Doch ins Radio kam diese frühe Pioniertat Döblins erst rund zwanzig Jahre später. Vierzehn Tage vor der geplanten Ursendung am 30. September 1930 hatten die Nationalsozialisten bei der Reichstagswahl einen erdrutschartigen Stimmengewinn verbucht. Döblin, für die Nazis der Prototyp des "jüdisch-bolschewistischen Asphaltliteraten", erschien den Herren vom Politischen Überwachungsausschuss der Berliner Funkstunde nicht mehr als sendefähig. Vier Stunden vor der angekündigten Ausstrahlung wurde die Sendung abgesetzt.
Ohnehin war für die auf Schallplatte erhaltene Aufnahme Döblins Manuskript empfindlich zusammengestrichen worden, teils aus ästhetischen, teils aber wohl auch aus politischen Gründen. So erschienen manche Sätze des Hörspiels möglicherweise als allzu visionär, zum Beispiel die Feststellung: "Das stößt Deutschland noch tiefer ins Elend, wo es schon drin ist."
Anlässlich von Döblins 50. Todestag hat der Südwestrundfunk in Kooperation mit dem Bayerischen Rundfunk, dem RBB und dem Patmos-Verlag den Regisseur Kai Grehn beauftragt, Döblins Manuskript neu zu produzieren - ohne Streichungen.
Frank Olbert: Herr Grehn, Alfred Döblin sagte vor fast 80 Jahren über sein Hörspielmanuskript, vieles sei "im Funkhaus kaum darzustellen". Wie sieht das heute aus?
Kai Grehn: Das war überhaupt der Grund, das Stück fast achtzig Jahre später noch einmal neu zu inszenieren und den Versuch zu wagen, das, was Döblin an Ideen und akustischen Visionen in seinem Manuskript manifestiert hat, mit den technischen Mitteln des 21. Jahrhunderts umzusetzen. Ein großer Vorteil ist sicher, dass wir jetzt nicht mehr auf Monophonie zurückgreifen müssen. Außerdem wurden Szenen wie die Ausrufer am Rosenthaler Platz damals nur im Funkhaus aufgenommen. Wir sind im Vorfeld der Produktion losgezogen und haben in Berlin an den Originalschauplätzen wie Alexanderplatz oder Rosenthaler Platz, die Döblin im Manuskript vorgegeben hat, Geräusche gesammelt.
Frank Olbert: Aber in den letzten 77 Jahren haben sich diese Plätze doch nicht nur architektonisch, sondern auch vom akustischen Umfeld sehr verändert. Es herrscht jetzt zum Beispiel sehr viel mehr Verkehr.
Kai Grehn: Auf jeden Fall, aber die Idee der Neuinszenierung ist, die Geschichte ins heutige Berlin zu verlegen. Das hat mit dem weiteren Grund zu tun, aus dem das Stück fast achtzig Jahre später nochmal neu inszeniert wurde: Das ist die ungeheure Modernität des Textes. Dieser überlebensanarchische Impuls gegen die Ordnung, der in dem Stück steckt, ist heute aktuell wie eh und je.
Frank Olbert: Sie verwenden sehr viel mehr Musik, als das Max Bing im Jahr 1930 getan hat.
Kai Grehn: Ein inszenatorischer Ansatz war, das, was von Döblin im Skript in großen Teilen schon fixiert ist, also gesangsartige Passagen, Balladenelemente, Lieder noch auszubauen und der Inszenierung einen balladesken Charakter zu geben.
Frank Olbert: Woher stammen die musikalischen Passagen und die Songs?
Kai Grehn: Das ist alles komplett neu komponiert worden. Die Band "Tarwater" und Kai-Uwe Kohlschmidt haben die Lied-Vorschläge von Döblin übernommen und zeitgemäße Coverversionen dazu gemacht. Zum Beispiel haben sie aus dem alten Schlager "Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren" ein englischsprachiges Popstück gemacht. Und wenn die Soldaten durch die Stadt marschieren, singen sie russisch. Das hat auch den Sinn, die Geschichte Berlins in die Inszenierung mit einfließen zu lassen. Das muss nicht explizit wahrgenommen werden, aber es soll Verweise geben auf Berliner Geschichte, die inzwischen stattgefunden hat.
Kai Grehns Neuinszenierung von Alfred Döblins Hörspiel "Die Geschichte vom Franz Biberkopf" stellt Bayern 2 Radio am Sonntag, den 24. Juni um 15:15 Uhr, SWR 2 Kultur am selben Tag um 18:20 Uhr und RBB Kultur am Dienstag, den 26. Juni um 20:04 Uhr vor. Die Fassung von 1930 in der Regie von Max Bing sendet WDR 3 am Mittwoch, den 20. Juni um 22:00 Uhr und NDR Kultur am Mittwoch, den 27. Juni um 20:00 Uhr.
Ohnehin war für die auf Schallplatte erhaltene Aufnahme Döblins Manuskript empfindlich zusammengestrichen worden, teils aus ästhetischen, teils aber wohl auch aus politischen Gründen. So erschienen manche Sätze des Hörspiels möglicherweise als allzu visionär, zum Beispiel die Feststellung: "Das stößt Deutschland noch tiefer ins Elend, wo es schon drin ist."
Anlässlich von Döblins 50. Todestag hat der Südwestrundfunk in Kooperation mit dem Bayerischen Rundfunk, dem RBB und dem Patmos-Verlag den Regisseur Kai Grehn beauftragt, Döblins Manuskript neu zu produzieren - ohne Streichungen.
Frank Olbert: Herr Grehn, Alfred Döblin sagte vor fast 80 Jahren über sein Hörspielmanuskript, vieles sei "im Funkhaus kaum darzustellen". Wie sieht das heute aus?
Kai Grehn: Das war überhaupt der Grund, das Stück fast achtzig Jahre später noch einmal neu zu inszenieren und den Versuch zu wagen, das, was Döblin an Ideen und akustischen Visionen in seinem Manuskript manifestiert hat, mit den technischen Mitteln des 21. Jahrhunderts umzusetzen. Ein großer Vorteil ist sicher, dass wir jetzt nicht mehr auf Monophonie zurückgreifen müssen. Außerdem wurden Szenen wie die Ausrufer am Rosenthaler Platz damals nur im Funkhaus aufgenommen. Wir sind im Vorfeld der Produktion losgezogen und haben in Berlin an den Originalschauplätzen wie Alexanderplatz oder Rosenthaler Platz, die Döblin im Manuskript vorgegeben hat, Geräusche gesammelt.
Frank Olbert: Aber in den letzten 77 Jahren haben sich diese Plätze doch nicht nur architektonisch, sondern auch vom akustischen Umfeld sehr verändert. Es herrscht jetzt zum Beispiel sehr viel mehr Verkehr.
Kai Grehn: Auf jeden Fall, aber die Idee der Neuinszenierung ist, die Geschichte ins heutige Berlin zu verlegen. Das hat mit dem weiteren Grund zu tun, aus dem das Stück fast achtzig Jahre später nochmal neu inszeniert wurde: Das ist die ungeheure Modernität des Textes. Dieser überlebensanarchische Impuls gegen die Ordnung, der in dem Stück steckt, ist heute aktuell wie eh und je.
Frank Olbert: Sie verwenden sehr viel mehr Musik, als das Max Bing im Jahr 1930 getan hat.
Kai Grehn: Ein inszenatorischer Ansatz war, das, was von Döblin im Skript in großen Teilen schon fixiert ist, also gesangsartige Passagen, Balladenelemente, Lieder noch auszubauen und der Inszenierung einen balladesken Charakter zu geben.
Frank Olbert: Woher stammen die musikalischen Passagen und die Songs?
Kai Grehn: Das ist alles komplett neu komponiert worden. Die Band "Tarwater" und Kai-Uwe Kohlschmidt haben die Lied-Vorschläge von Döblin übernommen und zeitgemäße Coverversionen dazu gemacht. Zum Beispiel haben sie aus dem alten Schlager "Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren" ein englischsprachiges Popstück gemacht. Und wenn die Soldaten durch die Stadt marschieren, singen sie russisch. Das hat auch den Sinn, die Geschichte Berlins in die Inszenierung mit einfließen zu lassen. Das muss nicht explizit wahrgenommen werden, aber es soll Verweise geben auf Berliner Geschichte, die inzwischen stattgefunden hat.
Kai Grehns Neuinszenierung von Alfred Döblins Hörspiel "Die Geschichte vom Franz Biberkopf" stellt Bayern 2 Radio am Sonntag, den 24. Juni um 15:15 Uhr, SWR 2 Kultur am selben Tag um 18:20 Uhr und RBB Kultur am Dienstag, den 26. Juni um 20:04 Uhr vor. Die Fassung von 1930 in der Regie von Max Bing sendet WDR 3 am Mittwoch, den 20. Juni um 22:00 Uhr und NDR Kultur am Mittwoch, den 27. Juni um 20:00 Uhr.