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Big Brother in Stockholm

Vom "Schnüffelstaat" und "Schwedens Stasi" sprechen die Gegner. Die Befürworter sprechen von kleinen Veränderungen, die den Nachrichtendienst an die Herausforderungen des internationalen Terrorismus anpassen. Das Abhörgesetz, das heute im schwedischen Parlament diskutiert wird, hat einen heftigen Streit ausgelöst. Der Ausgang ist unsicher, denn auch im Regierungslager regt sich Widerstand. Aus Stockholm berichtet Alexander Buddet.

    Stolz klickt sich Erik Hultin durch die Debatten-Beiträge auf seiner Webseite. Vor zehn Jahren noch hätte der Christdemokrat aus der Kleinstadt Härnosand allenfalls einen Leserbrief in der Lokalzeitung untergebracht. Doch in Zeiten des Internet ist seine Meinung gefragt. Hultin und seine Blogger-Gefährten organisieren seit Wochen im Internet den Widerstand gegen das geplante Gesetz zum Lauschangriff.

    "Dieses Vorhaben sollte niemanden kalt lassen. Aber in unserem Internet-Forum sind wir vielleicht nicht ganz so empfänglich für die Phrasen der Politiker, weil wir wissen, wie das Web funktioniert. Zum Beispiel wird behauptet, dass nur der Datenstrom aus dem Ausland durchleuchtet wird. So etwas lässt sich technisch doch gar nicht machen. "

    In den letzten Wochen haben Tausende die Protestresolution des Forums unterschrieben. Die Kritiker fühlen sich bestätigt: Für sie geht es um die Verteidigung der offenen Gesellschaft gegen den drohenden Schnüffelstaat.

    Sollten die Parlamentarier dennoch wie erwartet zustimmen, dürfte der militärische Abhördienst FRA künftig sämtliche E-Mails, Telefaxe und Telefongespräche abfangen, die Schwedens Landesgrenzen in digitalen Kabeln überqueren. Mit Hilfe von Schlüsselwörtern wollen die Späher den Datenstrom durchsieben, auf der Suche nach Missetätern, die Schwedens Sicherheit gefährden.

    Eigentlich nichts Neues, meint Behördenchef Ingvar Åkesson. Der FRA darf seit Jahrzehnten dem Funkverkehr ausländischer Armeen lauschen. Von ihrem Horchposten auf der Insel Lovö aus lauschte Försvarets Radioanstalt, so ihr schwedischer Name, im Kalten Krieg dem Funkverkehr der Warschauer-Pakt-Staaten. Heutzutage wird Schweden aber nicht von Armeen bedroht, sondern von Terroristen, Computer-Hackern und Wirtschaftskriminellen. Und diese Leute funken nicht, sondern kommunizieren über Telefon und Internet. Im Äther ist es still geworden. Die Datenströme verlaufen über digitale Kabelverbindungen.
    Und die waren für die Geheimen bislang tabu, klagt Åkesson:

    "Wir wollen da wieder Anschluss finden. Viele Leute glauben, wir hören jetzt alle Telefongespräche ab, lesen alle E-Mails. Wäre es so, würde ich mir selbst die größten Sorgen machen."

    Tatsächlich lässt der Entwurf so manche Frage offen: So soll die FRA nicht nur Terroristen aufspüren und Anschlägen auf Datennetze vorbeugen. Auch die Energieversorgung, Umweltgefahren, Flüchtlingsströme sowie die organisierte Kriminalität gehören nach den Plänen der bürgerlichen Regierung zur Interessensphäre. Experten halten überdies die Beschränkung auf grenzüberschreitenden Datenverkehr für technisch unmöglich, weil viele E-Mails über Server im Ausland vermittelt werden. Der staatliche Telekomkonzern Telia Sonera lies bereits verlauten, er wolle seine Server nach Finnland verlagern, um zumindest seine finnischen Kunden vor dem Zugriff des Geheimdienstes zu bewahren.
    Nicht nur die Wirtschaft, auch Journalisten und Anwälte laufen Sturm. Denn sie werden ihren Informanten und Klienten kaum noch Vertraulichkeit zusichern können.

    FRA braucht für seine Lauschangriffe weder Gerichtsbeschluss noch Anfangsverdacht, auch das Parlament kann die Abhörmaßnahmen nicht im Einzelfall prüfen. Selbst bürgerliche Abgeordnete wie der Zentrumspolitiker Fredrik Federley erwägen deshalb, der eigenen Regierungsmannschaft die Gefolgschaft zu verweigern.

    "Einen solchen Angriff auf die Privatsphäre hat es in Schweden noch nie gegeben. Und auch in Europa sucht ein solches Gesetz seines gleichen. "

    Mit einer Flut von E-Mails versuchen Kritiker wie Erik Hultin, die Abweichler zu bestärken. Seine Aufrufe werden aufmerksam gelesen, hat Hultin beobachtet.

    Besonders häufige Gäste in seinem Diskussionsforum sind die Abhörspezialisten der FRA.