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Biblische Gräuel heute

"Samson und Dalila" von Camille Saint-Saens handelt von Liebe und Verrat, vom Kampf zwischen Mann und Weib und auch von Völkerschaften, die aufeinander einschlagen. Bereits vor der Aufführung sorgte Regisseur Tilman Knabe für Aufsehen, da sich Chormitglieder von der szenischen Umsetzung von Vergewaltigungen und Massenerschießungen überfordert fühlten und das Handtuch schmissen. Doch die Premiere war ein Glanzstück.

Von Christoph Schmitz |
    Einen Opernskandal hat der Regisseur Tilman Knabe mit seiner "Samson und Dalila"-Inszenierung nicht geliefert, auch wenn ihm zuvor die Sänger davongelaufen sind und das Eintrittsalter werbewirksam auf 16 Jahre hochgeschraubt wurde. Was Tilman Knabe geschaffen hat, ist die Vermittlung der biblischen Erzählung in hyperrealistischen Bürgerkriegsbildern von heute, Bilder der Gewaltexzesse unter vermeintlich zivilisierten Volksgruppen.

    Wenn man bedenkt, dass Oper generell sämtliche Untaten und Gräuel vorführt, vor denen der alttestamentarische Dekalog warnt -Haß, Neid, Lüge, Mord -, dann ist Tilman Knabes Bibelkunde in Köln die konsequente Aufklärung darüber, zu welchen Abscheulichkeiten Menschen und Gesellschaften jederzeit, auch in der Gegenwart fähig sind. Skandalös ist der Mensch, aber nicht die Bühne, die den Skandal zeigt.

    Die Hebräer finden kaum Schutz vor den Granaten der Philister. Zwischen zerstörten Hauswänden, Stahlträgern und Schutthaufen aus Büro- und Küchenmöbeln verstecken sie sich vergeblich vor den anstürmenden Soldaten, die sie besiegen und erniedrigen. Samson dreht den Spieß um, schlitzt dem Anführer der Philister die Kehle durch, es fließt viel Blut, und als Samson mit seinen siegreichen Truppen von der Schlacht zurückkehrt, quälen sie die gefangenen Philister zu den warmen Klängen der Streicher und des eigenen Dankesliedes an den Gott, der ihre Sklaverei beendet hat.

    Damit nicht genug. Knabe verschärft seine Deutung. Zu den folgenden Frühlingsmelodien, die eigentlich den Auftritt Dalilas und ihrer blumengeschmückten Begleiterinnen vor dem Dagon-Tempel vorbereiten, inszeniert Knabe in Zeitlupe eine Massenvergewaltigung durch die Hebräer an den Philistern. Auch Dalila ist unter den Opfern, sie singt dabei sogar ihr Liebeswerben um Samson: "Dalila wünscht ihrem Bezwinger noch viel mehr Liebe als Ruhm!" Selten sind der Zynismus der Sieger und die Qual und das Trauma der Besiegten schmerzhafter und wahrhaftiger gefasst worden, als in dieser Kölner "Samson"-Produktion. Im dritten Aufzug haben die Philister wieder die Oberhand und lassen es ihren Opfern nicht besser ergehen, als es ihn zuvor ergangen ist. Samsons letzter Rettungsversuch: Das Selbstmordattentat mit Sprengstoffgürtel.

    Und so endet auch die Inszenierung der Saint-Saens Oper in Antwerpen. Dort hat vergangene Woche ein israelisch-palästinensisches Regieduo die biblische Geschichte politisch höchst aktuell gedeutet. Omri Nitzan und Amir Nizar Zuabi deuten mit "Samson und Dalila" den israelisch-palästinensischen Konflikt, wobei sie die Rollen einfach vertauscht haben. Die Hebräer der Oper sind die Palästinenser und die Philister die jüdischen Israelis. Am Ende bleibt den unterdrückten Palästinensern gegenüber den vom Westen unterstützen Israelis nur noch die Verzweiflungstat des Selbstmordanschlags. Die auf nur eine politische Botschaft reduzierte Inszenierung wirkt etwas grob, zumal sie die Liebesszene zwischen Samson und Dalila im zweiten Aufzug nicht sinnvoll einbindet, wie das in Köln geschieht.

    Nicht nur szenisch war die Premiere gestern Abend am Rhein ein Glanzstück. Auch musikalisch hätte die Aufführung kaum besser sein können. Es schien, als wollten Sänger und Orchester nach Jahren der ästhetischen Stagnation an der Kölner Oper und dem jüngsten Flop mit Wagners "Tristan und Isolde" einmal zeigen, was das Haus zu leisten in der Lage ist. Das Gürzenich-Orchester unter Enrico Delamboye spielte Saint-Saens' plakative Komposition, deren barockisierende und orientalisierende Formen mit großer Präzision, Intensität und Farbigkeit. Ursula Hesse von den Steinen konnte ihre Dalila erkältungsbedingt leider nicht singen, spielte sie aber brillant als eiskalte Verführerin und Racheengel. Die Stimme verlieh der Dalila die kurzfristig eingeflogene Irina Mishura neben der Bühne mit betörend schönem Alt. Den leuchtenden Samson-Tenor des Ray Wade übertönte leider hin und wieder das Orchester, was die hohe musikalische und szenische Qualität der Premiere nicht wirklich schmälerte.