Die Befürchtungen von Eckard Henschke hatten mit den umtriebigen Aktivitäten eines anderen Leipziger Besuchers zu tun, der dem abgelegenen Wüstenkloster am Berg Sinai 150 Jahre zuvor eine folgenschwere Aufwartung gemacht hatte. Es war die Zeit, als sich die Finger der Kolonialisatoren auf den Orient richteten und Forscher aller Disziplinen zu immer neuen Entdeckungsreisen in die Wüsten Afrikas und Asiens aufbrachen. Der Name des Besuchers, der hoch zu Kamel aus Kairo anreiste, war Konstantin von Tischendorf. Er war ein frommer Theologe, ein gewiefter Kaufmann und - wie so viele Wissenschaftler seiner Zeit - auf der Suche nach den Anfängen:
Konstantin von Tischendorf war ein brillanter Gelehrter und Textkritiker. Als er 1844 hier her kam, fand er eine alte griechische Pergamenthandschrift aus dem vierten Jahrhundert vor, deren enorme Bedeutung er sofort erkannte. Dieser Text, der so genannte "Codex Sinaiticus", stellte damals wie heute zusammen mit dem "'Codex Vaticanus"’ die älteste vollständig erhaltene Fassung der Bibel dar. Es ist ein sehr früher und unverfälschter Text. Tischendorf konnte die Mönche seiner Zeit überreden, ihm zunächst 43 Folianten zu Studienzwecken mit nach Leipzig zu geben. Und in der dortigen Bibliothek liegen sie bis heute.
Father Justin Sinaiticus ist einer der 24 Mönche von St. Katharina, die den Fall Tischendorf als Diebstahl werten. Denn die näheren Umstände seiner Entdeckung sind bis heute umstritten. In zahlreichen Publikationen kursiert die Geschichte, Tischendorf habe das Manuskript in einem Papierkorb gefunden. Dieser Behauptung widerspricht man auf dem Sinai ganz entschieden:
In früheren Zeiten war es normal, Manuskripte in Körben aufzubewahren. Vor allem Pergamente wurden in Bibliotheken noch bis weit ins letzte Jahrhundert so gelagert. Wenn also Tischendorf schreibt, das Manuskript habe in einem Korb gelegen, dann ist das nichts Ungewöhnliches. Das Kloster kannte die Handschrift, man hatte sie bereits im 17. Jahrhundert anderen Gelehrten gezeigt. Heute wertet man Tischendorfs Korb oft als Papierkorb, aber das ist nicht zutreffend.
Father Justin hat die Geschichte des Codex Sinaiticus studiert. Er kommt zu dem Schluss, dass Tischendorf, der Theologe, vor allem aus tiefer Frömmigkeit handelte. Dass Tischendorf, der Kaufmann, darüber hinaus auch über eine gehörige Portion Chuzpe verfügte, zeigt die Fortsetzung der Geschichte. Denn dem Leipziger Entdecker gelingt es bei zwei weiteren Besuchen, den Mönchen weitere 350 Blätter der Handschrift abzuschwatzen und sie dem russischen Zaren zu übereignen. Das bankrotte Russland verkauft 1933 den Großteil seines Sinai-Bestandes an das British Museum in London und behält nur einige Blätter für sich. 1975 kommt dann bei Bauarbeiten im Kloster ein vierter, bis dahin unbekannter Teil des Codex Sinaiticus zum Vorschein.
Heute liegen die vier Teile in den klimatisierten Archiven der Universitätsbibliothek von Leipzig, der Nationalbibliothek von St. Petersburg, des Katharinenklosters und der British Library in London. Dass der Vorstoß für eine virtuelle Wiedervereinigung des Texts im Internet ausgerechnet von dieser Institution ausging, ist dabei wenig erstaunlich. Denn in London verfügt man nicht nur über die größte Erfahrung mit der Digitalisierung alter Handschriften; dort hat man mit dem erworbenen Schatz auch die größten Scherereien gehabt. Denn anders als in Deutschland verlangte das Kloster vor ein paar Jahren beim britischen Parlament die Rückgabe der Handschrift. Das Digitalisierungsprojekt lässt zwar mögliche Restitutionsforderungen außen vor. Doch der Erzbischof des Klosters hat es zur Bedingung gemacht, dass neben der Zusammenführung der vier Textteile auch die Geschichte ihrer Entdeckung weiter erforscht wird. Bereits 2007 wird der vollständige Codex Sinaiticus im Internet zu sehen sein, geplant ist zudem eine digitale Edition auf DVD und eine Faksimileausgabe.
Eckart Henschke, der Direktor der Leipziger Universitätsbibliothek, verabschiedet sich mit diesem prestigeträchtigen Projekt in den Ruhestand. Sollte es ihn als Pensionär erneut auf den Sinai ziehen - diesmal kann er sich sicher sein, dass ein Bibliotheksdirektor a.D. aus Leipzig von den Mönchen freundlich aufgenommen wird.
Konstantin von Tischendorf war ein brillanter Gelehrter und Textkritiker. Als er 1844 hier her kam, fand er eine alte griechische Pergamenthandschrift aus dem vierten Jahrhundert vor, deren enorme Bedeutung er sofort erkannte. Dieser Text, der so genannte "Codex Sinaiticus", stellte damals wie heute zusammen mit dem "'Codex Vaticanus"’ die älteste vollständig erhaltene Fassung der Bibel dar. Es ist ein sehr früher und unverfälschter Text. Tischendorf konnte die Mönche seiner Zeit überreden, ihm zunächst 43 Folianten zu Studienzwecken mit nach Leipzig zu geben. Und in der dortigen Bibliothek liegen sie bis heute.
Father Justin Sinaiticus ist einer der 24 Mönche von St. Katharina, die den Fall Tischendorf als Diebstahl werten. Denn die näheren Umstände seiner Entdeckung sind bis heute umstritten. In zahlreichen Publikationen kursiert die Geschichte, Tischendorf habe das Manuskript in einem Papierkorb gefunden. Dieser Behauptung widerspricht man auf dem Sinai ganz entschieden:
In früheren Zeiten war es normal, Manuskripte in Körben aufzubewahren. Vor allem Pergamente wurden in Bibliotheken noch bis weit ins letzte Jahrhundert so gelagert. Wenn also Tischendorf schreibt, das Manuskript habe in einem Korb gelegen, dann ist das nichts Ungewöhnliches. Das Kloster kannte die Handschrift, man hatte sie bereits im 17. Jahrhundert anderen Gelehrten gezeigt. Heute wertet man Tischendorfs Korb oft als Papierkorb, aber das ist nicht zutreffend.
Father Justin hat die Geschichte des Codex Sinaiticus studiert. Er kommt zu dem Schluss, dass Tischendorf, der Theologe, vor allem aus tiefer Frömmigkeit handelte. Dass Tischendorf, der Kaufmann, darüber hinaus auch über eine gehörige Portion Chuzpe verfügte, zeigt die Fortsetzung der Geschichte. Denn dem Leipziger Entdecker gelingt es bei zwei weiteren Besuchen, den Mönchen weitere 350 Blätter der Handschrift abzuschwatzen und sie dem russischen Zaren zu übereignen. Das bankrotte Russland verkauft 1933 den Großteil seines Sinai-Bestandes an das British Museum in London und behält nur einige Blätter für sich. 1975 kommt dann bei Bauarbeiten im Kloster ein vierter, bis dahin unbekannter Teil des Codex Sinaiticus zum Vorschein.
Heute liegen die vier Teile in den klimatisierten Archiven der Universitätsbibliothek von Leipzig, der Nationalbibliothek von St. Petersburg, des Katharinenklosters und der British Library in London. Dass der Vorstoß für eine virtuelle Wiedervereinigung des Texts im Internet ausgerechnet von dieser Institution ausging, ist dabei wenig erstaunlich. Denn in London verfügt man nicht nur über die größte Erfahrung mit der Digitalisierung alter Handschriften; dort hat man mit dem erworbenen Schatz auch die größten Scherereien gehabt. Denn anders als in Deutschland verlangte das Kloster vor ein paar Jahren beim britischen Parlament die Rückgabe der Handschrift. Das Digitalisierungsprojekt lässt zwar mögliche Restitutionsforderungen außen vor. Doch der Erzbischof des Klosters hat es zur Bedingung gemacht, dass neben der Zusammenführung der vier Textteile auch die Geschichte ihrer Entdeckung weiter erforscht wird. Bereits 2007 wird der vollständige Codex Sinaiticus im Internet zu sehen sein, geplant ist zudem eine digitale Edition auf DVD und eine Faksimileausgabe.
Eckart Henschke, der Direktor der Leipziger Universitätsbibliothek, verabschiedet sich mit diesem prestigeträchtigen Projekt in den Ruhestand. Sollte es ihn als Pensionär erneut auf den Sinai ziehen - diesmal kann er sich sicher sein, dass ein Bibliotheksdirektor a.D. aus Leipzig von den Mönchen freundlich aufgenommen wird.