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Bilder vom ewigen Sommer

Die Ostsee gilt seit Langem als Ferienparadies. Gerne erholten sich hier auch die Künstler. Eine Ausstellung geht den frühen Sommergästen zwischen Wismar und Nidden nach - von Hans und Sophie Arp über Lovis Corinth bis zu den Expressionisten der Brücke-Maler und des Blauen Reiters.

Von Rainer Schossig | 30.07.2011
    Als der Brücke-Maler Erich Heckel vor hundert Jahren an die Ostsee fuhr, hatte er einen ebenso verregneten Sommer erwischt wie in diesem Jahr: "Vorläufig sieht's sehr bös aus", schrieb er aus Prerow am Darß. "Aber es gibt sich vielleicht noch. Kalt ist's auch mächtig." Heckels erstes Bild aus Stralsund zeigt knallrote Segelschiffe auf violetten Wellen vor schwarzblauen Wolken. Die gleichen Farben wählte Marianne von Werefkin, die mit ihrem Lebensgefährten Alexej Jawlensky ebenfalls 1911 Urlaub in Ahrenshoop machte. Bei ihr schwappt die lila Ostsee wie ein Tsunami an die düsteren Dünen, als wollte sie die gestelzten Badehäuschen wegspülen. Schwarz-weiß-rote Fähnchen klirren im Wind. Was trieb eigentlich die Künstler aus den Metropolen an die windigen, regnerischen Küsten des Baltischen Meeres? – Kornelia Röder, Kuratorin der Schweriner Schau, hat Motivforschung getrieben:

    "Die Inseln Wollin, Rügen, Usedom und der Darß hatten wohl noch so etwas von 'Verlorenem Paradies' im Vergleich mit der harten Lebensrealität in den Großstädten. Und wir sind ja alle heute noch auf der Suche nach den verlorenen Paradiesen."

    Es heißt, die Maler suchten weniger Entspannung als das "harte, unverfälschte Leben" an der Wasserkante. Aber sie brachten natürlich auch ihre persönlichen Sehnsüchte, Probleme und Wünsche "aus grauer Städte Mauern" mit. Der Russe Jawlensky etwa imaginierte sich mediterrane Strände. Seine sturmgezausten "Sturmkiefern in Prerow" wachsen auf orangenen Hügeln vor türkisblauem Himmel. Der Darß glüht wie der Golf von Neapel beim Ausbruch des Vesuvs. – "Ich habe sehr viel Rot genommen, Blau und Orange, Cadmiumgelb und Chromoxyd-Grün", schreibt er später.

    "Die Landschaft wurde auch als Projektion genommen. Da ist nicht nur Sonntagsmalerei, abgetuscht das Schöne, sondern die Landschaft bietet sich an als Raum für Projektionen."

    Die Bilder von ewigem Sommer, gut gelaunten Strandwanderern mit bunten Hüten und Sonnenschirmen, wimpelgeschmückten Schiffchen und prächtigen Seebrücken, wie sie bei Schmidt-Rottluff, Pechstein und Feininger gern beschworen werden, verschwinden unmerklich. Mit der Eintrübung der gesellschaftlichen Verhältnisse scheint auch die heitere Sommeratmosphäre sich zu verdüstern. Suchten die von den Grabenerlebnissen des Ersten Weltkriegs traumatisierten Künstler zunächst noch den Kontrast von Sonne, Strand und Schönwetter, so fanden schon die Neusachlichen wie Alexander Kanoldt oder Max Kaus magische, verstörende Küstenbilder: Flackernde Leuchttürme, zerklüftete Strände, gewittrige Himmel aus Schwefelgelb und Giftgrün. Die gespenstisch-zerrissenen fluoreszierenden Hiddensee-Aquarelle der fast vergessenen Hodler-Schülerin Käthe Löwenthal sind typisch für die Sicht der späten 20er- und frühen 30er-Jahre. Auch der junge Ernst Wilhelm Nay findet böse Bilder für schöne Orte in schlimmen Zeiten Schwarze Wellen schwappen, ein Gefühl von Bedrohung und Ausweglosigkeit an Pommerns Küsten, wo wenig später schon die Flüchtlingstrecks des Zweiten Weltkriegs unterwegs sein würden.

    "Die Künstler haben sehr schnell begriffen, was ist. Und wenig später kam ja die Diffamierung, dann die Aktion 'Entartete Kunst', wo viele der Künstler hier in der Ausstellung sich beschimpfen lassen mussten, mit Mal- und Ausstellungsverbot belegt wurden."

    Ach, die Schau der malenden Sommergäste hätte so heiter, so sorgenlos geraten können, doch die Zeiten waren nicht danach. Auf das Kaiserwetter von Lovis Corinth folgten schnell die fiebrigen Strandvisionen von Edvard Munch, die beunruhigenden Rekonvaleszenzbildnisse von Walter Gramatté und die dunklen Steinzeitidole von Ewald Mattaré.

    Merkwürdig zeitlos wirken die Dokumente der Dada-Leute um George Grosz und Raoul Hausmann, Kurt Schwitters und Hannah Höch. Ihre Spaßcollagen - hergestellt mit Schere und Kleber aus Träumen, Treibgut und guter Laune – wirken, wie aus der Zeit gefallen. Was jetzt politisch aufzog, war schlimmer als schlechtes Wetter. Vertreibung, Verfemung und politisches Exil prägten die Biografien vieler Künstler, die eben noch Sommergäste an der Ostsee waren.