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Bibbern für Hundertstel

Technik. - Wer durch den Eiskanal rast, braucht nicht nur starke Nerven, sondern auch eine dünne und vor allem glatte Haut. Weil die aber nicht sehr warm hält, wachen Trainer darüber, dass ihre Schützlinge sich richtig aufwärmen.

Von Volker Mrasek |
    Ein, zwei Stunden vor dem Start im Eiskanal. Schrauben werden noch mal angezogen, die Kufen an Schlitten oder Bobs nachjustiert ...

    "Lufttemperatur im Moment minus 3,8 Grad Celsius. Das Eis hat minus 11,6."

    Das ist die Zeit, da die Kälte den Athleten noch nichts anhaben kann. Denn noch sind sie dick eingemummt. Es gilt das Zwiebelschalen-Prinzip. Vier bis fünf Schichten Wäsche am Leib sind Standard. Auch für den deutschen Bobfahrer und Olympiastarter Andreas Barucha aus Riesa:

    "Das ist bei mir eine kurze Radler. Dann eine lange. Dann hier meinen normalen Overall, den ich so zu den Trainingsfahrten anhabe. Und dann noch den Wärmeanzug drüber. Vielleicht so Thermounterwäsche, wenn es ganz extrem ist."

    "Startaufruf für das Team Deutschland II."

    Dann aber wird es ernst. Die Hüllen fallen - bis auf die letzte, den hauchdünnen Renndress ...

    "Vielleicht 30 Sekunden oben am Start, die man in dieser dünnen Pelle dann dasteht."

    In der dünnen Pelle geht es dann allerdings auch noch die kalte Eisrinne runter. Ungemütlich vor allem für Athleten und Athletinnen beim Rodeln und Skeleton,...

    "... weil die noch direkt im Wind stehen."

    Der dünne Fummel, der sich Rennanzug nennt, der Rodelschuh, der nur als besserer Strumpf durchgeht: warm halten die Sachen gewiss nicht. Jens Geist, Leitender Trainingswissenschaftler im bayerischen Olympiastützpunkt in München:

    "Alle diese Materialien, die unter dem Gesichtspunkt der Aerodynamik, der Windschlüpfrigkeit, positive Effekte bringen - da denkt die Materialentwicklung an keiner Stelle darüber nach, ob das dann auch noch wärmeisolierend ist."

    "13, die dort oben noch warten."

    Ob in der Eishalle, auf der Sprungschanze oder in der Rodelbahn: Wintersportler müssten eigentlich ständig bibbern in ihren hautengen Kluften. Andreas Barucha erinnert sich an eine Weltmeisterschaft in Lake Placid, da zeigte das Thermometer in der Eisrinne minus 30 Grad Celsius ...

    "Sechs, die noch oben stehen..."

    Umso wichtiger ist es auch jetzt für Athleten bei Olympia, sich intensiv warm zu machen. Das geht eine oder anderthalb Stunden vor dem Wettkampf los. Der Aufwand sei in der Regel größer als etwa bei einem Leichtathleten, sagt Sportwissenschaftler Geist:

    "Meinethalben, wenn es ein Leichtathletiksportfest in London gibt, und es hat eben nur 15 Grad - auch dort ist die Verletzungsgefahr bei den Sprintern da. Und jetzt stehen sie eben bei minus 12 Grad am Start."

    "Ja, sie steht da noch. Aber lange wird sie da nicht mehr stehen, denke ich."

    "Ooh! Und Sturz! Damit ist die Bahn gesperrt. Sturz. Sturz. Sturz."

    "Der Aufwand kann auch dann noch um ein Vielfaches anwachsen, wenn es zu Startverzögerungen kommt. Und dann ist erstmal vier, fünf Minuten letztlich Unterbrechung. Es ist zum Schluss bei diesen Sportarten deutlich schwieriger als beispielsweise beim Skilanglauf oder beim Biathlon. Dort erwärmt sich in der Belastung der Körper sehr stark."

    Wichtig also: die Muskulatur richtig gut aufwärmen, sich möglichst kurz vor dem Start erst entblättern und bei einer Verzögerung weiter warm halten...

    "Wenn Laufen möglich ist: laufen. Dehnen, die Muskulatur einfach in Bewegung halten. Dass die Muskulatur besser mit Blut versorgt ist. Blut transportiert wichtige Energiesubstanzen an den Muskel. Und Energie heißt Sauerstoff. Sauerstoff muss also von der Pumpe, von dem Motor, von dem Herz bis in den letzten Winkel der Muskulatur transportiert werden. Es gibt einfach Strategien, die jeder Athlet für sich entwickeln muss."

    Apropos Muskulatur. Rodler und Skeleton-Sportler müssen es da besonders im Hals und Nacken haben. Um den Kopf während der Schussfahrt im Eiskanal die ganze Zeit waagerecht halten zu können. Da macht ihnen die Kälte bei Olympia vielleicht weniger aus als ihre Härteübungen im Sommer:

    "Die Rodler trainieren dann auch mit Lederriemen, die an der Stirn hängen, wo oftmals dann zehn, 15 oder auch mal 20 Kilo dranhängen."

    "Tja, spektakulär!" "Das ist wohl wahr!"

    Da weiß man wirklich nicht, ob einem nun heiß oder kalt werden soll...