Lange Zeit war unklar, auf welchem Wege und welchem Mechanismus Knochengewebe die mechanische Belastung durch die ganz normale Mobilität und durch die Bewegung, insbesondere natürlich auch durch sportliche Aktivitäten, wahrnimmt. Wie also merkt das Knochengewebe, dass es mechanisch belastet wird? Knochenzellen befinden sich innerhalb des Knochengewebes in kleinen Hohlräumen und stehen untereinander in Kontakt über Zellausläufer. Sie schwimmen aber nicht in diesen Hohlräumen, sondern halten sich quasi mit Haltefüßchen, sogenannten Adhäsionsmolekülen, an den organischen Bestandteilen der Knochensubstanz fest. Und wenn jetzt also die Knochenmatrix verformt wird infolge der Bewegung, dann nehmen die Knochenzellen es ganz unmittelbar wahr.
Zur Überraschung der Heidelberger Wissenschaftler bedarf es dazu keines Dolmetschers oder Adapters. Die Knochenzelle registriert ohne Umwege jede Verformung des Gewebes und sendet dann im Verbund mit ihrer unmittelbaren Nachbarschaft eine Fülle von Signalen aus mit dem Befehl, neue Knochensubstanz aufzubauen. Bleibt die Frage, warum die Osteoporose bei Frauen viel häufiger auftritt als bei Männern. An der körperlichen Betätigung kann es nicht liegen. Darin unterscheiden sich Männer und Frauen ja wohl nur wenig. Tatsache ist aber, dass die Bewegungsimpulse bei Männern wesentlich stärker die Knochenbildung anregen als bei Frauen. Osteoporose bei Männern daher auch viel seltener auftritt, etwa bei nur einem Drittel im Vergleich zur Frau.
Die Frage war natürlich, warum ist dieser Mechanismus so besonders empfindlich bei männlichen Knochenzellen im Vergleich zu den weiblichen Zellen? Nun, wir konnten zeigen, dass dafür die etwa zehnfach höheren männlichen Geschlechtshormonspiegel verantwortlich sind.
Bei Frauen wird das männliche Geschlechtshormon Testosteron in der Nebennierenrinde und auch in den Eierstöcken gebildet. Es ist trotz der geringen Menge für den weiblichen Organismus wichtig, gerade auch für die Knochenbildung:
Das Testosteron reguliert die Empfindlichkeit der Knochenzellen gegenüber dem Erspüren einer mechanischen Belastung, das heißt, je höher Geschlechtshormonspiegel von Testosteron vorliegen, umso mehr Anheftungspunkte haben wir, und umso empfindlicher nehmen die Knochenzellen die Verformung der Knochensubstanz wahr.
Man kann es drehen und wenden, wie man will, Frauen sind hier offensichtlich von der Natur benachteiligt, was immer hinter dieser Besonderheit stecken mag. Und das Ganze verschärft sich noch, wenn man die Therapiemöglichkeiten ins Auge fasst. Denn sowohl bei Männern wie Frauen nimmt der Testosteronspiegel im Alter, wenn auch unterschiedlich, ab. Die Knochenzellen werden also für die Bewegungsreize unempfindlicher, genauer gesagt, die Zahl der Sensoren geringer.
Männer sind hinsichtlich der therapeutischen Konsequenzen wieder ein wenig im Vorteil, wenn es insbesondere bei älteren Männern zu einem verminderten Testosteron-Spiegel kommt, so wird man eher geneigt sein, niedrig dosiertes Testosteron einzusetzen, um die Spiegel zu normalisieren. Bei Frauen ist es sicherlich ein wenig schwieriger, aber auch hier ist es gut möglich bei den Frauen, die aus bestimmten anderen Erkrankungsgründen einen verminderten Testosteron-Spiegel haben, das auch hier Testosteron gegeben wird, um den normalen Testosteron-Spiegel wieder herzustellen.
Die neuen Einsichten haben natürlich auch Konsequenzen für die sportliche Betätigung als Prophylaxe, sollen die Knochenzellen doch möglichst viel Bewegungsimpulse erhalten, um den Knochenaufbau anzuregen. Der Sportmediziner Professor Peter Bärtsch von der Uniklinik Heidelberg:
Im Alltag können Sie solche Reize setzen, indem Sie zum Beispiel Treppen steigen, indem Sie wechselnde Belastungen haben, sie können hier ein Krafttraining machen, Sie können hier Spielsportarten erwähnen, die viel mit Springen und wechselnden Belastungen einhergehen, grundsätzlich muss man das unterscheiden von einem Ausdauertraining, in dem ich gleichmäßige, langfristige Belastungen will über eine halbe Stunde, die vor allem zu einer Belastung des Kreislaufes führen, zu einer Vermehrung des Blutvolumens, zum Training des Herzens und damit zur Reduktion von Risikofaktoren für kardio-vaskuläre Krankheiten.
Kasperk und sein Team wollen nun bei einem Kollektiv älterer Patienten die Testosteron-Spiegel messen und dann zusammen mit der Abteilung Sportmedizin beobachten, ob die positive Wirkung von körperlichen Übungen auf das Knochengewebe durch eine milde Testosteron- Gabe verstärkt werden kann.
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