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Biblischer Kampf der Kulturen

Giuseppe Verdis "Nabucco" hat das Streben des jüdischen Volkes nach Freiheit aus der babylonischen Gefangenschaft zum Thema. Im Zentrum steht Titelheld Nabucco: Nebukadnezar, der sich selbst zum Gott machen will, dafür mit Wahnsinn geschlagen und schließlich geheilt wird. Für Verdi begannen mit dieser Oper 1842 die großen Erfolgsjahre. Große Musik bietet zwar auch die Bayerische Staatsoper, aber in der Inszenierung ist ihr "Nabucco" völlig inakzeptabel.

Von Wolf-Dieter Peter |
    Natürlich: Berühmte, bewegende Musik am Tag nach Verdis 107. Todestag - hier klangselig, dann aber auch zupackend dirigiert vom scheidenden Frankfurter GMD Paolo Carignani. Er wählte für die Kampfes- und Siegesmusiken rasante Tempi und musizierte die dramatischen Auseinandersetzungen in der Wortbedeutung "con brio". Carignani machte deutlich, wie sehr der vor 1842 letztlich gescheiterte junge Verdi dann eben mit "Nabucco" Furore machte, weil vieles eben damals über die Bellini-Donizetti-Tradition hinausging. Doch vieles klang jetzt auch nur vordergründig schmissig, weil von der Bühne. Davon später!

    Denn grundsätzlich wurde, tja, nicht sehr gut, aber gut gesungen: Maria Guleghina war eine kämpferische Abigaille, die sowohl die hoch liegenden Verzierungen wie die tiefen Phrasen der insgesamt stimm-mörderischen Partie beeindruckend, wenn auch mit ein paar brüchigen Tönen gestaltete, so dass das Münchner Publikum mehrfach in Verdi-Wohlklang baden konnte – wie etwa im Terzett: Guleghina mit Daniela Sindrams Fenena und Aleksandrs Antonenkos Ismaele.

    Nur: Da stand Abigaille im Latex-Bodysuit als Tomb-Raiderin Lara Croft oder Trinity aus "Matrix" im dunklen Raum. Nabucco – der sich nur in Schöngesang ergehende Paolo Gavanelli - ähnelte Orson Welles als Macbeth oder einem der Helden aus "Herr der Ringe" samt langem Pferdeschwanz, blieb aber den wüsten Tyrannen schuldig. Und dann marschierten da Soldaten mit modernen Schusswesten und Schnellfeuergewehren, während Nabucco mit einem langen Säbel fuchtelte - all das in einem durchgängig dunklen bis schwarzen Bühnenraum.

    Vorne fuhr ein Treppenpodest mehrfach von links nach rechts und umgekehrt. Dann folgten zwei bühnenbreite Hubpodien, die auf- und abfuhren. Und wiederum dahinter hatte Regisseur und Ausstatter Yannis Kokkos sechs nach hinten verjüngte Kuben gereiht, die in den folgenden Szenen unterschiedlich ausgeleuchtet wurden. Also kein Jerusalem, kein Tempel, kein Babylon, kein hochmütiger Turmbau, kein einstürzender Baal-Tempel – kein "Irgendwo", vielmehr durchweg ein rätselhaftes "Nirgendwo".

    Auch den zentralen politischen Inhalt des Werkes – damals und gerade auch in unseren Jahren: der Zusammenprall zweier womöglich fundamentalistischer "-ismen" – auch das hat Kokkos nicht inszeniert. Da agierten dunkle Figuren im dunklen Raum, und das "Warum?" blieb auch im Dunklen. Denn Kokkos’ abstrakte Bauteile lassen sich auch für eine abstrakte "Aida"-Inszenierung oder "Thais" oder "Perlenfischer" nutzen.

    So geriet dieser zweite Baustein des Zyklus "Junger Verdi" an der Bayerischen Staatsoper zum völlig unzeitgemäßen Beispiel für "Opas Oper": schön gesungen und musiziert, aber dramatisch, visuell und geistig so unterbelichtet schlicht wie eine banale Märchenstunde für Erwachsene. Gemessen an Staatsopernansprüchen: inakzeptabel.