Thomas Struth fotografiert Menschen im Museum, damit ist er endgültig berühmt geworden. Er beobachtet sie beim Sehen. Gleich beim Eintreten trifft der Besucher auf diese Bilder, die ihn mit seinesgleichen konfrontieren: staunende, ungelenk stehende, meist ziemlich selbstvergessene Individuen, die sich vor Kunstwerken aufhalten, dem Blick von Struths Kamera ganz naiv ausgeliefert.
Dass bei Thomas Struth daraus dann verräterische soziale Muster und subtile Personenstudien werden, ist vor allem der Geduld des Fotografen zu verdanken, der tagelang auf die richtigen Konstellationen wartete. Bisweilen wirken diese Museumsbesucher wie Erweiterungen der Kunstwerke selber, sie gehören dazu: Mutter und Kind ganz verschreckt vor den Torsi im Pergamon-Museum, die diskutierenden Schulklassen im Prado vor dem Bild der Infantin, die locker promenierenden Frauen vor einer Seurat-Studie in Chicago - das sind Momente der Wahrheit. Wir erfahren etwas über uns, wenn wir Kunst anschauen, und Struth zeigt uns, wie wir bei dieser Tätigkeit gehen, stehen, reden, was wir von uns dabei preisgeben.
Die meisten anderen Bilder von Struth sind allerdings ziemlich menschenleer, und sie sind alle von klassischer Schönheit. Schon Ende der 1970er-Jahre hat Thomas Struth Städte - beziehungsweise deren Unbewusstes - fotografiert, in Schwarz-Weiß die Spuren erkundet, die Ruß, Verkehr, Armut und Alltag in die stillen, düsteren Arbeiterstraßen von Charleroi, Paris oder Düsseldorf geschlagen hatten. Das stand noch ganz in der Tradition der statischen Becher-Schule. Später wurde daraus dann ein Programm von großformatigen, gezirkelt scharfen Farbfotografien, das man "die Anonymität der Städte" nennen könnte, monströse Fensterfassaden der Einsamkeit vor den immer gleichen Plätzen, egal ob in Pjöngjang, Seoul, Tokio oder Paris. Auch in den sandbedeckten Armensiedlungen bei Lima sieht man kaum einen Menschen: schmale Häuser, an den verkarsteten Berg hingewürfelt.
Die stupende fotografische Überzeugungskraft dieser leeren Stadträume ist auch ein trauriges Resümee der Globalisierung. Thomas Struth ist oft unterwegs, und beim Betrachten seiner meist wandhohen Großformate fragt man sich bisweilen, wie viele Flugmeilen in so einem Einzelbild stecken mögen. Dabei hat der Fotograf immer schon ein langfristiges Konzept im Kopf: 1987 fotografierte er eine japanische Familie - und in der Retrospektive sieht man nun, wie hartnäckig Struth das Projekt weiterverfolgt hat. Eine Anzahl unterschiedlichster Familienbilder hängt im Züricher Kunsthaus, quer durch die Kontinente, die Klassen, die Ethnien: das kinderlose Paar, die alten Eltern, die Großfamilie, die vaterlose Familie. Dann wiederum zerfällt die "Family of Men" in soziologische Choreografien, die sich höchst individuell vor der Pariser Kathedrale Notre-Dame oder dem Mailänder Dom gruppieren. Auch hier betreibt Struth immensen Aufwand, von der Hebebühne für die richtige Kameraperspektive bis zum Freiräumen der Kirchen-Vorplätze, bevor, nach langer Wartezeit auf das richtige Licht und die richtige Menschenansammlung, das Bild seiner Wahl sich ergibt.
Seit Neuestem interessiert sich Struth vor allem für die bedrohliche, klinische Ästhetik der Technik: Er inszeniert chaotische Computer-Verdrahtungen, Versuchsgeräte im Max-Planck-Institut, ein Space Shuttle in Cape Canaveral. Vor den Schiffsbäuchen im Trockendock stehen Frachtkisten wie Särge - das ist bei Struth ein ganz sachliches Bildelement.
Und doch gibt es auch bei Struth das Paradies: Riesige, sattgrüne Bilder von Wäldern und Urwäldern, in die man hineingehen, in denen man jedes Blatt anfassen möchte, die Farne, bemoosten Steine, die Schlingpflanzen und Mammutbäume. Der Fotograf ist dafür in China, Japan, Australien, Peru gewesen, und in diesen großartigen Bildern liegt ein Trost: dass die Welt in ihrer Gefährlichkeit schön ist. Das muss man sehen!
Dass bei Thomas Struth daraus dann verräterische soziale Muster und subtile Personenstudien werden, ist vor allem der Geduld des Fotografen zu verdanken, der tagelang auf die richtigen Konstellationen wartete. Bisweilen wirken diese Museumsbesucher wie Erweiterungen der Kunstwerke selber, sie gehören dazu: Mutter und Kind ganz verschreckt vor den Torsi im Pergamon-Museum, die diskutierenden Schulklassen im Prado vor dem Bild der Infantin, die locker promenierenden Frauen vor einer Seurat-Studie in Chicago - das sind Momente der Wahrheit. Wir erfahren etwas über uns, wenn wir Kunst anschauen, und Struth zeigt uns, wie wir bei dieser Tätigkeit gehen, stehen, reden, was wir von uns dabei preisgeben.
Die meisten anderen Bilder von Struth sind allerdings ziemlich menschenleer, und sie sind alle von klassischer Schönheit. Schon Ende der 1970er-Jahre hat Thomas Struth Städte - beziehungsweise deren Unbewusstes - fotografiert, in Schwarz-Weiß die Spuren erkundet, die Ruß, Verkehr, Armut und Alltag in die stillen, düsteren Arbeiterstraßen von Charleroi, Paris oder Düsseldorf geschlagen hatten. Das stand noch ganz in der Tradition der statischen Becher-Schule. Später wurde daraus dann ein Programm von großformatigen, gezirkelt scharfen Farbfotografien, das man "die Anonymität der Städte" nennen könnte, monströse Fensterfassaden der Einsamkeit vor den immer gleichen Plätzen, egal ob in Pjöngjang, Seoul, Tokio oder Paris. Auch in den sandbedeckten Armensiedlungen bei Lima sieht man kaum einen Menschen: schmale Häuser, an den verkarsteten Berg hingewürfelt.
Die stupende fotografische Überzeugungskraft dieser leeren Stadträume ist auch ein trauriges Resümee der Globalisierung. Thomas Struth ist oft unterwegs, und beim Betrachten seiner meist wandhohen Großformate fragt man sich bisweilen, wie viele Flugmeilen in so einem Einzelbild stecken mögen. Dabei hat der Fotograf immer schon ein langfristiges Konzept im Kopf: 1987 fotografierte er eine japanische Familie - und in der Retrospektive sieht man nun, wie hartnäckig Struth das Projekt weiterverfolgt hat. Eine Anzahl unterschiedlichster Familienbilder hängt im Züricher Kunsthaus, quer durch die Kontinente, die Klassen, die Ethnien: das kinderlose Paar, die alten Eltern, die Großfamilie, die vaterlose Familie. Dann wiederum zerfällt die "Family of Men" in soziologische Choreografien, die sich höchst individuell vor der Pariser Kathedrale Notre-Dame oder dem Mailänder Dom gruppieren. Auch hier betreibt Struth immensen Aufwand, von der Hebebühne für die richtige Kameraperspektive bis zum Freiräumen der Kirchen-Vorplätze, bevor, nach langer Wartezeit auf das richtige Licht und die richtige Menschenansammlung, das Bild seiner Wahl sich ergibt.
Seit Neuestem interessiert sich Struth vor allem für die bedrohliche, klinische Ästhetik der Technik: Er inszeniert chaotische Computer-Verdrahtungen, Versuchsgeräte im Max-Planck-Institut, ein Space Shuttle in Cape Canaveral. Vor den Schiffsbäuchen im Trockendock stehen Frachtkisten wie Särge - das ist bei Struth ein ganz sachliches Bildelement.
Und doch gibt es auch bei Struth das Paradies: Riesige, sattgrüne Bilder von Wäldern und Urwäldern, in die man hineingehen, in denen man jedes Blatt anfassen möchte, die Farne, bemoosten Steine, die Schlingpflanzen und Mammutbäume. Der Fotograf ist dafür in China, Japan, Australien, Peru gewesen, und in diesen großartigen Bildern liegt ein Trost: dass die Welt in ihrer Gefährlichkeit schön ist. Das muss man sehen!