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Bildermachen in Leipzig

Die Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst gilt als Musterschule für künstlerischen Nachwuchs aus Ostdeutschland. Die so genannte neue Leipziger Malerschule hat dort ihren Ursprung. Die Hochschule war zugleich aber immer auch ein politischer Ort, Aushängeschild der ehemaligen DDR und Vorzeigemodell. Eine Ausstellung zeichnet die Geschichte des Hauses nach.

Von Carsten Probst | 23.04.2008
    Helfried Strauss ist der dienstälteste Lehrer an der Hochschule für Grafik und Buchkunst. Dreißig Jahre, seit 1978, hat der gebürtige Plauener im Fachbereich Fotografie gelehrt, in diesem Sommer wird er emeritiert - und da er über diese drei Jahrzehnte das kulturelle Leben in Leipzig und auch den Alltag an der Hochschule über drei Jahrzehnte dokumentiert hat, öffnet er nun sein geradezu unerschöpfliches Archiv, in dem sich noch einmal die epochale Zäsur spiegelt, die die Kunstgeschichte in Deutschland seit dem Fall des Sozialismus durchlief und immer noch durchläuft.

    Die HGB war natürlich das Herzstück, eines der Zentren der Kunstszene der DDR, sie hat Leipzig zur Kunstmetropole der DDR werden lassen. In den zahllosen Fotografien von Strauss wirkt sie wie ein Katalysator des Kunstlebens vor und nach der Wende. Äußerlich unspektakulär, zeigen die meist in Schwarzweiß gehaltenen Bilder eine Welt, in der man Gesichter lesen und Namen kennen muss, um sie zu verstehen: Man sieht Lehrer und Lehrveranstaltungen, Studenten und Ateliers, Feste und Ausstellungen und natürlich auch sogenannten hohen Besuch aus der Politik: DDR-Kulturminister Hoffmann ebenso wie Johannes Rau, der eine Ausstellung eröffnet. Strauss fotografiert alles mit dem geübten Geschick für das Gestische und Zufällige, für die signifikante Aktion, in der Augenblick und Geschichte idealerweise zusammenfallen, worin man nicht zuletzt ein Credo der Kunstlehre an der HGB insgesamt erkennen kann. Astrid Klein, die nach der Wende als erste aus dem Westen kommende Professorin an die Hochschule berufen wurde, ist hier in einer spontanen Debattenrunde zu sehen, in der sie gerade mit reichlich kämpferischem Gesicht und starken Gesten ihren Standpunkt zu vertreten scheint. Und unverblümt bekennt Helfried Strauss mit schönem sächsischen Akzent, dass man Kleins Ankunft in der Hochschule damals im Kollegenkreis ja als "Anfang vom Ende" betrachtet habe.

    Was da eigentlich zu Ende gehen drohte, zeigen die Bilder aus der Zeit davor. Strauss benennt es mit dem Hochschul-Motto: "Der Mensch im Mittelpunkt." Immer wieder große und augenscheinlich debattenfreudige Runden, die ein familiäres Flair und einen kollektiven Enthusiasmus am Kunstmachen verströmen, die an westdeutschen Kunsthochschulen so allenfalls zu Beuys' Zeiten denkbar waren. Überall und immer wieder taucht Bernhard Heisig in diesen älteren Fotografien auf, der als schillernder Staatskünstler und Direktor für Helfried Strauss in erster Linie Schutzpatron der Kunststudenten gewesen ist. Der "Heisig-Faktor" habe, ganz entgegen der landläufigen Ansicht, der HGB immer einen Geist der Systemferne bewahrt, so Strauss, indem Heisig mit seinen zahllosen Beziehungen zur Politik dafür gesorgt habe, den jungen Künstlern eine gewisse Freiraum zu lassen. Diesen Geist der Systemferne, habe man durch die Ankunft der ersten Westprofessoren an der Hochschule gefährdet gesehen, weil man fürchtete, nun auf Markt getrimmt zu werden.

    Die viel beschworene Karriere eines Neo Rauch und der sogenannten Neuen Leipziger Schule verdeckt eher das Spezifische dieser Schule, als dass es es erhellt. Vor dem Hintergrund der Hochschule lässt sich leicht verstehen, warum Rauch sein eigener Erfolg zumindest partiell immer unheimlich war und er sich nie von seinem Lehrer Heisig distanziert hat, denn als Künstler hat Rauch hier noch das Zeitlose eines Handwerks gelernt, das nichts mit Millionensummen zu tun hatte. Nun aber findet er sich einverleibt ins Kunstsystem der Stars.

    Nach wie vor und wird hier um so etwas wie eine kulturelle Dimension der Wiedervereinigung gerungen - und um einen Kunstbegriff, der die angebliche Autonomie der Kunst, wie sie im Westen gelehrt wird, hinterfragt. Gerade das - das Unabgeschlossene, Nervige dieser Debatten und die direkte Nachbarschaft von Kunst und Design hat die HGB unversehens zu einer spannendsten Kunsthochschulen in Deutschland werden lassen.