"Am Sonntag, 4. Januar 1931, um 9.40 Uhr schob ich auf dem Flughafen Berlin-Staaken den Gashebel auf Vollgas nach vorn, die vollbepackte Maschine hob sich nach kurzem Anlauf vom Boden ab. Das Wetter war durchaus so, wie ich es mir für einen Afrikaflug vorgestellt hatte: furchtbar viel Wind, natürlich Gegenwind, niedrige Wolken, nasskalt und zwischendurch Regenschauer. Über dem Kamm des Thüringer Waldes hing ich bei dickem Sturm beinahe richtig auf der Stelle fest. Nach sieben Stunden kam ich in Böblingen bei Stuttgart an."
So beginnt Elly Beinhorn, damals zarte 24 Jahre alt, ihren Bericht, der als Buch erschien unter dem denkwürdigen Titel "Ein Mädchen und Fünf Kontinente". Der Flug nach West-Afrika war der erste Inter-Kontinentalflug der jungen Berlinerin - allein in einer Klemm mit 40-PS-Motor, eingepackt in Lederjacke, mit Sturmhaube und Brille, die Klemm hatte selbstverständlich kein Verdeck. Elly, die junge Selfmade-Frau, tauschte auf dem Flugfeld Pilotenjacke gegen Overall, schmierte den Motor ab, prüfte Ölstand und Propeller, und abends zog sie ein Ballkleid an, wenn es denn so sein sollte.
Fundgrube für Ethnologen
Eine "Diana der Lüfte" nannte sie später der Reiseschriftsteller Richard Halliburton, den Elly Beinhorn in Asien traf. Halliburton war zum Mount Everest geflogen, hatte die Sahara überquert, und in ihren zwei Flugzeugen "gondelten" sie, wie Elly Beinhorn zu sagen pflegte, Richtung Bangkok und Bali. Ende 1931 war das, gerade mal ein halbes Jahr nach ihrem spektakulären Afrikaflug, der auf dem Rückweg mit einer Bruchlandung in der Sahara endete. Sie musste sich durchschlagen.
Doch zuerst lief alles gut. Der Motor der Klemm schnurrte, der Öldruck stimmte, Elly wollte nach Bissau, portugiesische Kolonie, südlich von Senegal. Monate zuvor hatte sie den Wiener Ethnologen Hugo Adolph Bernatzik kennengelernt, einen bekannten Afrikaforscher, später Direktor des Völkerkundemuseums in Wien. Bernatzik plante gerade seine nächste Expedition. Auf einem Archipel vor West-Afrikas Küste, genannt Bidyogo, sollten Menschen wohnen, die isoliert waren von der Entwicklung auf dem afrikanischen Festland. Eine Fundgrube für Ethnologen. Elly Beinhorn sollte helfen, die verwunschenen Tropeninseln aus der Luft zu fotografieren. Bernatzik selbst wollte vorher per Schiff in den Archipel eindringen. Man verabredete sich: Wenn sie es schaffe, wolle sie am 10. Februar '31 in Bissau sein, sagte Elly in Wien.
Durch dicken Nebel flog sie über den Schwarzwald, zwischendurch eine Notlandung, dann weiter über Basel, Lyon, die Pyrenäen nach Barcelona. Kurz nach Madrid - sie musste von der deutschen Botschaft Papiere abholen - Sevilla, rüber nach Marokko, Agadir und dann immer die afrikanische Westküste entlang. Zwischenlandungen, Tanken und Übernachten auf französischen Stützpunkten, nicht schlecht bestaunt von den Kolonialoffizieren.
"Man erzählte mir von notgelandeten Flugzeugen der französischen Aeropostale, deren Besatzungen von den Mauren bis zur Zahlung eines hohen Lösegeldes gefangen gehalten worden waren - wenn ihnen nicht ein noch weit schlimmeres Los zuteilgeworden war."
Sie solle doch warten, bis man eine Begleitmaschine organisiert hätte, sagten die charmanten Offiziere, doch Elly hatte es eilig, sie wollte ihre Verabredung mit dem Wiener Ethnologen einhalten.
Animistischer Glaube
Auch wir treffen einen Ethnologen, Italiener ist er und Pater. Einer, den die Bijagos in ihre Welt ließen, ihre Welt der Kulte und Ahnen, sogar initiiert wurde er, eine Seltenheit für einen Fremden. Weil ihre Sprache bedroht ist, hat Luís Scatamburlo in den USA eine Forschungsarbeit und eine Grammatik der Bijagó-Sprache geschrieben. Als Missionar hätte er gelernt, dass ihr animistischer Glaube nichts Negatives hat. Animismus kommt einfach nur von "animo", übersetzt: der Geist:
"Diese Menschen, die inmitten der Natur leben, sehen die Gegenwart von Geistern in vielen Dingen der Natur: Auch in einem Stein lebt ein Geist, oder in einem Baum, in Wasserquellen und so weiter."
Den Bericht der ungestümen Fliegerin hatten wir für einen Moment zur Seite gelegt, um ihr vorauszueilen. Im Gegensatz zu Elly Beinhorn kommen wir mit weitaus weniger Zwischenlandungen ans Ziel, an einem Tag bis Dakar und Guinea-Bissau. Um weiter auf die Bijagos-Inseln zu gelangen, muss man umsteigen ins Kleinflugzeug, in Dakar oder kürzer noch von Bissau aus, 50 Euro. Oder man reist afrikanisch über See in der Piroge, beladen mit 40 Personen plus Kisten, Kästen, Rucksäcken, Taschen und Kleinvieh. Gut fünf Stunden von Bissau auf die Inseln dauert das oder, wie wir es machen, knapp zwei Stunden mit dem Schnellboot.
Wir fahren auf die Hauptinsel Bubaque.
Als wir ankommen, liegt im Hafen von Bubaque eine Fähre, die die Insel zwei Mal pro Woche von Bissau aus bedient. Frauen und Männer und Kinder mit Plastik-Waschschüsseln voller Seefische, kippen sie in Kühlboxen im Bauch des Schiffes.
Post-koloniale Ruhe
Nur wenige Meter Lehmstraße sind es vom Hafen hinauf in den Hauptort. Im fahlen Nachmittagslicht sitzen Frauen in bunten Gewändern vor Lehmhäusern oder klönen vor ihren kleinen Geschäften. Einige fegen die staubige Straße. Ein paar Jungs laden mich ein zum Minz-Tee. Alle warten auf den magischen Moment, wenn der Hitzegipfel überschritten ist. Kühe grasen zwischen den Hütten. Mal ein Moped, aber Autos gibt es kaum. Eine Dorfidylle, und wären die Menschen nicht schwarz, könnte es auch in Indien sein. Die Farben stimmen. Es herrscht post-koloniale Ruhe, im Dorfzentrum spielen Kinder im alten Fort der Portugiesen.
Ich habe mich in der Casa Dora eingemietet. Das kleine Hotel wird von einer Portugiesin geführt, die nach gescheiterter Ehe hier hängen geblieben ist. Ich bekomme eine Rundhütte zum Wohnen und kreolisches Essen, gegrillter Fisch, Reis und schwarze Bohnen. Sehr schmackhaft. Überall, wo Portugiesen und Spanier waren, in Afrika, Süd- und Mittelamerika, immer gibt es Reis und schwarze Bohnen.
Man kann sich auch in Vier- oder 5-Sterne Hotels außerhalb des Dorfes einquartieren, Anlaufpunkte für Sportfischer, meistens Franzosen. Vom hoteleigenen Steg fahren sie mit Boot und Skipper zum Kampf mit den Elementen. Das gemeine Volk im Dorf sehen sie nicht.
Doch vergessen wir Elly Beinhorn nicht, die inzwischen - 1931 - südlich von Senegal fliegt, wo sie Mühe hat, die Orientierung zu halten. Karten gab es damals nur im Maßstab 1: 2.000.000. Dem Auge bot sich die große Unübersichtlichkeit: ein Gewirr von Inseln und Flussarmen.
"Ich überflog das Deltagebiet südlich des Senegals und die kleine britische Kolonie Gambia und gondelte dann stolz über Portugiesisch-Guinea auf Bolama zu. Mit einem Schlag war es hier so heiß geworden, dass ich in meinen verschiedenen Lederumhüllungen kaum Luft bekam, außerdem schien meinem Motor die Hitze auch nicht ganz gut zu gefallen. Er ließ erheblich an Touren nach, die Maschine fiel immer mehr durch, sodass ich sie zuletzt nur noch mit Vollgas auf der Höhe von 200 Metern halten konnte. "
"Photohungriger Bernatzik"
Sie landete auf einer staubigen Piste.
Pünktlich, wie in Wien besprochen, traf sie Bernatzik am 10. Februar '31. Und der wollte bald an Bord, sein Inselreich aus der Luft kennenlernen.
"Lieber Gott, war das eine Schaukelei, als sich der photohungrige Bernatzik gleich nach dem Start hoch aus meiner Maschine herausreckte!"
Die Fotoflüge verliefen weitgehend normal. Bis auf Heuschrecken, die wie eine dichte Wolke über dem Flugplatz hingen, und ein anderes Mal Wanderameisen in der Maschine, die Elly in die Hose krabbelten. Und immer wieder die Vorstellung, unten im Meer von Krokodilen oder Haien bei einer Bruchlandung gefressen zu werden.
Ich habe einen klapprigen alten Jeep aufgetrieben. Man kann nicht wählerisch sein. Eines der wenigen Autos auf der Insel, weiß-blau gestrichen, von den Spiegeln gibt es nur noch tote Halterungen. Aber das Ding fährt, und weite Entfernungen gibt es nicht: Bubaque misst 14 Kilometer in der Länge und fünf in der Breite. Mein Fahrer kennt sich aus mit dem Klapperteil. Die Lenkung kurbelt er lässig, sie hat sicher gut eine viertel Drehung Spiel, die Bremsen muss er kräftig pumpen, die Instrumente haben auch bessere Tage gesehen. Wir tuckern mit 15 km/h, kein großes Risiko. Links und rechts des einzigen Weges, der die Insel durchquert, stehen Hütten mit spitzem Grasdach. Frauen sind unterwegs, zu Fuß, Schüsseln oder Wasserkanister auf dem Kopf balancierend. Palmen, Zuckerrohr und Cashew-Bäume, hoch gewachsenes Gras am Wegesrand. Wir sind auf dem Weg nach Ancamona, einem Weiler, einer Tabanqua, wie man hier sagt. Auf der Ladefläche liegen 4 Hühner und 20 Liter Zuckerrohrschnaps, die obligatorischen Gastgeschenke. In Ancamona erinnere ich mich an Hugo Bernatziks Bericht.
Traditionelle Grasröckchen
Die schroffe Zurückhaltung hätte sich nach wenigen Tagen gelegt, schrieb Bernatzik, und es sei nicht schwer gewesen, mit den koketten Mädchen Freundschaft zu schließen. Auf seine Neckereien seien sie lachend eingegangen und hätten schelmisch um Tabak gebettelt. Kurze Grasröckchen hätten sie getragen, die beim Gehen graziös hin und her wippten.
Na, da hat sich seit 1931 nicht so viel geändert, denke ich, und doch: Nur wenige benutzen noch die traditionellen Röcke, die meisten haben Tücher um die Hüften geschlagen oder tragen bunte afrikanische Kleider, die Grasröcke folkloristisch drüber gezogen. Die Frauen, einige haben beim Tanz ihre Babys an der Brust, sprechen sehr gerne und sehr rasch dem mitgebrachten Schnaps zu. Ihre Tänze werden schneller. Plastikkanister dienen als Trommeln. Die Ältesten des Dorfes dösen auf einer Bastliege vor einer Hütte, einer trägt einen grünen Fes, der andere ein kariertes Tuch um den Kopf, bedeckt von einem breitkrempigen verblichenen Lederhut. Letzterer heißt Joaquim Apenta und ist der Dorf-Chef, ausgestattet mit Insignien: ein silberner Armreif, ein Ring, ein buntes Tuch schräg über dem Hemd. Vor sich ein Korb: verborgen darin wichtige Amulette. Wenn nicht hier, wo dann, sage ich mir, ich will zurück an die Ursprünge, zum Schöpfungsmythos. Bereitwillig geben sie Auskunft auf meine Frage: Wie ist das Volk der Bijagos eigentlich entstanden?
"Wir Bijagos sind lange, bevor die Portugiesen kamen, geschaffen worden. Nindo hat uns aus Erde geschaffen."
Die umstehenden Männer fallen ins Wort:
"Ja und aus den Früchten: Papaya, Reis, Caju."
Nun gut, auf Nindo, ihren Gott, können sie sich einigen. Aber dann gehen die Meinungen auseinander. Offenbar gibt es keinen eindeutigen Schöpfungsmythos.
Die Gesellschaft beruht auf einem Matriarchat
"Sie sind keine großen Philosophen, die Bijagos, sondern eher praktische Menschen. Sie kommen auch nicht ursprünglich von diesen Inseln, sondern vom Kontinent. Über ihre Entstehung glauben sie, dass Gott einen Menschen schuf, und zwar eine Frau. Von einem Mann ist nie die Rede. Die Frau bekam vier Söhne, sie sind die Urväter der vier großen Clans. Die Gesellschaft der Bijagós basiert auf dem Matriarchat. Noch heute, auf der Insel Canhabaque, sind die Frauen die Eigentümer der Häuser, sie wählen ihren Mann aus und können ihn wieder wegschicken, wenn sie meinen, er sei ein schlechter Mann. Kinder werden nach der Mutter benannt. Jedes Dorf gehört zu einem der vier Clans, und einige Familien tragen den Namen der Clans. Sie gelten als Nachkommen der Urväter und sind Auserwählte, die das beste Stück Land bekommen, sie werden Priester, Heiler und Chefs der Tabanqua."
Jetzt soll ich mitkommen in die Hütte von Joaquim, dem Chef. Er zeigt seine Fetische: Holzfiguren, die ihn und das Dorf schützen sollen. An der Wand hängt seine Habe in fünf zugebundenen löchrigen Einkaufstüten.
Hier, in der Ecke der Hütte, im Lehmboden, sind Tote begraben. Die Bijagos bestatten ihre Toten in den Hütten.
"Wenn ein Mensch stirbt, dann wird ein Tag gewartet. Der Tote wird gewaschen und angezogen. Dann graben die Männer des Dorfes in der Hütte der Familie ein Loch. In sitzender Position wird der Tote darin gebettet. "
Und wo bleibt die Seele? Allgemeines Gelächter.
"Ich habe noch nie eine gesehen",
sagt der Chef. Die anderen pflichten ihm bei. Tot ist tot.
"Es gibt in ihrer Vorstellung keine Hölle, aber es gibt die Verweigerung des Eintritts in die Welt der Ahnen. Das heißt: Der Verstorbene hat eine verlorene Seele, die sich wandeln kann in einen bösen Geist, und der kann den Lebenden Böses zufügen. Strafe bedeutet bei ihnen, getrennt zu werden von der Gemeinschaft. Bei den Bijagos bittet keiner allein Gott um Entschuldigung. Ein Beispiel: Zwei Jugendliche streiten sich, einer zückt ein Messer, es fließt Blut - die gesamte Tabanqua hält nun inne, wer ein Haus baut, unterbricht, wer Reis erntet, hält an, dann werden die Ältesten dem Täter eine Buße auferlegen, eine Ziege zum Beispiel oder einen Ochsen zu opfern, je nach Schwere des Vergehens, um auf einem Fest Gott und die Ahnen um Vergebung zu bitten für die Störung der Harmonie, die die Gemeinschaft verursacht hat."
Fetische und Kulthandlungen
Ich fahre weiter ins nächste Dorf: Bijante, das schon Hugo Bernatzik bei seiner Expedition erforschte.
Das Dorf besteht aus einem langen Gemeinschaftshaus mit Blechdach und einem Dutzend Lehmhütten.
Im Langhaus wohnt Senhor Charte Manoel Banca, der Chief, der gleichzeitig Heiler ist. Der alte Herr mit bunter Schärpe über einem T-Shirt, eine Andeutung von Toga für seine Würde, in nachtblauer Pyjamahose mit goldenen Monden und mit Schlapphut auf dem greisen Haupt, sitzt auf einem Holzschemel, vor ihm ein Kanister mit Schnaps - man braucht viel davon bei den Kulthandlungen - links von ihm ein Holzfetisch mit spitzen Brüsten und rechts die Haupt-Fetische des Dorfes, fünfzig Zentimeter große Holzfiguren, eigentlich bestehen sie nur aus Schultern, auffällig langen Hälsen und einem schlanken, wohl geschnitzten Kopf, der von Resten einer Wolldecke umhüllt ist. Beide Fetische tragen verstaubte Filzhüte. Davor diverse Amulette und Kalebassen, die als Rasseln dienen, verstaubte Kuhhörner mit einer Füllung aus Erde, Kräutern und getrocknetem Blut. Der Heiler besprenkelt die Fetische mit Schnaps aus einem Büffelhorn. Die Fetische sind ein Paar, in ihnen wohnen zwei Geister; die mir der Heiler als Kungaré und Sidama vorstellt.
"Wir Menschen geben dem Irã Opfer, damit er bei Gott für uns spricht. Es gibt gute und schlechte Irãs, sie können uns sogar töten, aber meistens helfen sie uns in der Not, bei Krankheit, bei Unfruchtbarkeit, sie sorgen für unser Wohlergehen. Unsere sind gute Geister."

Der Raum ist dunkel und stickig. Männer, Frauen und Kinder drängeln sich. Der Heiler wird gleich mit der Zeremonie beginnen. Eine Frau und ein Mann holen Hühner mit zusammengebunden Füssen aus verschlossenen Körben - Opfertiere. Der Mann trägt den Fetischen laut seine Sorgen vor. Dann übergibt er sein Huhn. Senhor Charte Manoel packt es sanft aber beherzt bei den Beinen, berührt mit dem Schnabel die Fetische, die Opferdarreichung hat begonnen.
Animismus, Christentum - warum soll da ein Widerspruch sein?
Ein Helfer schlachtet das Huhn, es gackert wild und flattert kopflos noch ein paar Meter. Auch das Huhn wird besprenkelt mit heiligem Schnaps. Dann folgt das wichtigste: die Beschauung der Eingeweide. Die Därme sind weiß, und das ist gut - der Irã wird die Fürbitten annehmen.
Die nächste Frau, das nächste Huhn.
Wir verlassen Bijante und legen noch eine Pause ein bei André Gomez. Den müssten wir unbedingt treffen, hatte uns die portugiesische Wirtin der Pension hinterher gerufen. Ein sehr freundlicher Schamane, offen für Besucher, die aus Nah und Fern zu ihm nach Timbato kommen.
André Gomez hat seinen Kultplatz in einem Palmenhain. Auf dem Weg dorthin muss man die Schuhe ausziehen, sobald man einen über dem Lehmpfad gespannten Vorhang durchschreitet: Es ist der Eintritt ins Reich der Geister unter freiem Himmel. André, der Schamane, führt uns zu einem Mammutbaum, an dessen aus der Erde ragendem Wurzelwerk ein Sammelsurium von Opfergaben und liturgischen Instrumenten platziert ist.
Im Inneren des Baumes wohnt der Geist der Tabanqua. André Gomez nimmt die Sache ernst. Er sei kein verrückter Schamane, sagt er, sondern mache seine Arbeit gewissenhaft. Und in der Religion nimmt man sich halt, was man so braucht: Animismus, Christentum - warum soll da ein Widerspruch sein?
"Ich gehe auch in die Kirche. Und abends, wenn ich schlafen gehe, bete ich: 'Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes'. Aber ich vergesse nie, dass ich hier meine Arbeit tun muss mit dem Irã."
Die Reise hat sich gelohnt
Eine Ziege muss heute dran glauben. Das Messer wird gewetzt. An einer Schnur säumen bereits etliche Ziegenschädel den Kultplatz. Hier wird viel gearbeitet. Sogar aus dem Senegal kämen sie mit dem Flugzeug zu ihm zur Behandlung, sagt André. Und wenn die Ärzte in der Klinik in Bubaque nicht mehr weiter wüssten, dann schickten sie Patienten zu ihm.
Auch ich werde dem Fetisch mit Vor- und Nachnamen vorgestellt, ich soll ein paar Krumen von der heiligen Erde auf meine Zunge legen, danach soll ich knieend vor dem Baum meine Fürbitte vorbringen. Ich tue es, stammele etwas auf Deutsch, zugegeben mit einiger Befangenheit. Vielleicht hilft es ja weiter. Die Reise hat sich ohnehin gelohnt. Von allen guten Geistern beseelt, jetzt aber erst mal ins Meer, an den weißen Stränden der Bijagós-Inseln.