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Bild-Opulenz und Bild-Enthaltsamkeit

Bild-Opulenz und Bild-Enthaltsamkeit. Die Fotografien der Anschläge des 11. Septembers haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Auf sehr unterschiedliche Weise untersuchen zwei Ausstellungen in Berlin die Macht der Bilder des Terrors.

Von Carsten Probst | 11.09.2011
    War es nicht der amerikanische Romancier Don DeLillo, der schon in den achtziger Jahren äußerte, die Terroristen hätten den Künstlern in Sachen ästhetischer Durchschlagskraft den Rang abgelaufen, weil sie es verstünden, die Medienbilder und die Erinnerung für ihre Zwecke zu kapern?

    Die Ausstellung "Unheimlich vertraut" in der vielfach gepriesenen Fotogalerie c/o Berlin scheint noch einmal zu versuchen die alten Diskurse zu aktivieren, will noch einmal daran erinnern, dass auch die noch so geschichtsträchtigen Medienereignisse am Ende populäre Verkaufsware sind und sich Terror und Angst naturgemäß am besten eignen, um das Publikum glauben zu lassen, es sehe die Realität im Fernsehen, es sei live dabei und partizipiere direkt.

    Die Ausstellung holt weit aus und beginnt mit den kanonischen Bildern von den palästinensischen Attentätern während der Olympischen Spiele in München 1972, zieht sich über Terrorfahndungsfotos des Deutschen Herbstes und eine bebilderte Geschichte von Flugzeugentführungen und endet schließlich auf einer ganzen Etage mit einem wahren Bilderexzess zu den Anschlägen auf das World Trade Center.

    Allein, die Absicht, 9/11 als ein großes Pop-Event mit den eigenen Mitteln zu entlarven, geht nicht auf. Zwar bemüht man sich mit einer berühmten Installation des Briten Robert Boyd, bei der in einer Party-Zone zu Disco-Rhythmen unter einer pinkfarben angestrahlten Discokugel Bilderfluten von blutigen Nachrichtenbildern über die Wände huschen; man zeigt noch einmal Thomas Ruffs großformatig verpixelte Zeitungsaufmacher vom Zusammenbruch der Türme und lässt noch einmal Thomas Hirschhorns wandfüllende Collage ungeschönter Fotografien von Attentatsopfern erscheinen. Doch die schiere Wucht all dieser Bilder hintertreibt das Unterfangen und lässt die Besucher durchaus benommen und erschüttert von den Medienbildern stehen angesichts ihrer gefühlten Zeitgenossenschaft. Sodass am Ende wieder doch die Realität der Gefühle für die Realität der Bilder einsteht.

    Ganz anders die Ausstellung in den nur 300 Meter Fußweg entfernten KunstWerken Berlin. Unheimlich vertraut ist hier wenig, man bekommt gerade nicht die Bilder zu sehen, die man aus den Medien schon kennt. Schaulust und Bedürfnis nach emotionaler Anteilnahme werden hier weitaus weniger befördert, aber das ist schließlich auch die Absicht von Kuratorin Susanne Pfeffer. Als Chiffre ihrer Ausstellung ließe sich die bedrohlich anmutende Installation des Spaniers Inigo Manglano-Ovalle verstehen, der den Hauptsaal der KunstWerke stockfinster gemacht und mitten darin, nur schemenhaft erkennbar, einen riesigen Lastwagen mit unheimlichen Aufbauten platziert hat.

    Dieser "Phantom Truck" entspricht einer Rekonstruktion von Fahrzeugen auf jenen unscharfen Satellitenbildern, die der damalige US-Außenminister Colin Powell als "Beweise" für mobile Biowaffenlabore Saddam Husseins ausgab, um damit vor dem UN-Sicherheitsrat für den Einmarsch in den Irak zu werben. Dem gezielten Alarmismus der Desinformation entspricht die Hysterie vor verdächtigen Gegenständen, wie sie beispielsweise am New Yorker JFK-Flughafen konfisziert und in ihrer ganzen Banalität von der Künstlerin Taryn Simon akribisch katalogisiert wurden. Umgekehrt verweigern sich zahlreiche Künstler dieser Schau gerade dem gängigen Ereignisschema westlicher Medien, wie der Libanese Nadim Asfar, der während des israelischen Bombardements Libanons 2006 während des Kriegslärms in seiner Wohnung sitzt und surreal anmutende Privatstillleben abfilmt, während dazu im Hintergrund eine Madonna-CD dudelt.

    Soviel demonstrative Ereignislosigkeit wird nur noch überboten von dem Journalistenduo Adam Broomberg und Oliver Chanarin, die als "embedded journalists" einer britischen Militäreinheit in Afghanistan eigentlich Bilder von Kampfhandlungen machen sollten, stattdessen jedoch unter dem grausamen Eindruck der Ereignisse dazu übergingen, sich der pseudorealistischen Repräsentation des Krieges zu verweigern und nur noch ihr Fotopapier bei jeder Aufnahme direkt von der Sonne belichten zu lassen.

    Auf die Dauer entstand so eine Reihe abstrakt anmutender Bilder, die sich der fotografischen Repräsentation des Krieges für die westlichen Medien demonstrativ entziehen. So wird zwischen Bild-Opulenz und Bild-Enthaltsamkeit am Ende jeder in einer dieser Ausstellungen seinen eigenen Umgang mit seinem Bild des 11. September finden. Fast könnte man meinen, beide Institutionen hätten sich miteinander abgesprochen.

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