Dienstag, 30. April 2024

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Bildagentur Corbis wird chinesisch
Kunstkritiker: Nur mit riesigen Bildarchiven kann man Geschäfte machen

Die Bildagentur Corbis ist von Microsoft-Gründer Bill Gates aufgebaut worden. Nun wurde sie an die chinesische Visual China Group verkauft. Gates wolle dieses große Konsortium loswerden, sagte der Kunstkritiker und Schriftsteller Ulf Erdmann Ziegler im DLF. Anscheinend glaube der Microsoft-Gründer, dass man mit Bildern kein Geld mehr verdienen könne.

Ulf Erdmann Ziegler im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 26.01.2016
    Ulf Erdmann Ziegler, aufgenommen am 12.10.2012 auf der 64. Frankfurter Buchmesse in Frankfurt am Main.
    Ulf Erdmann Ziegler (dpa-Zentralbild / Arno Burgi)
    Doris Schäfer-Noske: Chinesische Medienhäuser sind zurzeit auf Einkaufstour. So hat die Wanda Group gerade 3,5 Milliarden Dollar für die Mehrheit an den Hollywood-Studios auf den Tisch gelegt, die unter anderem die Godzilla-Filme drehen. Das berühmte Foto der Bauarbeiter auf dem Rockefeller Center und auch das von Albert Einstein mit der rausgestreckten Zunge gehörten bisher zur Bilderbibliothek der Agentur Corbis. Die hat Microsoft-Gründer Bill Gates aufgebaut. Nun hat er sie aber verkauft, und zwar an die chinesische Visual China Group. Gleichzeitig hat die wiederum eine Partnerschaft mit der amerikanischen Getty Group geschlossen, dem bisher größten Konkurrenten von Corbis. - Frage an den Kunstkritiker Ulf Erdmann Ziegler: Was für eine Konzentration entsteht denn da gerade?
    Ulf Erdmann Ziegler: Ja das kann man noch nicht sagen. Aber feststeht, dass Bill Gates dieses ziemlich große Konsortium loswerden will. Es ist das Zweitgrößte nach Getty, deutlich kleiner, aber deshalb nicht unbedeutend, und wenn jemand wie Gates so was verkauft, dann heißt das, dass er letztendlich glaubt, dass man mit Bildern kein Geld mehr verdienen kann.
    Schäfer-Noske: Der Chef der Visual China Group spricht von einer Schatztruhe wertvoller Bilder. Die Bauarbeiter und Albert Einstein habe ich ja schon genannt. Was gehört denn sonst noch zu diesem Bilderarchiv von Bill Gates?
    "Je verbürgter ein Schatz ist, desto leichter ist er auch zu streuen"
    Erdmann Ziegler: Das sind riesige Bildarchive. Das Urarchiv ist ein sogenanntes Bettmann Archive. Das hat die United Press International Bilder eingeschlossen. Das wurde _95 gekauft. Dann wurde in Frankreich '99 Sygma dazugekauft, eine große, große Presseagentur, und all das, was sie gehortet hatten. Und damit war man schon bei 65 Millionen Bildern. Diese Zahlen, glaube ich, das ist das, worum es eigentlich geht, weil mit sehr, sehr vielen Bildern gleichzeitig weltweit gehandelt wird, und nur so kann man überhaupt heute noch Geschäfte machen. Meistens ist es so, dass nicht das einzelne Bild verkauft wird, sondern dass quasi Abo-Verträge oder Pauschalverträge mit Abnehmern gemacht werden, die dann Zugriff auf vieles oder bestimmte Bereiche haben und sich daraus bedienen können. Und wenn man das mal runterrechnet auf das fotografische Bild sieht man, dass es von der Umsonst-Zirkulation in den sozialen Medien gar nicht so weit entfernt ist. Fotografen sagen oft, nein, ein bestimmtes Bild, auch ein Standardbild - das Standardbild ist Frau mit neuestem Handy, Laptop und Baby -, dass man das nicht nachstellen kann, dass es sich nicht lohnt, das nachzustellen, weil der Aufwand zu groß wäre und weil es das nicht zurückbringt. Aber es ist natürlich eine andere Sache, wenn die Bilder alt sind. Je verbürgter ein Schatz ist, desto leichter ist er auch zu streuen. Das Problem ist tatsächlich nicht, die VG Bild in Deutschland mal ausgenommen, aber das Problem ist eigentlich nicht, dass die Bilder zu teuer werden, dass man sie nicht nutzen könnte, sondern dass sie zu billig werden, sodass es sich nicht mehr lohnt, weitere zu machen.
    Schäfer-Noske: Was bedeutet denn nun diese Entwicklung für die Pressefreiheit? China ist ja ein Land, das berüchtigt ist für Internet-Zensur. Besteht denn da die Gefahr, dass missliebige Fotos jetzt verschwinden, zum Beispiel vom Massaker am Tiananmen-Platz?
    "Bill Gates ist wieder dabei, Massenarbeitslosigkeit zu unterstützen"
    Erdmann Ziegler: Das wäre natürlich eine absolut groteske Entwicklung, wenn es so käme. Zunächst mal will ja oder soll Getty die Distribution übernehmen. Das ist aber der Konkurrent. Das hieße ja, dass all die Büros von Corbis, die es weltweit gibt, dann geschlossen würden. Der große Philanthrop Bill Gates ist gerade mal wieder dabei, Massenarbeitslosigkeit zu unterstützen. Und wenn Getty das übernimmt, dann ist natürlich Getty in irgendeiner Weise auch in der Pflicht. Ich kann mir kaum einen solchen Fall vorstellen - aber nichts ist unvorstellbar -, dass Getty in die Lage käme, Abnehmern sagen zu müssen, ihr könnt folgendes Bild aus dem Kontext Pekings nicht haben, weil unsere Chefs es nicht freigeben. Das wäre ja absolut skandalös.
    Schäfer-Noske: Ganz kurz noch ein Blick auf Deutschland. Haben wir denn ein Archiv zum Beispiel für alle Nachlässe, damit keine Bilder verloren gehen?
    Erdmann Ziegler: Nein, das haben wir eben nicht, und das ist wirklich bedenklich. Während es nämlich einerseits zu viele Bilder gibt, gehen andererseits tatsächlich Nachlässe dadurch verloren, dass wir die nicht sammeln. In den Niederlanden gibt es ein zentrales Fotoarchiv, das nicht dafür da ist auszustellen, sondern nur dafür zu archivieren, und da kommen natürlich bedeutende Bildschätze an und so Archive sind ja auch eigentlich nur dann wertvoll, wenn sie wirklich in toto eingekauft und aufbereitet werden. Das ist übrigens auch noch im Hinterland von Corbis eine sehr eigentümliche Frage: Was ist eigentlich mit den digital noch nicht erschlossenen Bilderzyklen und Archiven, die es ja auch gibt. In Amerika liegen irgendwie Millionen von Bildern in einem Stollen aus dem 19. Jahrhundert, oder bei Paris gibt es ein großes Archiv, in dem diese Sygma-Bilder sind, und wird es dann soweit kommen, dass letztendlich die Chinesen physisch diese Bilder abziehen, um sie dann in China zu digitalisieren? Das wirft die erstaunlichsten Fragen auf, diese riesige Transaktion.
    Schäfer-Noske: Bill Gates Bildarchiv wurde nach China verkauft - das war ein Gespräch mit dem Kunstkritiker Ulf Erdmann Ziegler.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.