend in Europa war, vermitteln faszinierende Einblicke in Kunst und Kunsthandwerk jener Zeit. Reich geschmückte Schwerter, Gerätschaft aus Hunnenbesitz, goldene mit Schmucksteinen besetzte Fibeln, deren Ursprungsort im Gebiet der heutigen Ukraine zu vermuten ist - filigran gearbeitete Armreife aus Brabant, fränkische Silber-Fibeln zu Falkenköpfen gearbeitet, deren Augen blutrote Halbedelsteine formen, diverse Gold-Münzen, Speerspitzen - eine reiche Auswahl für alle, die sich für die Lebensart, die kulturellen Ausdrucksformen in jenen, noch weitgehend vor-nationalstaatlichen Zeiten in Europa interessieren.

    Langsam, Schritt für Schritt, das scheint weiterhin der Kurs zu sein, den beide Regierungen in Moskau wie in Berlin beibehalten wollen. Geradezu demonstrativ präsentierter Optimismus einerseits - aber ohne einen Fußbreit rechtlicher Positionen aufzugeben andererseits, nach dieser Variante der berühmten Quadratur des Kreises wird der kulturpolitische Dauerbrenner im deutsch russischen Verhältnis wohl noch eine ganze Weile vor sich hin glimmen, mal heller mal schwächer. - Oder in den Worten von Kulturstaatsminister Bernd Neumann, der eigens nach Moskau gereist war, um die Ausstellung, diese "Sensation" - wie er formulierte - mit zu präsentieren:

    "Es gibt, wenn ich mal das zurückliegende Jahr bis heute nehme, Fortschritte. Hier muss man auch die Position des jeweils anderen verstehen, was geht, was ja umgekehrt genauso geschieht. Und die russische Seite versteht ja unsere Position, denn sonst wär's nicht möglich, diese Ausstellung mit einem Katalog, wo die deutsche Position markiert wird, gemeinsam vorzulegen - wie auch die Bezeichnung der Objekte, die zur 'Beutekunst' gehören, hier im Puschkin-Museum vorzunehmen. Das sind deutliche Fortschritte. Und deswegen, glaube ich, ist das eine gute Entwicklung. Man kann hier nichts überstürzen..."