Montag, 13. Mai 2024

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Bildergeschichten ohne Anfang und Ende

Die Darmstädter Mathildenhöhe, die in den 20er-Jahren einer Künstlerkolonie diente, hat sich jetzt in das dunkelste Museum der Welt verwandelt, weil dort Zeichnungen eines Niederländers ausgestellt werden, Marcel van Eeden. Aber warum das dunkelste Museum, Christiane Vielhaber?

Christiane Vielhaber im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 13.11.2011
    Christiane Vielhaber: In zweierlei Hinsicht. Die Zeichnungen sind fast alle schwarz-weiß, sie erinnern an den Film noir, und es gibt einen Raum in diesem großen Labyrinth aus Zeichnungsserien, wo es so dunkel ist, dass sie zunächst mal überhaupt nichts sehen. Sie tasten sich dann so lang an der Wand, und dann erkennen sie unter kleinen Lämpchen, dass das Ganze irgendetwas mit Okkultismus zu tun hat, dass da also irgendwelche Séancen stattfinden, dann tastet man sich auch noch an einer Vitrine mit Tarot-Kasten entlang. Und dieses Museum hat wiederum einen Bezug zu dem gesamten Werk von Marcel van Eeden, nicht nur diese Mathildenhöhe, die in seinem Werk eigentlich keine große Rolle spielt, aber sie spielt eine Rolle, weil sie vor seiner Geburt am 22. November '65 schon eine Rolle gespielt hat und sein ganzes Werk kreist um die Zeit vor seiner Geburt.

    Müller-Ullrich: Er ist also noch ein junger!

    Vielhaber: Na ja, relativ jung.

    Müller-Ullrich: Relativ!

    Vielhaber: Aus meiner Sicht ist das relativ jung. Er wollte eigentlich Schriftsteller werden, dann hat er auch Kunst studiert, es muss auch Gemälde von ihm geben. Aber dann hat er beschlossen, '93, als er die Akademie verließ, ich werde einfach Zeichner, und seitdem zeichnet er wenigstens jeden Tag eine Zeichnung.

    Müller-Ullrich: Was sieht man denn da genau? Sie sagten, Film noir. Also es ist ja nicht nur Ästhetik, sondern eine Botschaft.

    Vielhaber: Herr Müller-Ullrich, wenn Sie an diesen Zeichnungen vorbei gehen, dann denken Sie, das kenne ich doch. Dann sehen Sie zum Beispiel ein Flugzeug, dann sehen Sie eine Filmszene, dann sehen Sie irgendwas aus einer Werbung, und das ist auch das Material, mit dem er arbeitet. Er hat überhaupt keine eigenen Bilderfindungen. Er nimmt also das, was er vorfindet, aber eben wie gesagt alles aus der Zeit vor seiner Geburt. Hinzu kommt dann aber, dass er Montagen macht oder Collagen. Er sucht sich zum Beispiel Texte von Robert Walser oder von T. S. Eliot aus der Cocktail Party, oder er nimmt Zeitungstexte, die irgendwie jetzt nicht mit diesen Bildern zu tun haben, aber wenn Sie daran vorbei gehen, dann glauben Sie, das sind Romane. Es sind aber Bildgeschichten, die keinen Anfang und kein Ende haben. Es ist irgendwie alles: Das kenne ich doch schon. Dann ist es geheimnisvoll, dann denken Sie, es ist ein Krimi, dann ist es eine Spionagegeschichte. Und das Witzige oder vielleicht auch endlich das Ermüdende ist, dass dieselben Figuren immer auftauchen. Es taucht immer auf die Tatsache, dass es irgendwo noch Zeichnungen von Grünewald geben muss. Unter anderem werden sie in der Mathildenhöhe vermutet. Oder es gab ein Schiff, was in Rotterdam versenkt worden ist, ziemlich am Schluss von den Engländern; da hieß es auch, da seien diese Grünewald-Zeichnungen. Dann gibt es aber diese Figuren Oswald Sollmann oder Karl N. Wiegand, die das irgendwie noch gerade vorm Sinken von diesem Schiff runtergeholt haben, und dann sehen Sie, dass dieser Künstler einfach begnadet ist. Er kann zeichnen wie Grünewald, er kann zeichnen. Diese Zeit vor seiner Geburt war ja die Zeit der abstrakten Kunst, wo das plötzlich kam. Das kann er also ganz gut machen. Er kann Ausstellungen nachempfinden. Sie sehen auf diesen Zeichnungen zum Beispiel: ach, das war die Ausstellung von dem und dem. Er erfindet Ausstellungen eines Sammlers, gemeint ist natürlich Prinzhorn, der Kunst von Geisteskranken gesammelt hat. Und so fügt sich das zu einem Kosmos, der zwischen Wirklichkeit, die Sie irgendwo nachfinden können, und Fiktion sich bewegt.

    Müller-Ullrich: Also toll gemacht, das habe ich verstanden.

    Vielhaber: Ja.

    Müller-Ullrich: Aber dann sagten Sie ja gerade: keine eigenen Bilderfindungen. Und jetzt frage ich mich: außer dem toll Gemachten – ich habe ja gerade mal reingeschaut, das sieht ja sehr nach so einem Mixtum compositum mit surrealistischen Einschlägen aus -, was ist jetzt wirklich das besondere?

    Vielhaber: Die Vermischung von Wirklichkeit und Fiktion, dass er zum Beispiel auch Skulpturen baut. Oder bei diesem versunkenen Schiff: Ist da jetzt wirklich ein Bullauge, was er aus Rotterdam geholt hat? Sie können es glauben oder auch nicht. Aber dieses, dass Sie sich selbst immer kratzen und denken, ist das jetzt wirklich und kann das denn wirklich sein, und dass Sie sich doch so mitziehen lassen mit diesem Strom dieser Bilder und sich dann doch irgendwas überlegen, also faszinierend ist es allemal.

    Müller-Ullrich: Christiane Vielhaber hat sich mitziehen lassen von Marcel van Eeden und seinen in Darmstadt auf der Mathildenhöhe ausgestellten Zeichnungen. "Das dunkelste Museum der Welt" heißt die Ausstellung.

    Weitere Informationen::

    Mathildenhöhe Darmstadt